press release only in german

Mit „Capitalism and Schizophrenia“ startet der Kunstraum Lakeside, gleichsam programmatisch, sein Frühjahrsprogramm, das sich unter dem Titel „Enge Anbindung“ den zunehmend kritischer bewerteten Verflechtungen zwischen Wirtschaft und Wissens- bzw. Kulturproduktion widmet.

Senam Okudzeto demonstriert mit ihrem Projekt am Beispiel des realen Falles eines Schweizer Wirtschaftskriminellen, der sich für seine betrügerischen Machenschaften die Anreize regionaler Standortpolitik (Bankkredite, Steuervergünstigungen) ebenso geschickt zunutze machte wie westliche Vorurteile gegenüber der „Alltäglichkeit“ von Korruption in Afrika, die immer problematischer werdende Unterscheidung von „seriösen“ Erfolgsmodellen in einer globalisierten Ökonomie und kriminellen Einzelinteressen. Die Künstlerin arbeitet für ihre mehrteilige Installation mit dem „Archiv“ dieses Betrügers, das dieser nach seiner überstürzten Flucht vor den Behörden in seiner Schweizer Wohnung zurückgelassen hatte. Sie konfrontiert uns mit einer Bibliothek, bestehend aus etwa 200 Business-Selbsthilfebüchern hauptsächlich US-amerikanischer Provenienz, gefälschten Verträgen, Korrespondenzen und Tagebucheinträgen des Betrügers, der sich auf das Geschäft mit so genannten „419-e-mails“ spezialisiert hatte. Es handelt sich hierbei um e-mails, die angeblich von korrupten afrikanischen Politikern und Funktionären an Leute im Westen versandt werden mit der Einladung, ihnen beim Weißwaschen gestohlenen Geldes behilflich zu sein und dadurch selbst zu schnellem Reichtum zu kommen. Wie die New York Times berichtete, werden allein amerikanische Bürger durch westafrikanische 419-e-mails um mehr als 100 Millionen Doller pro Jahr betrogen. Was ist der Subtext eines Szenarios, in dem das offene Eingeständnis afrikanischer Unredlichkeit und Korruption mit Erfolg als legitime Einladung zur Geschäftemacherei präsentiert wird? Der Erfolg dieser Briefe suggeriert eine umgekehrte koloniale Eroberung, indem er ein Bewusstsein von Geschäft und Handel demonstriert, das eine westliche kapitalistische Kultur der wirtschaftlichen Spekulation für seine Zwecke instrumentalisiert. Senam Okudzetos künstlerische Arbeit ist eine Diskussion von Dingen und Waren, die nicht existieren, in Form von veruntreuten Krediten der Weltbank, phantomartigen Entwicklungsprojekten und der angenommenen Abwesenheit sozialer und moralischer Werte in Verbindung mit der Generierung von Tauschwert. Betrachtet man das Archiv neben den neurotischen Kritzeleien in den Aufzeichnungen des Mannes, auf bunten Post-it-Notizen angespannt über Termine geklebt, so wird es zu einem Zeichen der mentalen Instabilität unseres Subjekts und ein sicherer Hinweis darauf, dass es eine große Leere im finanziellen Ehrgeiz gibt. Wenn diese Arbeit das Archiv westlicher Unredlichkeit dem Archiv der afrikanischen Unehrlichkeit gegenüber stellt, die – im Bezug zu den historischen Fakten durchaus den Anschein einer Art von Wahrheit erweckt –, so zeigt sie am Ende die Krankheit des globalen Finanzsystems und kommentiert vielleicht auch die Behauptung von Gilles Deleuze, wonach in einem globalen kapitalistischen System der Schizophrene der wahre Antiheld wäre.

Senam Okudzeto (USA/Ghana/UK/CH), geboren 1972 in Chicago, Ill, USA, lebt und arbeitet in Basel, Accra, London, New York. Sie ist Gründerin und Leiterin der NGO “Art in Social Structures,” Mitglied des KünstlerInnenkollektivs “Tropical Goth” und des Editorial Board der Zeitschrift “Art Journal.” Sie hatte Gastprofessuren u.a. am New York University (NYU) Study Abroad Campus in Ghana, der NYU Steinberg School, New York und zahlreiche Lehraufträge an Universitäten in Basel, London und New York. Einzelausstellungen (Auswahl): International project, PS1 MOMA, NYC (2007); Radcliffe Institute for Advanced Study, Harvard, Cambridge, MA (2004); Burrough Market, London (2003); Dana Center, Loyola University, New Orleans (2000); The Fridge, London (1999); The Brickhouse, London (1998). Gruppenausstellungen (Auswahl): “Nostalgie. L’istante e la durata del tempo,” Museo d’Arte Contemporanea di Villa Croce, Genua (2008); “eFEMera; the art of feminist activism,” Binghampton University Museum, NY (2007); “The Color Line,” Jack Shainman Gallery, New York (2007); “Cape 07,” Cape Town (2007); “Dak’art,” Biennale Senegal (2006); “Women with Guns,” National Gallery, New Orleans (2006); “The Whole World is Rotten,” Contemporary Art Center, Cincinnati, USA (2006); “Africa Remix,” Centre Pompidou, Paris (2005); “Fela Kuti; Black President,” Barbican Center, London (2004) www.okudzeto.org

only in german

Senam Okudzeto
Capitalism and Schizophrenia
Kuratoren: Christian Kravagna, Hedwig Saxenhuber