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Mit der neuen Sonderausstellung „Oskar Kokoschkas Antike. Eine europäische Vision der Moderne“, die in der Moritzburg in Halle (Saale) vom 28. März bis 20. Juni 2010 zu sehen ist, zieht ein Hauch von Klassischem Griechenland in das Kunstmuseum des Landes Sachsen-Anhalt ein: das antike Hellas, gesehen und gestaltet durch den Blick des bedeutenden expressionistischen Künstlers Oskar Kokoschka (1886 – 1980). Bislang hat es noch keine Zusammenschau der archäologisch-kunsthistorische Untersuchung gegeben, die das Antikenstudium und Antikenverständnis des Malers beleuchtet und kritisch würdigt.

Die Ausstellung der Stiftung Moritzburg zum 30. Todesjahr des Künstlers ist in Verbindung mit dem Archäologischen Museum der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg entstanden und widmet sich nun erstmals in dieser Fülle der Auseinandersetzung des Künstlers mit der Antike.

Oskar Kokoschka schöpft nach dem Zweiten Weltkrieg in seinem Spätwerk aus dem reichem Fundus antiker griechischer Kunstwerke, eignet sie sich künstlerisch an und sucht in ihnen Antworten auf die drängenden Fragen seiner Zeit. Sein Triptychon „Die Thermopylen“,  sein aus den Erfahrungen von Krieg und Exil geborenes „Bekenntnis zu Hellas“, wie er eine Lithografiefolge betitelt, sind fulminante, künstlerische Werke mit dem Ziel, das menschliche Maß in einer maßlosen, aus den Fugen geratenen Welt wieder zu entdecken, und dem ideologischen Missbrauch der Antike, wie er von den Nationalsozialisten betrieben wurde, durch den Verweis auf die ihr zugrunde liegenden humanistischen Werte entgegen zu wirken. Sein künstlerischer Ansatz ist dabei im Wesentlichen nicht formal, sondern zielt auf Vermenschlichung und humanistische Werte.

Aus diesem Bezug auf den Menschen, den Kokoschka der griechischen Antike zuschreibt, leitet er die Notwendigkeit einer figürlichen Kunst ab. Auf diesem Weg gelangt der Expressionist, der „Oberwildling“ aus Wien - wie man ihn titulierte - zur griechischen Antike, die er auf diese Weise für sich und die Gegenwart neu entdeckt.

Der Expressionist Kokoschka sucht den unmittelbaren Ausdruck aber eben nicht im Primitivismus, nicht im Vorbild der Kunst der Naturvölker, sondern in der eigenen kulturellen Verwurzelung. Es geht ihm nicht mehr um Formrausch und Revolte, sondern er will mit seinem „Bekenntnis zu Hellas“ beispielgebend für eine nicht nur ästhetisch verstandene Lebenshaltung sein. Denn die Freiheit, die Kokoschka meint, ist zwar von kompromissloser

Selbstbestimmung gekennzeichnet, jedoch immer gekoppelt mit Verantwortung, ist weniger Aufschrei als mahnender Aufruf.

Nach dem Schrecken und dem ideologischen Wahnsinn des Zweiten Weltkriegs stand eine Rückbesinnung auf tragfähige Werte Europas an, eine Neuorientierung auf die Kokoschka seine eigenen Antworten gab. „Die Thermopylen“ als zentralen europäischen Erinnerungsort hat Kokoschka in einem großen Triptychon 1954 für die Hamburger Universität fest gehalten. Kein Heldendenkmal sind die Thermopylen nach Kokoschkas Lesart, sondern eine Huldigung an den europäischen Gedanken.

In seiner Version des Themas steht nicht der – oft falsch verstandene - Opfermut griechischer Helden im Sinne einer vaterländischen Pflichterfüllung im Vordergrund, sondern es ist die Entscheidungsfreiheit des Einzelnen, der sich in demokratischer Übereinkunft von mündigen Individuen auch gegen scheinbar übermächtige Kräfte zu behaupten weiß, also das Gegenteil von Kadavergehorsam, Vermassung und Gleichschaltung. Die Antike wird dadurch für ihn zum „Menschenland“ (Kokoschka) und ist nicht bloße Kulisse für Historienbilder. In seinen Skizzen gewinnen die Ruinen und Fragmente der Antike eine bemerkenswerte Gegenwärtigkeit, die Figuren werden zum lebendigen Gegenüber.

Thematisch geht es Kokoschka nicht um die künstlerische Wiedergabe von griechischen Kunstwerken und Denkmalen; wenn er auf seinen zahlreichen Reisen vor Ort zeichnet, ist bei der Auseinandersetzung mit Originalwerken der griechischen Kunst immer das eigene Empfinden entscheidend. Ein Verfahren der Selbstvergewisserung, in dem Griechenland zum geistigen Raum wird, der mehr über die Gegenwart als über die Historie aussagt. Hellas erscheint in Kokoschkas Kunst als europäische Utopie für ein freies, friedliches und sinnerfülltes Leben.

In der derzeitigen Diskussion um die Orientierung Europas in einer sich ‚globalisierenden’ Welt können Kokoschkas Werke Wegmarkierungen sein, denn mit der Diskussion des Textes der Präambel des Verfassungsentwurfes für die Europäische Union, die ausdrücklich Bezug auf die „kulturellen, religiösen und humanistischen Überlieferungen Europas“ nimmt, wird deutlich, dass die Auseinandersetzung mit der klassischen Tradition zu den Grundpfeilern der europäischen Identität gehört. Die Interpretation von Kokoschkas künstlerischem Werk kann dazu wichtige Impulse bieten.

Insgesamt 80 Gemälde, Zeichnungen und Drucke sind in der Ausstellung zu sehen.

Herzstück ist das Hamburger Triptychon „Thermopylen“ von 1954 mit den dazugehörigen Skizzen, sowie die großformatige Serie von Lithographien „Bekenntnis zu Hellas“ von 1962 und weitere druckgraphische Zyklen sowie ausgewählte Einzelwerke und Skizzenbücher. Die Leihgaben der Ausstellung stammen aus der Universität Hamburg, der Hamburger Kunsthalle und dem Museums für Kunst und Gewerbe in Hamburg, der Albertina und dem Belvedere in Wien, der Sammlung Rolf Horn im Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte auf Schloss Gottorf, der Martin-Luther Universität Halle- Wittenberg und dem Akademischen Kunstmuseum der Universität Bonn sowie privaten Leihgebern. Noch nie gezeigte Reiseaufnahmen und Selbstaussagen Kokoschkas eröffnen den Besuchern einen persönlichen Blick auf sein Antikenverständnis und runden das Thema ab.

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Oskar Kokoschkas Antike
Eine europäische Vision der Moderne
Kuratoren: Katja Schneider, Stephan Lehmann