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Wir leben in einer Kultur des permanenten Geredes, der Befragung und Beantwortung, des öffentlichen Geständnisses und der Verheimlichung von Aussagen. Im Zentrum dieses Spektakels der Entäußerung und Mitteilung steckt letzten Endes eine der ältesten Kulturtechniken: das Interview. Das Ausstellungsprojekt „ talk talk“ wird nun genau die Macht und die Kunst dieser Methode und Technik des Interviews im Kontext zeitgenössischer Kunstformen befragen und mit ausgewählten Positionen als ästhetische Praxis ausstellen. Dabei zeigt sich, dass Sprache, Reden, Gerede, Befragung, Geständnis, Bezeugung und Berichte in vielfältiger Weise mit visuellen Praktiken verschränkt sind. Es ist also naheliegend, der Genealogie des Interviews innerhalb zeitgenössischer Kunst nachzuspüren, um die gesellschaftlichen Grenzen zwischen Selbstentdeckung, Verhör, Zeugenschaft, Geständnis, Outing, Dialog und Verstehen auszuloten.

Mit der besonderen Form und Methode des Erkenntnisgewinns durch das Interview wurde nicht zuletzt das Programm einer Rationalität eingeleitet, deren zentrales Medium die Sichselbst- analysierende-Sprache bzw. die Logik der Kommunikation ist. Wie ist es aber um dieses Programm der Rationalität heute bestellt? Welche Aufgabe kommt dem Sprechen im Rahmen eines überhand nehmenden, medial verstärkten und permanenten „Geredes“ (Paolo Virno) zu, das ein zur unbeschränkten Zirkulation freigegebenes Wissen produziert? Haben damit „alle“ die Möglichkeit, zu sprechen, eine eigene Stimme zu bekommen – oder werden Fragen wie Antworten zusehends gleichförmiger, stereotyper, uneigentlicher, redundanter? Verströmt alles Gesagte das flache Pathos einer gleichen Gültigkeit, die gleichgültig macht? Oder bleiben nicht vielmehr Ausschlussmechanismen und Diskursverengungen wirksam, die das Sprechen- und Antworten-Können regulieren und vereinnahmen?

Der Rahmen des Interviews bietet dahingehend eine Möglichkeit, diese Regulierungen und Vereinnahmungen zu umgehen. Es entsteht die Chance der Vergleichbarkeit auf der Basis einer gleichen Gültigkeit aller Sprechenden, die als zugleich politisches wie ästhetisches Projekt zu sehen ist. Einmal als Interview-Bild formatiert ist man/frau gleichwertig im Bildraum zu allen anderen Interviewten positioniert. Nicht nur vermag die Technik des Interviews auch jenen eine Stimme zu geben, die sonst überhoÅNrt oder ignoriert werden von den dominanten Akteuren, sie macht auch klar, dass es tatsächlich exklusiv um das Sprechen als solches geht, also um Aussagen, Inhalte, Argumente, die die Zuhörerschaft dann gegen- und miteinander vergleichen und reflektieren kann. Aus diesem Grund wird für die Präsentation der insgesamt 23 Arbeiten ein Ausstellungsdisplay erarbeitet, das den gemeinsamen Bildraum des Sprechens, des Gehörtwerdens und des Antwortens betont.

„Schön wird das Alltägliche als Spur des Wahren, und es wird zur Spur des Wahren, wenn man das Alltägliche aus seiner Selbstverständlichkeit herausreißt“, schreibt Jacques Rancière. Die Beiträge zur Ausstellung „ talk talk“ zeigen, inwiefern künstlerische Strategien das Gerede, die Befragung und Beantwortung, das öffentliche Geständnis, das Expertengespräch und weitere Formen des Interviews aus ihrer Selbstverständlichkeit herauslösen, um uns Einblicke in zeitgenössische Mechanismen der Wissensproduktion, der Ausbildung von Überzeugungen und Werten zu geben – Einblicke, die für die aktuell geführten Debatten eines krisenhaften Systems wichtiger denn je erscheinen.

So wird bei Yvon Chabrowsky das letzte offizielle Interview mit H.R.H. The Princess of Wales in ein durchsichtiges Szenario verwandelt, das die Schauspielerin in einem klinischen Set zeigt und ausstellt, in dem sie die Gestik und Mimik der Princess of Wales imitiert, jedoch alle Momente der konkreten Situation ausgeblendet werden. Dadurch wird ein ungewöhnlich direkter Blick auf die Person und ihre Ausgesetztheit möglich, die das Interview als massenmedial verwertbares Spektakel letztendlich erzeugt. Das Interview wird als kulturelle Maschine sichtbar und lesbar, die die jeweiligen Personen mit Öffentlichkeit und Politik verstricken – wovon die oftmals privat inszenierten Gespräche abzulenken versuchen.

In Jörg Burgers „Exploration“ verfolgen wir ein Gespräch zwischen zwei Frauen, das plötzlich aus dem Ruder zu laufen beginnt. Eine der Frauen leidet offensichtlich unter psychischen Störungen. Just, als die BetrachterInnen glauben, die Logik dieser Kommunikation zu verstehen, müssen sie erkennen, dass es sich um eine Ausbildungssituation für TherapeutInnen handelt. Die Lesemöglichkeit dieser Kommunikation wechselt also mehrmals in der Beobachtung des Films, der damit mehr als deutlich zeigt, dass nicht nur Bilder einer Rahmung durch einen „kulturellen Text“ bedürfen, sondern auch Kommunikation.

In Kathi Lackners „I 'm able to express myself in unique ways“ glauben wir, der exhibitionistischen Äußerung der Künstlerin über ihre Interessen, Vorlieben, Ängste, Pläne und Perspektiven beizuwohnen, bis wir durch die Häufung von stereotypen Phrasen darauf schließen können, dass es sich um ein Sample von Selbstdarstellungen und Antworten aus Internet-Foren handelt. Durch diese Anverwandlung von vielfältigen und widersprüchlichen Äußerungen über sich selbst erzeugt die Künstlerin ein aktuelles Panorama an Identitätsvorstellungen und -erwartungen, von Selbstdarstellungen, die keine Antworten sind, sondern den Erwartungen von Fragen vorauszugehen scheinen.

In ganz anderer Weise markiert Antoni Muntadas einen weiteren zentralen Aspekt des Interviews: seine zunehmende mediale Inszenierung und Vermittlung. In einer Sondersendung eines Nachrichtensenders wird der ehemalige Übersetzer des russischen Präsidenten Mikael Gorbatchew über seine Rolle bei den Verhandlungen zur Beendigung des Kalten Krieges befragt. Der Übersetzer ist lediglich auf einem Monitor im Studio anwesend und erzählt von seiner Rolle als „Medium“ der Mächtigen der Welt. Die gesamte Konstellation verweist auf die vielfältigen Übersetzungs- und Bearbeitungsmechanismen, bis ein Interview die Form erhält, in der es für eine Fernsehsendung in Frage kommt. Wir müssen erkennen, dass Sprache nicht nur auf ein Individuum verweist, sondern auch zu einem Faktor der massenmedialen Maschine geworden ist.

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talk talk - Das Interview als künstlerische Praxis
Kuratoren: Reinhard Braun, Hildegard Fraueneder, Marc Ries

Künstler: Roozbeh Asmani, Ursula Biemann, Jörg Burger, Yvon Chabrowsky, Dellbrügge & de Moll, Jeanne Faust, Andrea Fraser, Till Gathmann, Ronald Gerber, Jochen Gerz, Klub Zwei, Kathi Lackner, Katarina Matiasek, Alex McQuilkin, Bjørn Melhus, Antoni Muntadas, Daniel Pflumm, Oliver Ressler & Dario Azzelini, Julika Rudelius, Corinna Schnitt, Axel Stockburger, Kerry Tribe, Ingrid Wildi