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Viktoria Binschtok geht in ihren Bildzyklen den Paradoxien des Alltags nach – mal beobachtet sie die Häufung der Luxusmarke LVNY im urbanen Straßenbild, mal zeigt sie die Spuren einer stetig größer werdenden Bedarfsgemeinschaft in den Arbeitsämtern nach oder weist auf die Verein-zelung des Menschen in der Kommunikationsgesellschaft hin. Das Spektrum der präzise eingesetzten bildnerischen Mittel reicht von der Überhöhung und Konzentration der Straßen-szenen bis hin zur beinahe malerischen Abstraktion in ‚Die Abwesenheit der Antragsteller’. So weisen ihre Fotografien stets über das hinaus, was faktisch abgebildet ist.

Die aktuelle Ausstellung ‚Spektakel’ versammelt Bilder aus Viktoria Binschtoks neuestem Zyklus ‚flash’. Dafür hat sie aus diversen Nachrichtenvideos aus dem Internet Bilder extrahiert, die den Moment eines Geschehens im Blitzlichtgewitter zeigen, wie er sonst durch die schnelle Abfolge der Bilder eines Videos nicht wahrnehmbar wäre. Durch die unkontrollierten Lichtquellen der umherblitzenden Fotografen wird das Gezeigte für den jeweiligen kurzen Augenblick extrem überbelichtet und somit praktisch ausgelöscht. Sichtbar ist zunächst ein nebulöser Schleier von Licht und Schatten, der erst bei genauerer Betrachtung Spuren des Ereignisses offenbart: es ist der klassische Gang eines VIPs zum aufgehaltenen Fond einer Limousine. Auch wenn Details des Autos oder ein Körperteil erkennbar werden, bleiben die Szenen und somit der Inhalt der Nachricht rein spekulativ. Auf der Jagd nach dem besten Bild hat sich die Nachricht beinahe in nichts aufgelöst. Ob die Bilder einen höheren Informationswert bei korrekter Belichtung hätten, kann bezweifelt werden.

Allein die bloße Anwesenheit einer ‚Fotografenmeute’ suggeriert eine Situation, die Charakter-istika des Spektakels aufweist: extreme Aufmerksamkeit in einem begrenzten Zeitrahmen sowie Flüchtigkeit und Überhöhung der Realität. Guy Debord hat schon 1967 die Auswirkungen dieses Phänomens in ‚La Societe du Spectacle’ für die moderne Gesellschaft diagnostiziert – von der Feier des Oberflächlichen, der Scheinwelt des Starkult oder der Übermacht von Bild und Surrogat gegenüber realem (Er-)leben reicht seine Beschreibung. Seither scheint sich dieser Zustand verstetigt zu haben: beinahe jedes gesellschaftliche Ereignis muss mittlerweile spektakuläre Züge aufweisen, um wahrgenommen zu werden und die allgegenwärtige Eventkultur bringt dabei unzählig viele Bilder und Vorstellungen hervor, deren Informationsgehalt kaum noch nachvollziehbar ist. Auch die Sphäre der Kunst, der stets Autonomie gegenüber der Lebenswelt eingeräumt wird, ist mittlerweile ‚eingemeindet’. Ein Jahr der Kunstspektakel ist gerade zu Ende gegangen und es stellt sich die Frage, was man denn zwischen Openings, Messeboom und Biennalen-Hopping nun genau gesehen hat.

Zerstreuung, Gleichgültigkeit oder gar innerer Rückzug sind mögliche Konsequenzen des allgegenwärtigen Spektakels. Zurück bleibt ein immer flüchtiger werdendes Interesse, dem umso heftiger hinterhergejagt wird.

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Spektakel
Viktoria Binschtok