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Orte und Menschen
30 Bilder aus 30 Jahren – eine Ausstellung von HSL und fiftyfifty

Orte und Menschen
30 Bilder aus 30 Jahren – eine Ausstellung von HSL und fiftyfifty

Große Jubiläums-Benefiz-Ausstellung
Vernissage am 5.5. um18 Uhr
Eröffnung: Gerd Stenmans, HSL Fachlabor
Einführung: Ralph Goertz, Kurator
www.fiftyfifty.de
www.hsl-fotolabor.de

Dieser Sonderdruck von fiftyfifty begleitet eine Ausstellung, die vom Fachlabor HSL zugunsten der Obdachlosenhilfe fiftyfifty initiiert wurde. Hintergrund ist das 30-jährige Bestehen von HSL, das für viele wichtige Fotografen die Aufnahmen entwickelt, vergrößert und rahmt. Dazu haben jetzt dreißig Künstler jeweils ein Foto, das von HSL produziert wurde, für fiftyfifty zur Verfügung gestellt. Und Katharina Mayer hat eine Fotografie mit allen Mitarbeitern von HSL aufgenommen, dazu eine Edition (Abbildung auf der Rückseite), die hier ebenfalls zu sehen ist. Düsseldorf ist für dieses Projekt der ideale Ort. An der Kunstakademie ging die so genannte „Düsseldorfer Fotoschule“ aus der Akademieklasse von Bernd (und Hilla) Becher hervor mit Künstlern wie Andreas Gursky und Thomas Ruff, die hier selbst zu Professoren berufen wurden, Thomas Struth und Candida Höfer – um nur einige der Vertreter der ersten Schülergeneration zu nennen. Mit diesen Künstlern wurde Düsseldorf innerhalb der Fotoszene international bekannt. Zum Umfeld gehören die (Fach-) Hochschule in Düsseldorf und in Essen die Folkwang Universität der Künste mit ihren verschiedenen Fotoklassen. Und Düsseldorf zieht die ausgebildeten Fotografen an (oder lässt sie nicht mehr los): als Stadt der Werbung mit seinen wichtigen Agenturen und der Modebranche – damit begann vor drei Jahrzehnten die Tätigkeit von HSL; erst allmählich, so berichtet Gerd Stenmans, sind die freien Künstler als Auftraggeber hinzugekommen.

Längst ist die Fotografie der rein „dienenden“ Funktion entwachsen. Fotografie als Kunstgattung steht heute gleichberechtigt neben Malerei, Zeichnung, Skulptur und Installation und verbündet sich noch mit diesen zu Mischformen. Und Fotografie ist ebenso (vor-) gefunden wie inszeniert. Sie arbeitet mit den Mitteln der Collage, ohne dass der Schnitt zwischen den Ebenen erkennbar wäre. Sie ist analog und digital oder nimmt ihre Bilder aus dem Internet und wendet sich damit zugleich dessen Bilderflut zu. Und sie kreiert visuelle Ereignisse. Setzt dabei in Form, komponiert. Zu den Maßnahmen gehört neben möglichen weiteren Schritten in der Bearbeitung die Entscheidung für die Technik und das Format des Abzugs.

Die Auswahl der 30 Bilder für fiftyfifty – die von Gerd Stenmans und Ralph Goertz vorgenommen wurde – beinhaltet Werke so renommierter Künstler wie Candida Höfer und Tony Cragg ebenso wie von Fotografen, die wir aus dem angewandten Bereich kennen. Vertreten sind Altmeister der Werbefotografie ebenso wie junge Künstler wie Nina Brauhauser und Raphael Brunk. Zu sehen sind Bilder, mit denen zu rechnen war, die aber immer wieder erstaunen, und solche, die als Überraschung zu bezeichnen sind.

Letzteres gilt etwa für „Wupperhänge Wolfstall“ (2015) von Horst Wackerbarth (*1950). Zwar ist auch hier, inmitten von Landschaft, das rote Sofa zu sehen, mit dem Wackerbarth berühmt wurde. Aber es fehlt auf ihm der Mensch, der hier üblicherweise porträtiert wird. In Bezug auf diese konzeptuellen, dabei sehr malerischen Fotografien (die, neben anderen Werkgruppen, seit 1979 entstehen) hat sich Wackerbarth als Sammler bezeichnet: „Er sammelt Schicksale“: „Ziel ist es, ein Porträtwerk zu schaffen, eine Galerie der Menschheit. Die Rote Couch ist dabei gemeinsamer Nenner, roter Faden, Bühne, Thron, Kommunikationsplattform zugleich.“ (http://www. horst-wackerbarth.co Und dazwischen also ein Bild wie „Wupperhänge Wolfstall“. Freilich gibt es weitere Fotografien, auf denen inmitten der Landschaft die rote Couch menschenleer steht, etwa auch in die Höhe gerichtet ist. Hier ist sie nach vorne gekippt, sie liefert Schutz vor Wind und Wetter und erinnert vielleicht an ein Zelt – ein Obdach –, Spuren des Menschen allerdings finden sich nicht. Im Bild dominiert das leuchtende Rot mit der Stimmung des Herbstes. Hier, wie in seinen anderen, so genau arrangierten Aufnahmen, gelingt es Wackerbarth den Ort auratisch aufzuladen.
Das vorliegende Foto ist am 26. Oktober 2015 aufgenommen im Bergischen Land, im Waldgebiet Betscheider Bachtal, es stammt aus der Serie „heimat.nrw“, die Wackerbarth kontinuierlich ergänzt. Er weist damit auf die nahe Ferne mit ihren Gegenden und Menschen, dem Erreichten und den Defiziten. Horst Wackerbarth erwähnt auf der homepage von „heimat.nrw“ die Entwicklung dieses Waldgebietes, das von der NRW-Stiftung nach und nach erworben wurde, „(teilweise musste auch Flächentausch organisiert werden)“, um es sodann in einen natürlichen Zustand zu überführen. „Der Wald am Betscheider Bach verfügt über Rotbuchen, Stil-und Traubeneichen am Bachrand, hin und wieder Hainbuchen, Eschen sowie Erlen am Wupperufer, im Unterwuchs Stechpalme (Ilex) und verschiedene Farne.“ (http://www. heimat.nrw/#overview) Bei der so sorgsam arrangierten Fotografie handelt es sich um ein Porträt der Natur, zumal die Stämme mit ihren einzigartigen Wucherungen noch betont sind. Vielleicht ist sie das Bild in der Ausstellung, in dem die Abwesenheit des Menschen am meisten auffällt. Aber fehlt er?

Das Bild von Wolfhard Koeppe (*1952) passt dazu. Ein Bauwagen ist leicht schräg zwischen einen Laster und eine Lagerhalle eingefügt. Davor liegen flächige, teils geschichtete Bauelemente. Die Holzläden sind geschlossen, die Tür des Bauwagens ist vom Betrachter abgewandt. Der Lastwagen und die Halle wirken in ihrem glatten blaustichigen Weiß kalt, unzugänglich. Das Ensemble ist auf Abstand zum Betrachter gerückt, der Boden ist karg: Die architektonischen Konstrukte bauen sich wie eine Festung auf. Wo Wackerbarth eine beredte Auratisierung erzeugt, dokumentiert Koppe die Abwesenheit jeder Emotion.
Wolfhard Koeppe ist auch – abstrakter – Bildhauer, mit den Materialien Holz und Metall, im besonderen mit Edelstahl. Gemeinsam ist seinen plastischen Arbeiten die Ausrichtung an der vertikalen Symmetrieachse. Koeppe interessiert die Textur der Materialien, ihre Mattheit bzw. ihr Glanz. Die Oberfläche fordert, teils in Raster gegliedert, zur Umrundung der Skulptur auf.
Das fotografische Bild nun stammt aus der Serie „Kirmes“ und ist in dieser die wohl lapidarste und hermetischste Aufnahme. Aber der Serientitel rückt alles in ein etwas anderes Licht. Es sind die kleinen Details, die wieder auf den Menschen weisen, die gesättigte Imprägnierung des Wagens, der sich zwischen Schäfer- und Zirkuswagen verhält, das sorgsam Abgestellte mit der hochgeklappten Achse. Dazu liegen die Elemente vor dem Wagen symmetrisch genau, ausgerichtet an der vertikalen Achse zwischen den Fensterlamellen – als habe jemand das alles dann doch nicht ertragen und eine durchdachte Ordnung zum Ausdruck bringen wollen. Und plötzlich fällt das Sonnenlicht auf. Der Wagen mit seinen zierlichen Rädern und der überhaupt ungesicherten Größe könnte an einen Leierkasten erinnern. Vertrautheit könnte – auch als Verlust – aufscheinen ...

Laurenz Berges (*1966) macht im Vernutzten von Architektur Spuren gelebter Zeit ausfindig. Er wendet sich verlassenen, oft vorm Abbruch stehenden Orten zu. Der Mensch ist abwesend, weil ihn hier nichts mehr hält. Seine Bilder entstehen nach langer Suche und ausgiebiger Beobachtung. Zum Aufwand gehört die Aufnahme mit der Großbildkamera.
Seit 2010 gilt seine fotografische Beschäftigung dem Ruhrgebiet: dessen Wandel und der allmählichen Entleerung ganzer Straßenzüge. Er untersucht Geschichtlichkeit als Schichtung von Eingriffen und Hinterlassenschaft. Besonders in Duisburg hat er seine Motive gefunden, so auch in Bruckhausen. Berges vermeidet Narratives, Klischees und Sentimentalität, er sucht nach einer Aussagekraft jenseits jeder Illustration. 2015 waren diese Bilder im Kunstverein Duisburg ausgestellt. „Bruckhausen II“ gehörte dort zu den abstraktesten Aufnahmen. Unklar schon, ob wir uns im Gebäude oder vor dessen Fassade befinden und auf welcher Höhe wir uns über dem Boden aufhalten. Wir sehen aus ziemlicher Nähe, in einem horizontal an einer Leiste austariertem Bildausschnitt, eine irgendwie umständliche Schichtung von Streben und weiteren baulichen Elementen in Stein und Holz. Und dann fällt auf, wie fragil die gesamte Konstruktion ist. Teilweise blättert die Wand ab, das Holz ist rissig, und links sind Einritzungen, die als Reste von Graffiti zusammenzufallen scheinen.

Laurenz Berges gehört – wie auch Katharina Mayer – der zweiten Studentengeneration von Bernd und Hilla Becher an der Kunstakademie Düsseldorf an. Auch bei ihm kommen einige der Verfahren zum Einsatz, mit denen das berühmte Fotografenpaar gearbeitet hat. Das betrifft die rigorose Hinwendung auf Architektur, und zwar auf bestimmte, jeweils typologisch und damit analytisch erfasste Gebäudeformen. Der Blick ist klar und unbestechlich in seiner Sachlichkeit, wozu die räumliche Distanz beiträgt. Das Licht ist gleichmäßig, Zeit scheint in diesen Bildern abwesend, was auch damit zusammenhängt, dass keine Menschen zu sehen sind. Aber damit beginnen auch schon die Unterschiede und im übrigen die Verschiedenheit der Intentionen. Auch Candida Höfer (*1944) gehört zu diesen Fotografen mit Architektur und ohne Menschen, wobei sie auch ganz andere Werkgruppen geschaffen hat. Sie verdeutlicht die Substanz und Funktionalität bestimmter Orte, die noch in Gebrauch sind. Ihre Orte sind in der Regel ohne Privatheit, auch dann wenn sie selbst mit Erinnerung und Geschichte beladen sind (Bibliotheken oder Museen). Durch die Abwesenheit der Menschen wird die Struktur der Räume und Säle augenscheinlich: ihre Architektur und Pragmatik, das Verschwenderische und das Einzigartige – mithin ist Candida Höfer, diese große Künstlerin, dem Wesen der Räume, ihrem Charakter auf der Spur. In „Hanoi I“ nun ist mancherlei anders. „Hanoi I“ ist eine plötzliche Erfahrung in der Hauptstadt von Vietnam. Vertikal ausgerichtet, mit hohen gerasterten Glasfenstern lichthell und in verhaltener Farbigkeit, folgt die Fotografie dem Verlauf des Treppenhauses. Sie führt den rechten Handlauf entlang, der sich zur Linie verjüngt und vom linken Geländer in einem Punkt geschnitten wird: eine hochdifferenzierte Beobachtung über Raumbefindlichkeit und das Erklimmen von faktischer Höhe. Zugleich definiert die Unterseite der darüber liegenden Treppen das menschliche Maß. Und während der Blick bei Berges im frontalen Gegenüber gehalten wird, leitet ihn Candida Höfer über die Geländer sanft weiter. Auch das Bild von Ralph Brück aus seiner Serie „Deconstruction“ wendet sich im Hochformat dem Innenraum zu. Der vorgesetzte, in sich strukturierte Raumkörper wirkt implantiert; er nimmt die Farblinien der Rotunde und die Lamellen des eingezogenen Deckensegments auf. Wie eine konstruktiv minimalistische Installation gibt der Raum immer mehr Informationen über sich preis und wird gleichzeitig immer geheimnisvoller.

Bei Achim Kröpsch hingegen durchquert eine breite Horizontale in quietschiger Buntheit das Format. Zu sehen ist der Ausschnitt eines Schwenkarms auf seinem Wagen für eine Kirmes. Die Schrift steht auf dem Kopf, sie kündigt eine „Revolution“ an. Entgegen aller waagrechten Ausrichtung ist die Fotografie hochformatig und scheidet präzise, einen Gedanken der Kirmesattraktion aufgreifend, zwischen Himmel und Erde.

In der Architektur von Michael Reisch ist alles Individuelle herausgefiltert. Wir sehen serielle Repetitionen genormter Strukturen. Reisch ist ein weiterer Becher-Schüler; er arbeitet seine analogen, bereits nüchternen Aufnahmen digital weiter. Sein Hochhaus der 1970er-Jahre ist von allen Spuren der (menschlichen) Bewohntheit gelöst. In seiner schier unendlichen Gleichförmigkeit in vertikaler Ausrichtung wirkt es nun wie eine hochtechnisierte Forschungseinrichtung – Reaktor oder Raketenbasis – die steil aus der Landschaft herauswächst: Der Bewaldung nach muss sie riesig sein.

Erich Jütten beschäftigt sich in seinen analogen Aufnahmen mit architektonischen Zeitzeugnissen. Zu sehen sind, jeweils mit dem Abstand der Straße, sechs Tankstellen mit Flachdächern. Jüthen zeigt hier einen ausgestorbenen Gebäudetypus aus der jeweils gleichen Perspektive. Die nüchterne, aber doch humorvolle Analyse schärft den Blick vor allem für die Gemeinsamkeiten – bis hin zu den Masten – und für die Absurditäten:
die Bezeichnung „Autokiosk“; den Jägerzaun und das Auto auf dem Dach.

Eine völlig andere Sicht auf das Auto hat Uli Steinmetz zu bieten: Er tastet es in der Draufsicht ab. Steinmetz, der sich in seiner Werbefotografie seit Jahrzehnten mit dem Auto als Sujet beschäftigt, ästhetisiert, es geht ihm um das Design in seiner Perfektion. Er versteht es als Fetisch und Luxus – wählt dazu die entsprechenden Marken aus – und umgibt es teils mit Modells. Hier nun ist das Auto isoliert, dabei im Bildformat zentriert und in einen schwarzen Grund getaucht. Die Parallelführung der stromlinienförmigen, symmetrisch angelegten Konturen wird vom Licht umschmeichelt und zur Hülle verdichtet: Steinmetz zeigt die magische Schönheit des Autos. In der vergleichenden Ansicht von mehreren dieser Aufnahmen wäre zu sehen, wie sorgfältig und genau er dabei das Einzigartige der Autotypen herausarbeitet.

Natürlich beinhaltet die Ausstellung auch Porträts des Menschen, das „älteste“ Genre der Fotografie. Das Porträt vermag hinter die Oberfläche zu dringen und zu psychologisieren. Es legt offen und verdeutlicht. Das gelingt Dieter Eikelpoth (1950-2015) auch mit seiner Folge „Idole der Idole“. Auf dem ausgewählten Bild zeigt Wladimir Klitschko in der Handinnenfläche ein Porträt von Muhammad Ali, mit schwarzen Klebestreifen grob auf der Haut befestigt, also im geöffneten „Werkzeug“. Der Betrachter begegnet beiden Augenpaaren, nichts lenkt ab. Die tonige Nuancierung der Aufnahme erhöht die Konzentration und Anspannung. „Eikelpoths Porträts sind der Versuch, die Unmöglichkeit der menschlichen Charaktere, diese Berg- und Talfahrten in der Psyche, diese komischen und tragischen „Ichse“ in die eine, ungewöhnliche, selbstverständliche Aufnahme zu bannen“, hat Helga Meister in ihrer Darstellung der „Fotografie in Düsseldorf“ zu Dieter Eikelpoth geschrieben (Düsseldorf: Patmos Verlag, 1991) – auch auf dieses Bild der beiden Boxer trifft das zu.

Und zum genauso großartigen Porträtfotografen Michael Dannenmann (*1958) hat wiederum der (von ihm porträtierte) Maler Ulrich Erben geschrieben: In „seinen Portraits ist die Anwesenheit einer verweilenden Zeit spürbar, die den Portraitierten zu sich selber kommen lässt“, und Erben schließt: „Keine Momentaufnahme, sondern vielschichtige und so auch geheimnisvolle Anwesenheit“ (in: Michael Dannenmann, Portraits, Berlin: Distanz, 2012) Wie Eikelpoth ist Dannenmann in der Ausstellung mit einem Prominenten vertreten. Abgebildet ist der Schlagzeuger und Sänger der Popgruppe Genesis - Phil Collins. Hier spürt man freilich nichts von seiner Tätigkeit. Dannenmann sieht Phil Collins, wie er ist. Ganz in Blau gekleidet vor wolkig blauem Grund, das Licht von vorne: all das steigert die Konzentriertheit, die Phil Collins selbst, schon unzählige Male fotografiert, vorgibt: in der Ausrichtung des Kopfes, im Blick, in der Arm- und Handhaltung. Wie von selbst entsteht ein Gespräch auf Augenhöhe, auch mit dem Betrachter.

Neben diesen „klassischen“ Porträts beinhaltet die Ausstellung weitere Darstellungen mit dem menschlichen Antlitz. Aus Michael Jägers Perspektive schließen die beiden Mädchen mit dem gleichen Namen an der Mundlinie so aneinander, dass sie – in einer Art Vexierbild – zu einem Gesicht verschmelzen - ein Zustand der Entrückung, in dem die Kinder relativ klein im Bildformat sitzen und der Abzug in seiner Tonalität mit dem Clair-obscur und der Randbehandlung wie aus vergangenen Zeiten wirkt. Eine Schicht scheint sich zwischen dem Bild und dem Betrachter aufzubauen.

Ganz anders ist die Präsenz des Frauenkopfes bei Achim Schneider. Gesteigert noch durch das schlanke Hochformat, fordert die Frau Aufmerksamkeit ein. Die Augen schauen direkt, rotgerändert, zu uns. Rot befindet sich auch am Mundwinkel und kehrt zwischen Pink und Violett in der Feder wieder, welche mit einem Pflaster befestigt ist und das Auge seitlich verschattet. Ein bisschen Almodóvar scheint in dieser merkwürdigen Maskerade auf. Achim Schneider schildert ein ernstes komisches Spiel mit Korrespondenzen, das in den Bereich der Malerei reicht.

Die Inszenierung führt hier nur Anne-Marie von Sarosdy weiter. Aus ihrer Serie „Home Sweet Home“ zeigt sie eine konsequente Ansammlung von Klischees, fortgesetzt noch im rahmenden Umraum. In einer Mischung aus Alpenidyll und Märchen schaut uns das blondgelockte Dornröschen entgegen und ist doch in seiner Bewegtheit ganz woanders. Anne-Marie von Sarosdy vermittelt das Klima einer heilen Welt, nicht ohne Humor und mit diskretem Verweis auf unsere gesellschaftliche Realität mit der Befragung von Identität und Globalisierung, von Heimat und Nostalgie. Entstanden ist ein prächtiges Bild in der Tradition des Votivbildes und ein Anti-Porträt nach heutigen Verhältnissen

Von Norbert Faehling kommt ein Anti-Stillleben, das Ausdruck für seinen Humor und seine Sorgfalt des Sehens ist. Faehling fotografiert eine Installation aus (Wand-) Bild und Skulptur, die er selbst arrangiert hat. Der Clou seiner Aufnahme liegt in der Spiegelung des Bildes im Wasserglas bei adäquater Ausrichtung des wohl echten Fisches zum falschen Hirschen. Formal spielt die hälftige Teilung des Glases durch den Goldrahmen und die Sichtbarmachung der verschatteten Seite des Sockels mit. Faehlings Aufnahme ist ein Kabinettstück über Potential und Verantwortung des technischen Mediums Fotografie. Inhaltlich schildert er eine unglaublich absurde Szene aus dem Geist des Gelsenkirchener Barock, gesteigert durch die Duplizität des Geschmacks, der keiner ist.

Ein andere Strategie praktiziert Mareike Foecking. 2016 hat sie im NRW-Forum Reihungen und akkumulative Positionierungen von Fotografien gezeigt, die teils ungerahmt auf der Wand angebracht und an einzelnen Stellen um Texte erweitert waren. Die assoziative präzise Annäherung an akute Themen unseres heutigen Lebens kennzeichnet schon ihr Einzelbild bei fiftyfifty. Ein zentrierter Ausschnitt zeigt die Rückenansicht eines jungen Mannes im Straßenbild. Im Schein der Sonne und kontrastierend zum Schwarz tritt die Schrift auf dem T-Shirt erst recht in Erscheinung. Mit dem Punkt am Zeilenende und dem Dollarzeichen macht sie neugierig. Gibt es überhaupt eine Botschaft? Nun, einer der bekanntesten Rapper, der in Harlem geborene Rakim Mayers, nennt sich A$AP ROCKY und sein erfolgreichstes Album heißt LONG. LIVE. A$AP, wobei A$AP die Abkürzung für Always Strive and Prosper ist: den losen Verbund von Jugendlichen in Harlem, zu dem auch Mayers gehört. Andererseits ist ASAP (nun ohne Dollarzeichen) ein Akronym aus der Netzsprache und, schon davor, eine Abkürzung aus dem Militär: As soon as possible – „so schnell wie möglich“: „Long. Live“, geschrieben noch in einzelnen Zeilen, klingt wie ein Boykott dieser Maxime. Ist der junge Mann, der mitten auf der Straße läuft, ein Aktivist oder ein Fan des Rappers oder Jemand, dem das Design einfach gefällt? Mareike Föcking spricht die Verschiedenheit der Ebenen der Kommunikation im öffentlichen Raum an.

Der New Yorker Fotograf Joel Meyerowitz (*1938) erlangte hierzulande mit seinem Projekt „Aftermath: World Trade Center Archive 2001-02“ Berühmtheit: der umfangreichen fotografischen Aufnahme von Ground Zero nach den Anschlägen vom 11. September. In der Fotografenszene der USA, aber auch in Europa und darüber hinaus war er schon vorher bekannt. Bereits in der ersten Hälfte der 1960er Jahre hat er in Farbe fotografiert. Auch ist er ein früher Vertreter der Street-Photography mit lapidar humorvollen Aufnahmen des Alltags.
In einem Film beschreibt Joel Meyerowitz, wie er – 1962 – zur Fotografie gefunden hat, kommend von der Malerei und dem Grafikdesign: Er beobachtete Robert Frank beim Fotografieren. Frank erfasste sein Gegenüber aus seiner eigenen Bewegung und damit entsprechend „live, physical, moving“ (2007/08, https://www fototv.de/ Joel-meyerowitz). Einen ähnlichen Effekt erreicht Meyerowitz in „Wyoming“, indem die schwarzen Kreise an der weißen Fassade räumlich und dynamisch wirken. Ohnehin ist die ganze Szenerie bemerkenswert. Die Tür scheint zu niedrig, und der Mann wendet sich, unterstrichen durch seinen Cowboyhut, dem Fotografen zu als ertappe er diesen bei der Aufnahme. Links und rechts ist die Szene von Autos flankiert. Aber was ist das für ein Gebäude? Joel Meyerowitz hat 2014 in Düsseldorf im NRW-Forum ausgestellt, initiiert und kuratiert von Ralph Goertz. Ihm ist zu verdanken, dass „Wyoming“ über HSL für fiftyfifty zur Verfügung steht.

In diesem Bild spricht Meyerowitz auch die Verfasstheit der Oberfläche und ihre Eignung zum Surrealen an. Weiter getrieben hat dies in der Ausstellung Michael Richter, und zwar in Richtung auf Lautréamonts berühmte „zufällige Begegnung eines Regenschirms mit einer Nähmaschine auf dem Seziertisch“ (Die Gesänge des Maldoror VI,3). In Michael Richters Bild ereignet sich dies in der Schilderung erfundener wuchernder Objekte bzw. Geschöpfe mit einer körnigen „Haut“, die mit flimmernden Härchen und Fellstücken bedeckt ist und darin an Meret Oppenheims „Pelztasse“ erinnert. Und doch rückt das metallische Hammerschlagblau mit den Grün schillernden Flächen der Berührung die Darstellung aus dem natürlichen in den technischen Bereich.

Luftblasen, sprudelnd, gewölbt in unterschiedlicher Größe: Die Fotografie von David Fried schildert eine Metamorphose. Die Idee der Verschmelzung von Zellen ist im Bildtitel angesprochen. Der Korpus der Blasen liegt genau auf der diagonalen Achse des lichten Bildfeldes. Die Präsenz dieser rein aus Konturen und Reflexionen bestehenden Formen ist mit 1 m Höhe gewaltig – und sie weist auf die dreidimensionale Übersetzung. Mit diesem formalen Repertoire arbeitet David Fried ebenso skulptural: im aufeinander Aufbauenden geschlossener Flächen oder als lineares Gerüst mit einem ausgesparten Volumen.

Robin Merkisch zeigt als Bild eine geschlossene, „undurchschaubare“ Form. Er stellt sie in den leeren Raum, ohne Markierung der Auflagefläche. Unklar sind Größe und Materialität, der Zweck sowieso. Der Gegenstand, von Merkisch mit dem Überbegriff Container versehen, ist extrem präzise und lässt an Designprodukte in industriellen Fertigungsprozessen denken. Aber er besitzt die denkbar größte Neutralität, ja, Anonymität – wie eine Blackbox, die doch eine minimalistische Skulptur ist.

Nina Brauhauser ist vertreten mit einer subtil farbigen Aufnahme aus ihrer Reihe der „2dimensional objects“. Das flache Sechseck, das wie eine zugeschnittene Scherbe anmutet und eine weiß leuchtende Seitenfläche und, damit alternierend, einen schmalen schwarzen Schatten besitzt, scheint leicht erhaben vor einer Wand zu stehen oder über einer planen Fläche zu liegen. Die Anlage der Winkel evoziert den Eindruck einer unmerklichen Wölbung nach außen und demonstriert dadurch das Zusammenwirken der Gattungen: Die Arbeit ist Skulptur und fotografisches Bild zugleich.

Die Fotografie von Tony Cragg (*1949) zeigt eine Skulptur. Aufgenommen im Atelier ist dem Foto das Stadium des Ausprobierens anzusehen, es veranschaulicht Craggs skulpturales Denken zu dieser Zeit. „Hybrid“ (1976) ist typisch für sein Werk in diesen Jahren. Da ist das additive Anordnen von ausrangierten Gegenständen vornehmlich aus Plastik. Cragg verbindet dies mit einer genauen Analyse der Formen, wobei er elementare Bauformen der Natur zitiert. Hier nimmt er zwei Kanister, einer in milchigem Kunststoff, einer in Metall, geschnitten in Segmente. Auch dieses „Rohmaterial“ gehört zum skulpturalen Werk von Tony Cragg: David Batchelor hat eigens einen Text zu seinen „Flüssigkeitsbehältern“ geschrieben (Ausst.-Kat. Bonn 2003). Im Foto steht die Skulptur auf dem Boden, die Umgebung ist weitgehend beschnitten. Jedoch ist das Gegenläufige der einzelnen Segmente in den daneben liegenden Holzlatten aufgenommen. Die Wertschätzung dieser Aufnahme durch Cragg ist daran zu erkennen, dass er sie – als Werkinformation – in seinen beiden großen Monographien „Signs of Life“ in der Bundeskunsthalle Bonn 2003 (ebd., S. 384) und „Parts of The World“ 2016 im Von der Heydt-Museum Wuppertal 2016 (ebd., S. 26) verwendet hat.

Ein Beispiel für die Dokumentation eines technischen Arbeitsprozesses liefert der Industriefotograf Toni Krug, der nach seiner Pensionierung frei künstlerisch fotografiert hat. Er zeigt das Funktionieren einer Bohrmaschine ganz ohne den Menschen. Die Ausrichtung der Schienen auf der Arbeitsfläche forciert den visuellen Sog in die Tiefe, die grüne Trommel erinnert an eine Dampflokomotive mit all ihren nostalgischen Anmutungen, hinzu kommt der Reiz des rotglühenden Feuers. Zu sehen ist der Lärm, der sich sozusagen verselbständigt hat.

Die Perspektive der Beobachtung, die Andreas Gefeller einnimmt, abstrahiert ihren Gegenstand. Im Blick von unten nach oben zeigt er gespannte Leitungen im öffentlichen Raum. Wie im Gegenlicht, ausgeschnitten, werden die Linien zu feinen Zeichnungen, erst recht durch das zarte, aber bestimmte Blau und Rot, das allmählich zwischen den schwarzen Strichen auszumachen ist. Mithin erinnert die Konstruktion an ein Spinnennetz, gehalten von allen Seiten, und ist doch zugleich Ausdruck für technischen Fortschritt.

Martin Denker und Raphael Brunk kreieren mit den Möglichkeiten des Digitalen seltsame Szenarien, die sich, atmosphärisch höchst aufgeladen, aus der Vorstellung von Nacht und deren künstlicher Beleuchtung heraus begründen. Martin Denker setzt dazu die Impression des Malerischen ein. Links und rechts leiten Reihen von Bäumen den Betrachter in die Bildtiefe. Raphael Brunk konstruiert eine Häuserzeile wie aus Hollywood in sternenloser, im unteren und oberen Bildbereich undurchdringlicher Nacht. Die gelbe Wendeltreppe sticht ganz merkwürdig hervor, das Gebäude ist mehr ein Gerüst oder schon im Abbruch. Das Bild stammt aus Brunks Serie der „captures“, deren Quelle „ein Computerspiel“ ist. „Jedoch sind die Arbeiten kein rein dokumentarisches Abbild dieser virtuellen Realität, vielmehr entstehen sie mit Hilfe softwareseitiger Eingriffe aus einer Metaebene des Spiels heraus. … Die hierbei entstehenden Abstraktionseffekte bedingen sich im Ursprung der virtuellen Konstruktion und greifen diese reflexiv auf.“ (http://die-digitale.net/raphael-brunk)

Wie viel Wirklichkeit schließlich doch in den Bildern von Denker und Brunk steckt, teilt Gudrun Kemsas Beschreibung einer luxuriösen Schwimmanlage mit seiner üppigen Randbepflanzung in der Dämmerung mit. Kemsa zelebriert mit fotografischen Mitteln eine enorme Zeitdehnung. Die räumlichen Dimensionen sind nicht abzuschätzen. Das Wasser scheint eine gleichmäßig transparente Eisfläche und doch in Strudeln verfangen. Die Palmen wirken bewegt wie im Sturm, erstarrt in ihrer Choreographie.
Die Farben treten überzüchtet auf, überhaupt herrscht eine Künstlichkeit vor. Menschen erwartet man hier sowieso nicht. Dafür: Was für ein Reichtum an Grüntönen!

Britta Lauer und Philip Lethen wenden sich in ihren fotografischen Recherchen der landschaftlichen Natur zu. Sie untersuchen deren Struktur und damit zugleich ihre Prozesse. Britta Lauers Blick schweift über die Arktis – über das Eis teils über, teils unter der Wasserfläche – , der Blick setzt tief ein, verdeutlicht so die Bewegtheit und Substanz der Materie, die im Vordergrund wie Gesteinsbrocken wirkt und weiter hinten als geschlossene Form herausragt. Zu sehen ist ein Naturschauspiels in feinstem Weiß und Blau, das im Schmelzen vielleicht schon den Klimawandel anspricht.

Philip Lethen beschäftigt sich hingegen mit den verschiedenen Böden auf Fuerteventura und verdeutlicht, wie farbig die vulkanische Insel ist. Auch bei ihm steht der Betrachter mitten in der – nun kargen – Landschaft. Lethen lässt vom genau gewählten Standpunkt aus die Natur das Bild komponieren. Verschiedene Bewegungen im bergigen Gelände sind in erstaunlich klaren Schnitten keilförmig gegeneinander gesetzt. Die Weite ist Teil der Natur.

Vom Verhältnis des Menschen zur Natur handeln viele der Projekte von Christo und Jeanne-Claude. Sie sind umweltschonend, von begrenzter Dauer und selbst finanziert, dabei mitunter an abgelegenen Orten realisiert. Was von ihnen bleibt, sind die Erinnerung und Fotografien. Es ist das Verdienst der Aufnahmen von Wolfgang Volz (*1948), dass wir ihre inhaltliche und ästhetische Bedeutung erkennen. Aber der Blick von Wolfgang Volz, der seit 1972 in die Projekte von Christo und Jeanne-Claude eingebunden ist und diese schon in ihrer konzeptuellen Phase begleitet, prägt auch unsere Wahrnehmung dieser Land Art-Projekte in ihrer Schönheit. Viele seiner Aufnahmen werden dabei selbst zu Kunstwerken. Das trifft auch auf die Fotografie zu den „Floating Piers“ auf dem italienischen Iseosee (2016) zu. In diesem Projekt wurde für 16 Tage das Festland mit zwei Inseln begehbar verbunden. Die Stoffbahnen wirken auf dem Foto wie ausgeschnitten, sie verbinden sich zu einem Signet, indem sie als verschobener Pfeil drei Wege zusammenführen. Das kühle Wasser und der glühende Stoff sind gleich gewichtet. Der Eindruck des Abstands zur Erde verstärkt sich durch das Rasante der langgestreckten Streifen und die kleinen Menschen, die eine erstaunliche Künstlichkeit kennzeichnet. In ihren Situationen der Verdichtung und der Vereinzelung kommt Kommunikation und Meditation zum Ausdruck – ganz im Sinne von Christo. Ganz im Sinne aber auch der Intentionen von großartiger Fotografie, wie sie in dieser Ausstellung zu sehen ist.

Thomas Hirsch

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Der Erlös aus dem Verkauf der Arbeiten geht zugunsten der fiftyfifty-Projekte.

DANKE allen Künstlerinnen und Künstlern sowie Gerd Stenmans, Mechthild Urmelt und dem Team von HSL. Danke dem Kurator Ralph Goertz. Danke Katharina Mayer für Titelfoto und Edition. Danke Dr. Thomas Hirsch für den Text und Heike Hassel für das Layout.