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Nach der meditativen Betrachtung präzisester Bildauflösungen zwischen Low Resolution und High Definition wendet sich das RealismusStudio in „Auflösung II – Rausch/en“ nun dem dunklen Spiegelbild der maximalen Informationsdichte zu, dem Rauschen – und untersucht dessen verwandtschaftliche Beziehung zum Rausch.

Zu beobachten sind eigenartige Phänomene und Ausfallerscheinungen, die auf der unablässigen Wanderung der Informationsinhalte zum nächst höheren Speichermedium verzeichnet werden können. Während einige Informationen einfach verblassen und scheinbar verloren gehen, verflüchtigen sich andere in die entgegengesetzte Richtung: Sie verselbstständigen sich, bilden so genannte „Artefakte“ und beginnen, die ursprüngliche „Nachricht“ parasitär zu überlagern. Hier beginnt das Arbeitsgebiet von Grenzwissenschaftlern und Parapsychologen. Wo andere nur noch Rauschen feststellen, entdecken sie Geisterstimmen aus dem Jenseits. Doch sieht nicht auch die seriöse Wissenschaft im so genannten kosmischen Rauschen die letzte Spur von Ereignissen aus der fernen Vergangenheit?

Die KünstlerInnen in „Auflösung II – Rausch/en“ gehen davon aus, dass das maximale Chaos sich allenfalls um den Hauch eines Vorzeichens von der maximalen Informationsdichte unterscheidet.

Warum sich also nicht dem Rauschen überlassen, um so die in ihm zu vermutenden Botschaften und geheimen Inhalte direkt zu erleben und vielleicht auf diese Weise zu dechiffrieren?

Dass dieser Trip ins rauschende Innere des Flimmerns für Psychedeliker und Esoteriker hochinteressant ist, liegt auf der Hand – doch auch Wissenschaftler und Kontrolltechniker haben sich auf die Reise gemacht.

Aus kybernetischer Sicht ähneln sich Rauschen und Rausch grundsätzlich darin, dass beide in einer Tabuzone beheimatet sind, die immer genau zwischen den festgelegten Werten liegt. Wenn das Gebäude der diskreten Zahlen intakt bleiben soll, darf diesem zügellosen Bereich niemals ein Messwert zugeordnet werden. Gerade deshalb entspricht er aber der Regellosigkeit, die studieren muss, wer akkurat prognostizieren und so auch wirksam kontrollieren will. Die gemeinsame Matrix von Rauschen und Rausch wäre demnach die Kontrolle ...

Kontrolle und Überwachungstechnologien mit ihren allgegenwärtigen offenen Augen, die Aber-Milliarden Bilder produzieren, sind Themen des kalifornischen Medienkünstlers Jim Campbell, der auch im 2.Teil der Ausstellungsserie „Auflösung“ vertreten sein wird. Seine Arbeit „Political Protest“ offeriert mit hochpräzisem fotografischen Blick unzählige Szenen einer Demonstration in Washington, die jedoch aufgrund ihrer kaleidoskopischen Facettierung nur aus nächster Nähe kenntlich sind. Der panoptische Kontrollblick scheitert an seiner eigenen Grundbedingung; den Protest wirklich erfassen kann nur, wer an ihm teilnimmt. In einer zweiten Arbeit komprimiert Campbell Hitchcocks fast 2-stündigen Klassiker „Psycho“ auf ein einziges Dia. Auch hier entsteht eine paradoxe Informationsverdichtung: Was aussieht wie eine Nebelwolke enthält die visuelle „Erinnerung“ an den gesamten Film.

Auch in Tatjana Marusics 3-Kanal-Videoinstallation „the memory of a landscape“ geht es um Erinnerung. Ihre alte Heimat Ex-Jugoslawien wird hier als Kulisse für koloniale Phantasien von Exotik und Wildheit zitiert, wie sie in den Karl-May-Filmen der 60er Jahre inszeniert wurden. Zusätzlich verfremdet wird das Bildzitat durch Kaskaden technischer Artefakte. Sie sind Resultat einer gestörten Satellitenübertragung, die Marusic in Kroatien „wieder“-empfing und zur Grundlage ihrer Arbeit machte. Die bunt ausstaffierten Kriegshandlungen, in die Winnetou verwickelt war, lassen sich nur noch erahnen. Umso deutlicher tritt die Erinnerung an die realen Kriege in den Vordergrund, die sich in genau dieser Landschaft noch vor wenigen Jahren ereignet haben.

Der Experimental-Soundkünstler Carl Michael von Hausswolff begibt sich auf die Suche nach akustischen Phänomenen außerhalb unserer Wahrnehmung. Durch den experimentellen Umgang mit handelsüblichen Sonar- und Radargeräten, die er entgegen ihren eigentlichen Bestimmungen verwendet, gelingt es ihm, Geräusche aus verborgene Sphären freizulegen: Er dringt vor in das Reich der „unknown entities“, die auch den Parapsychologen und Forscher Friedrich Jürgenson (1903 -1987) ein Leben lang beschäftigten. In einer zweiten Installation stellt C.M. von Hausswolff Jürgensons einschlägig bekanntes „Audioscopic Research Archive“ vor, das Geisterstimmen aus dem Jenseits hörbar macht.

Kirsten Johannsen nimmt in ihrer sphärischen Video-/ Klanginstallation „Konzert des Aeon“ ein Phänomen unter die Lupe, das vor der Zeit des digitalen Fernsehens noch jedem Fernsehzuschauer vertraut war: Das schwarz-weiß flimmernde Rauschen des Bildschirmes nach Sendeschluss. Dieses per Hausantenne empfangbare „Stör“-Signal zeigt nichts Geringeres als den letzten Rest von Information, der noch vom Urknall erhalten und bis heute als so genanntes „kosmisches Hintergrundrauschen“ messbar ist.

Der Medienkünstler Achim Mohné widmet sich der Poesie des Staubs. „Aufzeichnungen für das Kellerloch“ ist eine Closed-Circuit-Installation, an der die Besucher teilnehmen, indem sie Staub aufwirbeln. Im Lichtschein eines Projektors kurzfristig sichtbar gemacht, erinnern die fliegenden Partikel ebenfalls an kosmische Welten; das Restlicht wird in den dunklen Tiefen eines Lichtsackes verschluckt. Auch Töne lassen sich dem Staub entlocken. Mit Hilfe einer speziell angefertigten Schallplatte, die nur über eine tonlose Leerrille verfügt, lässt Mohne den sich während der Ausstellung darin ansammelnden Staub zu einer immer neuen Herausforderung für die Abspielnadel werden.

Mit seinem präparierten Telefon „Mitte (der Welt)“ ermöglicht Jens Brand den Ausstellungs-besuchern, Rausch-Kompositionen an frei „wählbare“ Adressaten zu senden. Die experimentellen Audio-Stücke sind eine genaue Entsprechung der Entfernung, die zwischen den beiden jeweiligen Telefonpartnern liegt und basieren auf einem dreidimensionalen topographischen Modell der Welt.

Astrid Nippoldts Video „Bloop“ referiert auf die Bezeichnung für ein unidentifizierbares Unterwasser-Geräusch, das 1997 im Pazifischen Ozean aufgenommen wurde. Ihre Arbeit spielt mit unseren Erwartungshaltungen, indem sie Pseudowissenschaften und Hollywood-Dramaturgie gleichermaßen zitiert – und eine überraschende „Auflösung“ für das unheimliche Phänomen bereit hält.

Auf den (Asphalt-)Boden der Tatsachen zurückgebracht werden diese feinstofflichen Auseinandersetzungen schließlich durch das Video „Getaway“ von Matias Faldbakken, welches förmlich durch die gesamte Ausstellung rast. Zu sehen und zu hören ist eine Endlosschleife aus Aufnahmen von illegalen Motorradrennen. Aus der Fahrerperspektive aufgenommen, zeigen sie eine Flucht ins Nirgendwo, die sich den Rändern der Matrix der Kontrolle lebensgefährlich nähert. Der Gleichgewichtssinn gerät fundamental ins Wanken, das Adrenalin rauscht in Höchstgeschwindigkeit.

Zur gesamten Ausstellungsreihe erscheint ein Katalog mit Essays von Martin Conrads, Claus Pias, Birgit Schneider, Ute Holl, Christiane Schulzki-Haddouti und Holly Willis. (ISBN 3-938515-007)

Pressetext

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RealismusStudio
Auflösung II - Rausch/en

mit Arbeiten von Jens Brand, Jim Campbell, Matias Faldbakken, Carl Michael von Hausswolff, Kirsten Johannsen, Tatjana Marusic, Achim Mohne, Astrid Nippoldt