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Esther Schipper freut sich, die Gruppenausstellung The Mulberry Forest Becoming Ocean zu präsentieren. Sie zeigt Werke von Pak Sheung Chuen, IM Heung-soon, Tao Hui, Minjung Kim und Prabhavathi Meppayil und wird von Shi-ne Oh kuratiert. Nach der von Philip Tinari 2008 kuratierten Ausstellung CYLWXZ mit Arbeiten chinesischer Künstler ist dies die zweite kuratierte Ausstellung bei Esther Schipper, deren Schwerpunkt ausschließlich auf asiatischen Künstlern liegt.

Ursprung des Ausstellungstitels The Mulberry Forest Becoming Ocean ist ein chinesisches Sprichwort, bei dem es um die Beständigkeit der Veränderung geht. Alle fünf an der Ausstellung beteiligten Künstler befassen sich mit dem Begriff Zeit und setzten hierfür ganz eigene künstlerische Stimmen ein. Diese sind zwar vom globalisierten Diskurs geprägt, haben aber auch ein formales und konzeptuelles Vokabular entwickelt, das spezifisch für ihre jeweilige Tradition ist. Ebenso sind die anhaltenden Auswirkungen von Kolonialerfahrungen – politisch, philosophisch, kulturell, künstlerisch und persönlich – ein Thema der Ausstellung. Die an The Mulberry Forest Becoming Ocean beteiligten Künstler befassen sich mit einem erweiterten Gegenwartsbegriff mit unterschiedlicher Temporalität, unterschiedlicher Geschichte und unterschiedlichem Erleben von Zeit, die gleichzeitig nebeneinander bestehen. Sie schöpfen aus philosophischen Traditionen, in denen Zeit nicht als streng linear betrachtet wird.

Pak Sheung Chuen (geb. 1977 in Fujian, China, 1984 nach Hongkong ausgewandert) wird u. a neue Arbeiten zeigen, die indirekt auf die Frage der Identität, des Ortes und des politischen Konflikts eingehen. Hierfür verwendet er Materialien wie Wasser und Holz, die omnipräsent und spezifisch zugleich sind, konkret und allgemein. Ausgangspunkt für Pak Sheung Chuens Werke sind häufig performative Handlungen. Hierfür begibt er sich etwa während seiner zahlreichen Reisen in Situationen des Andersseins, die die Wahrnehmung der eigenen Identität verändern. Der Künstler lotet die Diskrepanz zwischen der visuellen bzw. graphischen Darstellung von Orten und der Art und Weise aus, wie man sie erlebt, zwischen von Menschen geschaffenen Grenzen und dem Diffusen beim Erleben von Raum. So entstehen Werke von stiller Eindringlichkeit.

Der Künstler und Filmemacher IM Heung-soon (geb. 1969 in Seoul, Südkorea) fand 2015 größere Bekanntheit, als er in Venedig für sein Werk Factory Complex den Silbernen Löwen erhielt. Thema der dokumentarischen Arbeit sind die Arbeitsbedingungen von Frauen in Fabriken. Gesellschaftliche Rolle und Lebensbedingungen von Frauen sind ein Leitmotiv der Arbeit IM Heung-soons und Teil einer umfassenderen Beschäftigung mit der Politik und der Psychologie des Leidens. Bukhansan/Bukhangang handelt von der Teilung Koreas und ist um eine persönliche Erzählung herum aufgebaut. Die beiden Teile des Werks werden gleichzeitig gezeigt: Im einen Film folgt der Zuschauer einer Frau, die auf den Berg Bukhansan steigt, und lauscht ihrer autobiografischen Erzählung. Der andere scheint Einblicke in Fantasie und Erinnerungen der Erzählerin zu gewähren. So wird der Berg Bukhansan (wörtlich bedeutet sein Name „großer Berg im Norden“) ebenso zu einem politischen wie zu einem persönlichen Symbol. Im Mittelpunkt des zweiten Teils steht Bukhangang. So heißt ein Nebenfluss des Han, der durch Nordkorea, durch Südkorea und auch durch die entmilitarisierte Zone Koreas fließt.

Der jüngste der fünf Künstler, der Chinese Tao Hui (geb. 1987 in Chongqing, China), ist in der Ausstellung mit zwei Videoarbeiten vertreten. Excessive wurde bereits 2015 im Rahmen der großen Einzelausstellung des Künstlers im Ullens Center for Contemporary Art gezeigt. Im Mittelpunkt der Arbeit steht ein Mädchen, dessen überzähliger Finger seinen Eltern großen Kummer bereitet. Excessive handelt von Familie, von Vorurteilen und vom Anderssein. Im Film verbinden sich dramatisches Schauspiel mit Elementen großer Künstlichkeit, in denen die Ästhetik chinesischer Fernsehdramen und Filme anklingt. Im zweiten Film, Talk About Body (2013), wird ein Szenario geschaffen, in dem die Worte der Hauptfigur als Anzeichen von Entfremdung fungieren. Sie ist von mehreren Erwachsenen umgeben, die um die auf einem Bett sitzende Person herumstehen oder sitzen. Die Person – oder vielmehr der Künstler – spricht über körperliche und genetische Merkmale, die man mit Rassentypologie und regionaler Typologie verbindet. Die Szene ähnelt einer Versammlung um ein Kranken- oder Totenbett oder einer Totenwache. Der Monolog ist sachlich und ungeniert zugleich und endet mit dem gesprochenen Entschluss „alle meine Vorurteile loszulassen und meinen Körper durch natürliche Gegebenheiten zu erschaffen.“ Für gesellschaftliche Normen werden wissenschaftliche, statistische Erklärungen geliefert, doch es bleibt unklar, wie sie entstanden sind und warum sie bestehen bleiben.

Die Arbeiten von Minjung Kim (geb. 1962 in Gwangju, Südkorea) auf und aus Papier schöpfen aus der koreanischen Tradition der prozessorientierten Kunst. Die Künstlerin ist der formalen Tradition der Tintenkalligraphie und der monochromen Kunst der 1970er Jahre verpflichtet (der so genannten Dansaekhwa). Sie brennt abstrakte Muster auf Maulbeerbaumpapier und schafft gedankenvolle Meditationen über Zerbrechlichkeit und Stärke, Chaos und Ordnung. Kim nutzt die zerstörerische Kraft des Feuers und verändert das Papier, indem sie auf extrem präzise, im Grunde jedoch willkürliche Weise Markierungen setzt. Das dünne, halbtransparente Papier (auch als hanji, „koreanisches Papier“, bezeichnet, das zweitausend Jahre überdauern kann), wird mit den Spuren seiner eigenen Zerstörung verziert. So wird die Aufmerksamkeit auf das Nebeneinander unterschiedlicher Temporalitäten gelenkt.

In der Familie von Prabhavathi Meppayil (geb. 1965 in Bangalore, Indien) hat die Goldschmiedekunst Tradition. Ihre Techniken und Materialien überträgt die Künstlerin auf eine zeitgenössische plastische Sprache, die Teil der Moderne ist: ob sie nun Kupferdrähte – oder mitunter welche aus Silber oder Gold – mit weißen Gessoschichten umhüllt oder die Oberfläche mit traditionellem Goldschmiede-Werkzeug bearbeitet. Die prozessorientierte, meditative Ästhetik der Künstlerin ist dem Modernismus des 20. Jahrhunderts verpflichtet, doch in ihren performativen Arbeiten klingen die handwerklichen und kulturellen Traditionen ihrer Herkunft nach. So entstehen Werke, die im wörtlichen wie im übertragenen Sinne individuelle Momente und Traditionen verkörpern.