press release only in german

Eröffnung: Dienstag, 19. Januar 2016, 19 Uhr
Es spricht Frizzi Krella, Kuratorin der Ausstellung

Die Ausstellung Palimpsest – Fleck – Punkt ermöglicht einen Blick auf das Medium Zeichnung aus besonderer Perspektive. Vorgestellt werden fünf unterschiedliche künstlerische Positionen, die gleichsam als Aufzeichnungen von Zeitlichkeit gelesen werden können: Überschreibungen, Schichtungen, Durchzeichnungen, Leerstellen. Dabei gewinnt der Fleck als zufällige, anfänglich ungewollte Geste eines Makels oder der Verunreinigung eine neue eigenständige Rolle, er findet erst Bedeutung im Zusammenhang mit dem Bild oder ist Beginn des Bildes.

Lara Faroqhi, Corinne Laroche und Malte Spohr zeichnen sich durch ihre strukturhaften und analytischen Bildkonzepte aus, die Zeitlichkeit in unterschiedlicher Weise seismographisch in ihren Blättern niederschreiben. Die Schichtungen von Linien der Spohrschen Aufzeichnungen visualisieren die Zeit wie die Jahresringe der Bäume. Auch bei Faroqhi schreibt sich in jedes Blatt der künstlerische Prozess ein, eine Schicht überlagert palimpsesthaft die nächste, wie ein Raster legt sie erste flächenfüllende Ordnungen von Formen eines Mikrokosmos an, um sie im nachhinein wieder zu durchbrechen. Die Künstler erkunden Raum, konkreten und imaginären, durch Formen, die ihren Ursprung in der Geometrie oder im Organischen haben, sind also mathematisch-logischen Ursprungs oder entstanden im natürlichen Wachsen. Durch Wiederholungen, Zufälle und Überlappungen werden die Strukturen miteinander verwebt, unterbrochen und mehrlagig aufgetragen. Es entstehen Zeichnungen im Sinne einer Spurensetzung auf Papier, die befreit sind von der Funktion der Abbildung eines außerhalb ihrer selbst existierenden und wiedererkennbaren Gegenstandes.

Corinne Laroches zeichnerische Experimente zur Ausbreitung von Farbe in Abhängigkeit von der Zeit auf Löschpapier reichen von mehrfachen Durchzeichnungen bis hin zu seriellen Reihungen. Gleichzeitigkeit versus Chronologie. Dagegen schreibt sich in die Zeichnungen Tisch von Micha Ullman die Zeit auf eine ganz bezaubernde Weise wie von selbst ein. Die Blätter zu dieser Folge entstanden in einer vom Künstler eigens entwickelten Technik, mit Aquarellfarbe auf Papier, nass in nass. Allmählich auftrocknend hinterlassen reale Gegenstände – Gläser, Geschirr, Besteck –, die auf dem Papier liegen, ihre Abdrücke wie Spuren, Leerstellen. In der Ullmanschen Übersetzung gelesen: die Anwesenheit der Abwesenheit. Als historischer Rückblick wird Carlfriedrich Claus, ein Solitär der Aufzeichnung des 20. Jahrhunderts, gezeigt. Claus verstand wie kaum ein anderer sein gesamtes künstlerisches Arbeiten als fortwährendes Experimentieren. Er entwickelte ausgehend von einer visuellen Poesie mittels Aufzeichnung und Überschreibung seine Sprachblätter und Denklandschaften, in denen er wissenschaftliche, linguistische, psychologische und aktuell politische Fragen reflektierte, zu einem Gedankenuniversum zusammenfügte und in eine einzigartige ästhetische Form brachte – der Palimpsest als Aufzeichnungs- und Denkentwurf zum Akkumulieren von Weltwissen.