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Eröffnung: Freitag, 11. Dezember, 19 Uhr
Einführung: Ralf F. Hartmann, Kurator
Special: itinerant interlude #1867: Anna Clementi, Stimme

Ausgehend von der intensiven Beschäftigung mit den Theorien von Karl Marx und Sigmund Freud widmet die englisch-französische Künstlerin und Theoretikerin Sharon Kivland ihre erste Berliner Einzelausstellung Fragen nach Rollenzuschreibungen, Geschlechterkonstruktionen und Ökonomie. Dabei interessiert sie insbesondere die Funktion von Frauenbildern in der ökonomischen Theorie und in der gesellschaftlichen Wirklichkeit kapitalistischer Systeme.

Für die Präsentation im Kunstverein Tiergarten hat die Künstlerin ein komplexes mediales Ausstellungsdisplay entwickelt. Sharon Kivland verbindet in ihrer Arbeit grundsätzlich verschiedene Medien, Quellen und Referenzsysteme. So stehen in Korrespondenz zu großformatigen Porträts anonymer Frauen nicht nur eigenhändig gefertigte Filme und Zeichnungen, sondern scheint eine ungewöhnliche Menagerie präparierter Tiere wie Wiesel, Füchse und Eichhörnchen - jeweils mit politischen Symbolen und sexualisierten Fetischen ausgestattet - im Zentrum der Ausstellung ihr metaphorisches Eigenleben zu führen. Großformatige Vinylbilder zeigen Frauen in Negligés und Unterwäsche. Sie entstammen exklusiven Modemagazinen der 1950er Jahre, in denen neueste französische Damenunterwäsche präsentiert wurde. Die dargestellten Frauen mögen jenen entsprechen, welche Karl Marx in einer Fußnote im zweiten Kapitel von Das Kapital als "Frauen mit feurigem Körper" beschreibt. Unter Bezugnahme auf die französische Literatur verknüpft er Frauen und Handelsgüter folgendermaßen:

"Im 12. [...] Jahrhundert kommen unter diesen Waren oft sehr zarte Dinge vor. So zählt ein französischer Dichter jener Zeit [Guillot de Paris] unter den Waren, die sich auf dem Markt von Lendit einfanden, neben Kleidungsstoffen, Schuhen, Leder, Ackergeräten, Häuten usw. auch 'femmes folles de leur corps' ('Frauen mit feurigem Körper') auf."

Insbesondere Werbebilder offenbaren, in welcher Weise standardisierte Inszenierungen des weiblichen Körpers stereotype Posen und Blickrichtungen nutzen, um über klischeehafte Verführungsmuster Begehren bzw. Begehrlichkeiten herzustellen. Bei Kivland hingegen scheint es sich anders zu verhalten, da die roten Bänder um die Hälse der Frauen und die roten Umschläge ihrer Bücher andeuten, dass mehr auf dem Spiel steht als Trägheit und Luxus. In Korrespondenz zu den Frauenbildern des frühen 20. Jahrhunderts tanzen ausgestopfte Hermeline und Wiesel - versehen mit den roten Jakobinermützen der französischen Revolution - über Bücher von Sigmund Freud und Karl Marx. Ebenso treiben Füchse in diesem symbolisch aufgeladenen Bestiarium ihr Unwesen und tragen seidene Damenunterwäsche in Mäulern und Pfoten. Gefaltete Seiten aus dem rosa Papier der Financial Times zeigen Frauen in reizender Freizeitkleidung, wie corps morcelés, denen der Kopf fehlt. Die ausführliche Beschreibung schildert die Details von Stoff und Verzierung und die jeweiligen Titel sind dem Kapital von Marx entnommen: die Ware als etwas Weibliches, eine Frau zum Tausch und zur Wertschöpfung durch diesen Tausch. Lektüre und Politik werden in der Ausstellung von Sharon Kivland feminin heraufbeschworen, sind in Seide oder Satin gehüllt, bepelzt.

Sharon Kivland (geb. 1955 in Wiesbaden) lebt in London und in der Bretagne. Sie hat Bildende Kunst und Kunstwissenschaften u.a. am Goldsmith College in London studiert, wurde 2002 an der University of Reading promoviert und lehrt heute an der Sheffield Hallam University/UK. Neben ihrer umfassenden internationalen Ausstellungstätigkeit war sie Visiting Fellow am Institute of Germanic and Romance Studies der University of London und ist assoziierte Wissenschaftlerin am Centre for Freudian Analysis and Research, London.

"The Natural Forms" ist ein Kooperationsprojekt des Kunstvereins Tiergarten mit dem dkw. Kunstmuseum Dieselkraftwerk Cottbus, wo vom 3.10. bis zum 15.11.2015 der erste Teil der Ausstellung zu sehen war.

"Itinerant interludes" wird kuratiert von Laurie Schwartz und ermöglicht durch eine Förderung der Initiative Neue Musik (INM).