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Die Amsterdamer Künstler Jan Robert Leegte und Peter Luining arbeiten an einer re-modernistischen Fortschreibung und Übertragung von digitalen Medien in erweiterte installative Anordnungen. Leegte (dzt. Artist in Residence) dekonstruiert architektonische und skulpturale Erfahrungen, indem die Wahrnehmung von Material und Raum in Bezug auf ihre Ausweitung in Datenräume hinterfragt wird. In Installationen und Online-Arbeiten setzt sich Luining mit den Dynamiken des Internet auseinander, um das Ausgangsmaterial der zugrunde liegenden Software, den Code, gestalterisch zu defi nieren. Jan Robert Leegte studierte Architektur an der Technischen Universität in Delft und Bildende Kunst an der Willem de Kooning Akademie in Rotterdam. Leegte konzentriert sich in seiner Arbeit auf die Dekonstruktion architektonischer und skulpturaler Erfahrung. Im Stil konzeptioneller Bildhauer wie Donald Judd und Bruce Naumann untersucht und erweitert Leegte physische Erfahrungen. Der Computer ist zentrales Werkzeug in Leegtes Arbeit. Der mittels Computer-Interface geschaffene und von zahlreichen Usern genutzte Online-Raum hat das Konzept der Körperlichkeit langsam erweitert. Indem er das Material am Bildschirm in einen räumlichen Kontext einweist, möchte Leegte erreichen, dass der Betrachter die Wahrnehmung von Material und Raum in Frage stellt. Bereits 1997 begann Leegte mit einer allgemeinen Analyse skulpturaler Eigenschaften von Internet- Browsern und Software mittels Verwendung von Bildlaufl eisten und Tabellenbegrenzungslinien im Rahmen von mixed-media Installationen. Die verschiedenen Elemente des Browser-Fensters scheinen durch die Benutzerfreundlichkeit, Interaktivität und Animation eine beachtliche physikalische Wirklichkeit aufzuweisen. Die meisten Menschen sehen die Bildlaufl eiste als virtuelles Objekt; ihre Verwendung löst jedoch oftmals Reaktionen wie Frustration, Ärger oder Klicken aus Langeweile aus. Diese Reaktionen deuten eine unbewusste Akzeptanz der „Realität“ an, die mittels dieser „rahmengebenden“ Objekte skizziert wird.

In der Ausstellung OVERSTIJGEN zeigt Leegte rund drei aktuelle Arbeiten. Die Installation „Scrollbar“ besteht aus einer einzelnen Bildlaufl eiste, die auf einen liegenden Holzbalken projeziert wird. Der Anzeigebalken verändert alle zehn Sekunden im Zufallsprinzip seine Position. So verändert sich die Arbeit, ohne dass der beabsichtigte skulpturale Charakter beeinträchtigt wird. Die Auseinandersetzung mit einem skulpturalen Moment steht im Vordergrund, ein emotionaler Umgang mit (industriellem) Material, Körperlichkeit und skulpturaler Präsenz wird untersucht. In Referenz auf Andy Warhols „Brillo Boxes“ versucht die Arbeit die psychologische Ebene von skulpturalen Darstellungen zu beleuchten, die im Zusammenhang mit industriellem Massenkonsum entsteht. Die Arbeit „Wall Panelling“ besteht aus einer digital weiterentwickelten traditionellen Wandvertäfelung. Die ursprünglich abgeschrägten Felder aus hölzernen Rahmen und Verkleidungen werden durch eine computergenerierte Projektion ersetzt. Diese digitale Wandverkleidung verweist optisch und emotional auf das Standard-Computerinterface und bildet einen Kontrapunkt zur in der Innenarchitektur verwendeten, traditionellen Wandverkleidung. Jedes Feld ist unter Verwendung eines Brownschen Zufalls-Algorithmus als Bildschirmblende programmiert, wodurch die Vertäfelung beständig ihre Zusammensetzung ändert. Die Lichtintensität ist ebenso variabel, die Vertäfelung erhellt sich bei geschlossener Bildschirmblende, beim Öffnen selbiger verdunkeln sich die Felder. „Wall Panelling“ ist eine Installation, die architektonische Erfahrungen der Betrachter untersucht, indem die (ursächlich) stabile Rückwand durch die permanente Aufprojektion in ihrer Konstruktion hinterfragt und zur langsamen Verfl üchtigung gebracht wird.

Peter Luining studierte Mitte der achziger Jahre zeitgenössischen Philosophie und wandte sich danach der Amsterdamer VJ Szene zu. Er begann mit Computern zu experimentieren, machte 3D Animationen, führte Regie bei Videoclips. 1995 veränderte sich seine Arbeit mit der Entwicklung des Internet und der relativ einfachen Weise Interaktivität mittels Webpages zu schaffen grundlegend. Nach einigen wenig beachteten Netzauftritten, erlangte er mit seiner Arbeit „clickclub“ auf dem Transmediale Festival in Berlin erstmals internationale Anerkennung. Dieses Netzstück war zu dieser Zeit in seiner Art einzigartig, da es dem User die Wahl ließ mit seinen Sounds und Bildern OVERSTIJGEN zu interagieren. Seit 1997 hat sich Luinings Arbeit in Richtung einer Auseinandersetzung mit (Neo-) Minimalismen gewandelt, wobei er seine frühere Erfahrung mit der Dynamik des Netzes verarbeitet. Ein wichtiger Meilenstein in seiner Arbeit ist das interaktive öffentliche Kunstwerk für das niederländische Justizministerium „BGO MUI*5“ (2002). Inspiriert von den Problemen, die sich ihm bei der Errichtung dieses großen, öffentlichen Kunstwerks stellten, legte er seine Arbeit konzeptioneller an und begann das grundlegende Material der Computersoftware, nämlich den Computercode in den Mittelpunkt zu rücken. Mittlerweile ist Luining ein durch zahlreiche Ausstellungen anerkannter Künstler.

In der Ausstellung OVERSTIJGEN zeigt Luining rund drei aktuelle Arbeiten. Über die Installation „Formulas“ schreibt der dänische Kritiker Jacob Lillemose: „In digitalen Medien ist ein Bild mehr als nur ein Bild, oder besser gesagt, das Bild gehört sich nicht selbst, da es wie im Stück „Formulas“ auf unzählige Weisen manipuliert werden kann. Peter Luining zeigt die vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten von Filtern im Photoshop Programm. Diese Filter sind kleine Zusatzprogramme, die in Photoshop eingebettet sind und zur Manipulation von Bildern verwendet werden - in diesem Fall ist es die Homepage von Google. Durch die kühle, konzeptionelle Verbindung von relativ einfacher Videodokumentation mit systematischer ad absurdum geführter Programmierung gibt die Arbeit einen Einblick in den künstlerischen Arbeitsprozess. Sie zeichnet sich durch einen hohen Grad an Transparenz aus, demystifi ziert die Funktionalität der Software, während sie eine Öffnung für das Irrationale, das Absurde und das Unerwartete schafft. Der konkrete werkzeughafte Charakter und die digitale Abstraktion gehen ineinander über und erlauben es Luining einen Mehrwert an (ästhetischer) Bedeutung zu schaffen, der zusätzlich zu den rein funktionellen die kognitiven Möglichkeiten der Software erweitert. Die Arbeit bietet zudem Anknüpfungspunkte an die siebziger Jahren, als Künstler wie Robert Smithson und Gordon Matta-Clark aus der Dokumentation des Prozesses ihrer künstlerischen Produktion individuelle Arbeiten schufen. Obwohl sich die sehr körperlichen Arbeiten von Smithson und Matta-Clark stark von Luinings digitalen Arbeiten unterscheiden, gibt es dennoch eine Gemeinsamkeit im Interesse an der Konstruktion eines forschenden und kognitiven Prozesses. Die Arbeit thematisiert die komplexe Beziehung zwischen Software und Bild, dem Textuellen und dem Visuellen, die digitale Medien aufwerfen. Wir erkennen, dass es immer einen (Sub)text gibt, der den bildlichen Bereich festschreibt. In einem metaphorischen Sinn - oder im Kontext der Kunst - hinterfragt die Arbeit daher einerseits die automatisierten Prozesse der täglich von uns benutzten Software und andererseits die ideologischen Codes, die unsere Kultur generell beeinfl ussen. Luinings Kunst lässt uns hinter die Codes blicken.“

Pressetext

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OVERSTIJGEN. TRANSCENDING THE MEDIUM
Jan Robert Leegte, Peter Luining
Kurator: Sandro Droschl
im Rahmen von: aktuelle kunst in graz