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Zum ersten Mal zeigt das Clemens-Sels-Museum in einer umfangreichen Ausstellung einen wichtigen Teilaspekt aus dem immensen Schaffen von Pablo Picasso: die Darstellung seines künstlerischen Selbstverständnisses. Über 100 Grafiken aus exquisiten Sammlungen, mehr als 50 zum Teil noch nie in einer Ausstellung gezeigte Fotografien und zahlreiche, mittels einer Hörstation abrufbare Aussagen des Künstlers fächern dieses fundamentale Thema in einer innovativen und gattungsübergreifenden Form auf. Für das Clemens-Sels-Museum ist es eine besondere Ehre und Freude, dass Claude Picasso, der Sohn des Künstlers, die Schirmherrschaft dieser Ausstellung übernehmen wird.

Wie entsteht ein Kunstwerk? Sein Leben lang hat sich Picasso mit dieser für jeden Künstler existentiellen Frage auseinandergesetzt. Entscheidende Versuche eine Antwort zu finden, sind dabei seine grafischen Arbeiten, in denen er seinen Schaffensprozess auf ganz besonders fesselnde Weise aufschlüsselt. Als er 1927 beginnt, die Novelle Das unbekannte Meisterwerk von Honoré de Balzac mit zwölf Radierungen zu illustrieren, geht es ihm nicht um die szenische Bebilderung des Geschehens, sondern um eine Reflexion der Gedanken, die darin erörtert werden: Ein fiktiver Maler namens Frenhofer scheitert am Ende seines langen Lebens an der vergeblichen Hoffnung ein Bild von vollendeter Schönheit zu schaffen. Die Antwort Picassos besteht in grafischen Blättern, die den unermüdlich arbeitenden Künstler beim unablässigen Versuch zeigen, durch Beobachtung und Fantasie nuancenreiche Werke auszuführen – Blätter, die von der Vielfalt künstlerischer Arbeit leben und eben nicht von dem fixierten Anspruch ein einziges, absolutes Werk zu schaffen.

Auch in den 1930er Jahren setzt sich Picasso mit diesem für ihn zentralen Gegenstand auseinander. Jetzt offenbaren vor allem die Blätter der zwischen 1930 und 1937 entstandenen Suite Vollard faszinierende Einblicke in seine Selbstsicht als Künstler. Die reflektierende Betrachtung des bereits fertig gestellten Werkes gewinnt an Bedeutung, während zugleich die Erotisierung des Modells den Blick auf die triebhaften Seiten des Erschaffens lenkt. Die antike Figur des Minotaurus wird zum Symbol dieser Facette und erscheint ebenso wie andere Alter Ego-Gestalten im Bild: Picassos Helden Rembrandt und Velázquez treten hervor – einerseits wie ehrfürchtige »Zitate«, andererseits aber auch wie Anwälte, die Picassos Anspruch auf vergleichbare Genialität und kunstgeschichtlichen Rang zu proklamieren scheinen.

Nach der Trennung von Françoise Gilot kündigt sich Ende 1953 ein Wandel in Picassos künstlerischer Selbstbetrachtung an. Er beginnt sich intensiver mit dem Thema des Alters und Alterns auseinanderzusetzen; die Vitalität, die er immer so sehr betont und demonstriert hatte, tritt ein wenig zurück und lässt nunmehr einen deutlicheren Voyeurismus in den Schaffensprozess einfließen. Mit beißender Selbstironie hält der Maler im Bild fest, wie sich das ungeminderte Begehren altersbedingt auf anzügliche Blicke verlagert.

Die späten Arbeiten der 1960er Jahre lassen dann unter dem Eindruck der verrinnenden Lebenszeit einen nochmals gesteigerten Schaffensdrang erkennen, in dem Picasso ständig das Geheimnis der Kreativität umkreist – die große Frage eines jeden Künstlerdaseins, das Mysterium schlechthin.

Ergänzt werden Picassos grafische Blätter durch zahlreiche Fotografien von Edward Quinn, Dora Maar und Douglas Duncan, die den Meister bei der Arbeit in seinem Atelier abgelichtet haben. Die bei unzähligen Gelegenheiten entstandenen Aufnahmen sind sowohl Dokumente wie Inszenierungen: Zum künstlerischen Selbstverständnis eines Pablo Picasso gehörte schließlich auch, nichts dem Zufall zu überlassen und nichts an die Öffentlichkeit zu bringen, was diese nicht wissen sollte. Die über eine Hörstation abrufbaren Aussagen Picassos, die aus seinem unmittelbaren Umfeld überliefert wurden, runden die komplexe Zusammenschau zu Picassos künstlerischem Selbstverständnis ab.

Katalog (224 Seiten, 160 Abbildungen) mit Beiträgen von Uta Husmeier-Schirlitz (Clemens-Sels-Museum Neuss), Markus Müller (Graphikmuseum Pablo Picasso Münster) und Carsten-Peter Warncke (Universität Göttingen).

Finissage - Sonntag, 8. Februar 2009, 11.30 Uhr Picassos Bankett für Henri Rousseau – Lesung von Zeitzeugenberichten

Am Sonntag, den 8. Februar, werden die Freunde der Kunst im allgemeinen und des Meisters Pablo Picasso im besonderen noch einmal die Möglichkeit haben, die große und konzentrierte Graphikausstellung zu besuchen, die seit dem 16. November des vergangenen Jahres im Clemens-Sels-Museum für eine ganz spezielle Spannung gesorgt hat. Und auch zur Finissage hat sich Uta Husmeier-Schirlitz eine unterhaltsam fesselnde Feier ausgedacht: das legendäre Bankett, das Picasso im Jahre 1908 für Henri Rousseau gab, nachdem dieser sein erstes Gemälde verkauft hatte – und zwar an seinen Gastgeber selbst, der für ganze fünf Francs das Portrait de femme erwarb, das er dann freilich sein Leben lang in höchsten Ehren hielt.

Pablo Piasso und seine damalige Lebensgefährtin Fernande Olivier wohnten, besser: hausten damals im Bateau-Lavoir, einem völlig heruntergekommenen Holzhaus auf dem Montmartre, wo viele, die später zu größtem Ruhm gelangten, damals ihre bescheidenen Ateliers hatten. Das Bankett zu Ehren von Henri Rousseau ereignete sich in Picassos Studio und bewegte sich, was die Prominenz der Anwesenden angeht, auf demselben Niveau wie jene historischen Gelage Burgundischer Könige oder Florentiner Fürsten, von denen man bis heute wahre Wunderdinge berichtet: Guillaume Apollinaire, Georges Braque, André Salmon, Constantin Brâncusi, Marie Laurencin, Amedeo Modigliani, der Galerist Wilhelm Uhde, Gertrude und Leo Stein sowie Gertrudes Freundin Alice Toklas waren zugegen, und manche der Anwesenden hielten die Sternstunde der modernen Kunst in Festberichten fest, die der Schauspieler Francesco Russo ab 11.30 Uhr im Clemens-Sels-Museum vorstellen wird.

Das Szenarium muss in der Tat spektakulär gewesen sein, wie zum Beispiel aus Fernande Oliviers Erinnerungen erhellt: Der „Zöllner”, mithin der Ehrengast Henri Rousseau, saß auf einem veritablen Thron – einem Stuhl, den man auf einer Kiste postiert hatte. Das ganze Atelier war mit Fahnen und Lampions geschmückt, und auf einem Spruchband war zu lesen: „Hoch lebe Rousseau!“ Nach den Reden bedankte sich Rousseau gerührt. Er nahm seine Violine, um auf ihr zu spielen: „Dabei bemerkte er nicht, wie das Wachs der Kerzen auf seine Glatze heruntertropfte und einen kleinen Hügel bildete. Braque spielte Ziehharmonika, alles tanzte. Jedermann war schön blau. Nüchtern blieben nur die Geschwister Gertrude und Leo Stein und die Freundin Alice Toklas. […] Das Fest endete, als die Sonne schon am Himmel stand.” (Ursula von Kardorff in Adieu Paris)

Und so endet die Picasso-Ausstellung mit einer Beschwörung der avantgardistischen Geister, zu der Sie herzlich eingeladen sind: Sie können sich sogleich einstimmen lassen auf das, was demnächst im Clemens-Sels-Museum am Neusser Obertor zu sehen sein wird: Auf eigenen Wegen - Henri Rousseau und sein Umkreis lautet der Titel der nächsten Ausstellung, die am 8. März eröffnet wird.

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Pablo Picasso - Kreativität und Schaffensdrang
Einblicke in sein künstlerisches Selbstverständnis