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SCHWABPost ist Teil eines Projekts, das bislang unbekannte Aspekte des Werkes von Werner Schwab zeigt. Dieses Projekt, das eine Gemeinschaftsproduktion der Wiener Festwochen in der Reihe: "1000 Jahre Paralyse" und der Neuen Galerie Graz ist, besteht aus: SCHWABPost. Mail Art. Eine Ausstellung. Wien. SCHWABFleisch. Reliefs und Texte. Eine Ausstellung. Graz. SCHWABSammlung. Eine Edition im Literaturverlag Droschl Graz (Ausstellungskatalog).

Programm im Zug Wien-Graz-Wien am Tag der Vernissagen (Jennifer Minetti, Hans Gratzer, Sebastian Blomberg, Eduard Wildner, Beatrice Frey und Helmut Schödel lesen Werner Schwab; Musik: F.M. Einheit, nach Texten von Werner Schwab; Schwab-Portrait von Günther Schilhan: "Endlich tot endlich keine Luft mehr")

Die Ausstellung SCHWABPost zeigte erstmals die über mehr als ein Jahrzehnt (1978 - 1990) laufende Mail Art-Produktion zwischen Werner Schwab und Janos Erdödy. Die rund 200 gezeigten Karten sind im Laufe dieses Zeitraums zwischen den häufig wechselnden Wohnadressen und Aufenthaltsorten kursiert. Beide Künstler waren als Archäologen ihres Alltags tätig. Sie "gruben", sammelten und verwerteten, was sie fanden, gruppierten "Gerümpel": aus dem Zusammenhang gerissene Schlagzeilen, Zeitungfotos, Zigarettenschachteln, Zugfahrkarten; SCHWABPost ist Material, das für den Postverkehr autorisiert ist, Ansichtskarten etwa oder Persönliches wie Einkaufszettel oder Röntgenbilder mit Zeichnungen, Konzepte für Ausstellungen, Texte aus Erzählungen oder Hörstücke und politische Karikaturen. Jedes einzelne Stück der rund 200 Exponate ist aus dem Kontext zu lösen und für sich als Bild einer Ausstellung zu sehen. Die Gesamtheit der Bilder, in ihrer Schleife durch Zeit und Raum betrachtet, ergibt hingegen ein Objekt, das als persönlicher, künstlerischer, politischer Kommentar der Protagonisten zu lesen ist. In diesem Prozeß der Aneignung und Transformation von nicht "kunstfähigem" (Abfall)Material war das Produzierte Teil ihrer Arbeit als Künstler. "Post machen" war gleichermaßen kontinuierliche Kommunikation wie künstlerischer Akt. Der Weg, den das "Poststück" zurücklegt, ist ein weiterer Schritt im Prozeß der Vollendung des Kunstwerks. Er ist als ein Weg aus einer Intimität (dem Schreib-Tisch des Senders) über den Transport und die Veränderung durch eine Öffentlichkeit/Institution (Briefkasten, Postamt, Briefträger, Stempel, Anmerkungen der Post, ...) wieder zurück in eine andere Intimität (Wohnung des Empfängers: lesen, schauen, deuten, anknüpfen, ...), als ein Vorgang der Äußerung, Entäußerung, Interpretation, Veränderung zu verfolgen, also als Weg der Transformation und Decodierung. Motive und Merkmale des späteren literarischen Schwab-Schaffens finden sich in diesen frühen Text-Bildkompositionen und Bilder-Texten. Die traditionell den einzelnen Materialien zugeordneten (Kunst)Sparten und (Kunst)Techniken verlieren bei solcher Verwendung naturgemäß ihre Definitionskraft. Die anti-hierarchische Verwendung von "Werkstoffen", wie Sprache, vorgefundenem Bild- und Textmaterial, Zeichnung und Malerei oder tierischen Kadaverteilen, wie z.B. getrocknete Haut oder Luftröhren, führt direkt zur starken, sinnlichen Sprache, die aus seinen Theaterstücken bekannt ist.

Die Ausstellung SCHWABFleisch stellte Werner Schwab als bildenden Künstler vor und zwar mit Rekonstruktionen seiner in den 80er Jahren entstandenen sogenannten "Verwesenden Plastik". Seine künstlerische Auseinandersetzung mit Skeletten, Kadavern, Gedärmen, Innereien, Knochen und Prozessen der Verwesung ist als begleitender visueller Code für die "eigentliche" Arbeit von Schwab zu lesen, als bildnerischer Anteil seines literarischen Werks. Schwabs Theater ist ein anatomisches Theater. In seinen Stücken sehen wir die Anatomie unserer Kultur als Aufschneiden der Kultur. Er seziert auf der Bühne den Kadaver der bürgerlichen Gesellschaft. Er zeigt nicht den Menschen an sich, er zeigt den Bürger als grausames Vieh, er zeigt das Subjekt als Beamten und den Beamten als Bestie, er zeigt den blutigen Terror als Ordnung des gebildeten Bürgertums und die Greuel des Krieges als Folge der Exklusions-Strategien der sozialen Systeme. Er schneidet den sozialen Körper auf, er liefert Gruppenbildnisse, Standesporträts, er zeigt die Gesellschaft als geöffnete Leiche. Seine Skulpturen mit Knochen, mit Fleisch, mit Tierköpfen, sind der bildnerische Ausdruck der umfassenderen Anatomie der Gesellschaft, die er in seinen Theaterstücken leistet. Schwab verwendet Kadaver als Skulpturen, er schneidet die Skulpturen auf, um die Kultur aufzuschneiden. Damit dieser Zusammenhang niemandem entgeht, nämlich daß es Schwab nicht um das Fleisch des Leibes, sondern um das Fleisch des Gesellschaftskörpers geht, montiert er Texte aus den Massenmedien, aus der Textproduktion der Gesellschaft selbst, auf das Fleisch. Das ist ein wichtiger Aspekt, ein Schlüssel zur De-Codierung dieser Werke, denn erst dadurch werden die Skulpturen zum Schauplatz der Begegnung von Natur (Fleisch) und Kultur (Text). Erst die Text-Zitate, Text-Montagen, geplündert vom Plunder der Zivilisation, zeigen, woher der Leichengeruch und der Pesthauch eigentlich wehen, nämlich von der "societé morte". Durch die Texte werden die Verwesungsskulpturen mehr als bloße Schaustellungen von Naturprozessen, sondern im Gegenteil von Sozialprozessen, zum Symptom der Chronik eines angekündigten sozialen Todes. Die Schwabschen Skulpturen sind also Fleischstücke mit Text, so wie Schwabs Theater Textstücke mit Fleisch sind. Im Verschnitt von beidem, von Sprache und Fleisch, gelingt es Schwab, die Gesellschaft aufzuschneiden. Bei Schwab ist der Todestrieb nicht der Natur zugeordnet, sondern der Kultur. Bei der Begegnung von Fleisch und Sprache, von Natur und Zivilation, ist der Aggressor und die Dekonstruktion auf Seiten der Sprache. Schwabs bildnerisches Werk ist also nicht zu marginalisieren, sondern gibt uns, da es aus der gleichen Quelle stammt, enorm hilfreiche und wertvolle Hinweise auf die Schwabsche Methode. Biographie.

Werner Schwab. geb. 4. 2. 1958 in Graz. Besuch der Kunstgewerbeschule, Abt. Bildhauerei bei Josef Pillhofer. 1978 bis 1982 Studium an der Akademie der bildenden Künste bei Bruno Gironcoli in Wien. 1981 Geburt des Sohnes Vinzenz. Zwischen 1981 und 1989 lebt und arbeitet Werner Schwab auf einem abgelegenen Bauernhof in der Süd-Oststeiermark. 1989 erste öffentliche Aufführung eines Textes, "Das Lebendige ist das Leblose und die Musik", Schwab inszeniert und führt Regie. 1990 Übersiedelung nach Graz, UA von "Die Präsidentinnen" in Wien. Start der internationalen Karriere mit "Volksvernichtung" in den Münchner Kammerspielen 1991, Auftragsarbeiten für Theater, Auszeichnungen und Preise. Dramatikerpreise: 1991 Nachwuchsdramatiker der deutschen Kritik. 1992 Preis für den interessantesten Dramatiker des Jahres. 1992 Mühlheimer Dramatikerpreis. 1992 Förderungspreis des Schiller-Gedenkpreises. Werner Schwab stirbt am frühen Morgen des 1. 1. 1994 in Graz.

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SCHWABPost
Werner Schwab
Kuratoren: Ingeborg Orthofer, Peter Weibel