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Deutschlands kultureller Reichtum gründet sich auf seiner föderalistischen Struktur. In der Vielfalt der Länder gibt es zahlreiche Zentren,die seit jeher über ein starkes kulturelles Eigenleben verfügten. Wie sonst nur Kirche und Bürgertum haben die bis 1918 regierenden Fürstenhäuser zur einmaligen kulturellen Dichte unseres Landes beigetragen. Viele dieser Familien tragen bis heute die Namen von Bundesländern oder historischen Staaten wie Bayern, Preußen, Baden, Württemberg, Sachsen, Anhalt, Hessen, Hannover, Schleswig-Holstein und Mecklenburg. Zwar gab es große Enteignungswellen durch die Revolution von 1918 oder nach 1945 in der Sowjetischen Zone, doch ist es den meisten der Familien gelungen,eine erstaunliche Fülle an Kunstwerken bis heute in Privatbesitz zu halten.

Eine Bestandsaufnahme dieses weitgehend unbekannten Erbes tut dringend not,da wirtschaftliche und erbrechtliche Umstände zu einem schleichenden Abverkauf der Schätze zu führen drohen. Überfällig ist auch eine öffentliche Diskussion der Frage,wie die Interessen des Staates und der adeligen Häuser an dem Erhalt der Schätze zusammengeführt werden können,um diese für die Nation zu erhalten.Schatzhäuser Deutschlands möchte dazu auf der sinnlich erfahrbaren Grundlage einer Ausstellung einen nachhaltigen Beitrag leisten.Zum ersten Mal soll eine Auswahl von etwa 200 der künstlerisch wie historisch wertvollsten Stücke aus adligem Privatbesitz im Haus der Kunst vereinigt werden,um das allgemeine Bewusstsein für den Rang und den Wert dieser Sammlungen zu schärfen. Dank der Großzügigkeit der Häuser Mecklenburg, Oldenburg, Hannover, Hessen, Schaumburg-Lippe, Sachsen-Coburg-Gotha, Schönborn, Hohenlohe und vielen anderen werden Höhepunkte fürstlicher Kunstliebe und Sammelleidenschaft wie Gemälde von Rembrandt,Skulpturen von Adriaen de Vries, Stiche von Dürer und Möbel von Roentgen in ihrem ursprünglichen Zusammenhang mit Porträts der Sammlerpersönlichkeiten und kuriosen Kunstkammerstücken zu bewundern sein. Die kulturpolitische Ausrichtung des Projekts unterstreicht ein Kolloquium mit Vertretern u.a.aus der Politik,dem Adel und der wissenschaftlichen Fachwelt,das im Beiprogramm geplant ist.

Privataudienz, Interventionen von Anja Casser, Beate Engl, Wolfgang Stehle und Wolfgang Ullrich

Eine Woche lang wird die Ausstellung Schatzhäuser Deutschlands um eine Reihe von „Privataudienzen“ erweitert: Vier KünstlerInnen und KunstwissenschaftlerInnen stellen den Besuchern ihre persönliche Auseinandersetzung mit den Exponaten und dem Konzept der Ausstellung vor. In Form von Interventionen werden sie das Thema „Adel und Kunst“ aus verschiedenen Perspektiven durchaus kritisch beleuchten und so den Besuchern zusätzliche Reflexionsmöglichkeiten und neue Blicke auf die Ausstellung ermöglichen.

Der Mythos des Adels ist in den Medien regelmäßig präsent und wird für den „bürgerlichen Alltag“ mit gefälligen Bildern und Geschichten inszeniert. Von der Vorabendserie über den TV-Spielfilm bis hin zu den Homestories in Illustrierten: die Traumvorstellung von Schlossbesitz und Familienbande besitzt nach wie vor eine große Anziehungskraft. Anja Casser skizziert in ihrer Installation den populären Mythos anhand von Bildmaterial aus Magazinen, Film und Fernsehen. Sie hinterfragt dabei die Rolle, die der „schöne Schein“ und die „künstliche Fassade“ bei den Erwartungen der Besucher sowie bei der Konzeption und Gestaltung der Ausstellung spielt.

Die Präsentation der kostbaren Exponate in der Ausstellung Schatzhäuser Deutschlands ist bewusst nüchtern. Bei der Betrachtung der Kunstgegenstände bleiben dennoch die Fantasien, die sich die Besucher gemeinhin von prächtigen Schlössern oder überladenen Räumen machen, gegenwärtig. Davon geht Beate Engl in ihrem Beitrag aus; sie befragte Ausstellungsbesucher, wie sie sich den originalen räumlichen Kontext des Rembrandt-Gemäldes Diana mit Aktäon und Kallisto vorstellen und welchen Ort, welche Bedeutung sie einem derartigen Besitz in ihrem Leben einräumen würden. Zusammenschnitte der Antworten und Ergebnisse präsentiert Engl als akustische Ortsaneignung, die durch den Bildbetrachter aktiviert wird.

Wolfgang Stehle begibt sich in die Rolle des Dienstleisters: Eigenhändig schiebt er einen selbstgebauten Kamerawagen mit befestigter Fingerkamera für die Besucher in jene Position, aus der sie die Skulpturen von Adrian de Fries aus dem Mausoleum in Stadthagen einmal ganz aus der Nähe betrachten möchten. Die Besucher dürfen vor einem Fernsehschirm Platz nehmen und sich als xKönig Kunde’ ein wenig 'geadelt' fühlen. Zugunsten der Bequemlichkeit müssen sie jedoch auf die Vorteile einer aktiven Wahrnehmung des originalen Kunstwerks verzichten. Der Museumsbesuch wird zum Fernseherlebnis und so der häufig präferierten Rezeptionsweise von Kunst angepasst.

In einem Raum der Ausstellung überreicht Wolfgang Ullrich den Besuchern ein selbst verfasstes Flugblatt. Manifestartig beschreibt er darin die Analogie zwischen Adel und Kunst: Beide haben zwar eine glorreiche Vergangenheit, verfügen in der Gegenwart jedoch über keine exekutive Macht mehr. Dienen Adel und Kunst nur noch der Unterhaltung? Füllen sie nur noch die bunten Blätter – Regenbogenpresse oder Kunstmagazine – und ermöglichen erfolgreiche Ausstellungen?

Anja Casser, geb. 1973, Kunsthistorikerin und freie Kuratorin. Studium der Kunstgeschichte in Freiburg und München. Zur Zeit Stipendiatin am Forschungsinstitut des Deutschen Museums, München. Arbeitet zu bild- und medienwissenschaftlichen Themen im Kontext von Technikgeschichte und Populärkultur. Mitarbeit bei folgenden Ausstellungen/Projekten (Auswahl): Common Property/Allgemeingut, 6. Werkleitz Biennale, Halle 2004; con_con:constructed connections, interdisziplinäres Ausstellungsprojekt im öffentlichen Raum, Berlin 2003-2004; KunstPraxis, München (zusammen mit Beate Engl) 2001-2003; Malerei ohne Malerei, Museum für moderne Kunst Leipzig, 2001-2002; Art & Economy, Deichtorhallen Hamburg 2001-2002.

Beate Engl, geb. 1973, Künstlerin. Lebt zur Zeit in München. Arbeitet meist ortspezifisch und erforscht den globalen und interstellaren Kunstbetrieb. Diplom bei Prof. Olaf Metzel (Akademie der Bildenden Künste München), Master Fine Art (School of the Art Institute of Chicago / Bauhaus Universität Weimar), Ausstellungen/Projekte (Auswahl): Space is a place, Kunst im öffentlichen Weltraum (Buchprojekt), 2004; betaversion 2.0, Halle 14/Stiftung Federkiel Leipzig und Rote Zelle München, 2004; Kunsthalle Prackenbach, gegründet 2003; KunstPraxis, München (zusammen mit Anja Casser) 2001-2003, Collège Invisible, Marseille 2002-2003. http://www.beateengl.de

Wolfgang Stehle, geb. 1965, freischaffender Künstler. Lebt und arbeitet in München. Holzbildhauer am Berufsbildungszentrum München 199 -1994; Meisterschüler 1999 und Diplom 2001 (Akademie der bildenden Künste München); DAAD Stipendium 2001; MA 2002 (Chelsea College of Art & Design London). Zick Zack, VTO Gallery London, 2001; Mapping the process, Essor gallery London, 2002; Sammlung Stehle, Henry Peacock Gallery London, 2002; flatshare, Unit 2 Gallery London, 2003; Reality slides, Kunstverein Kohlenhof Nürnberg, 2003; Wir hier!, Lothringer13/Halle München, 2003; Company, Osram Galerie München, 2003; Räume der Kommunikation /Performative Installation #3, Museum für Gegenwartskunst Siegen, 2003; Das schwarze Schaf, Städtische Galerie Villingen-Schwenningen, 2004; The Sculpture Show, VRC Dundee, 2004; Lucky you, Kulturreferat und alter Rathaussaal München, 2004; Heinert, Sievers, Stehle, Galerie Kuttner Siebert Berlin, 2004.

Wolfgang Ullrich, geb. 1967, Promotion in Philosophie 1994; seither freischaffend als Autor, Dozent, Unternehmensberater. Zur Zeit Gastprofessor für Kunstwissenschaft und Medientheorie an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe. Arbeitet über Geschichte und Kritik des Kunstbegriffs sowie moderne Bildwelten. Bücher (Auswahl): Uta von Naumburg. Eine deutsche Ikone, 1998; Mit dem Rücken zur Kunst. Die neuen Statussymbole der Macht, 2000; Die Geschichte der Unschärfe, 2002; Tiefer hängen. Über den Umgang mit der Kunst, 2003; Was war Kunst? Bilanz eines Begriffs, erscheint 2005.

Pressetext

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Schatzhäuser Deutschlands - Kunst in adligem Privatbesitz
kuratiert von Wilfried Rogasch, Berlin und dem Haus der Kunst

Werke von Adriaen de Vries, Bernardo Nocchi, Anselm Kiefer, Vanessa Beecroft, u.a.

31.1.05 - 6.2.05 Privataudienz, Interventionen von Anja Casser, Beate Engl, Wolfgang Stehle und Wolfgang Ullrich