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Dim the Lights, 6:07 min

Der Titel „Dim the Lights, 6:07 min“ von Nevin Aladags Ausstellung bei TANAS steckt präzise die Koordinaten für den Großteil ihrer neueren Arbeiten ab – viele davon sind zum ersten Mal in Berlin zu sehen. Aladag bietet verschiedene Zugänge zu Konzepten von Licht und Zeit, Visualisierung und Verlauf, Sichtbarkeit und Dauer. Und all dies geschieht zumeist auf der Grundlage von Ton.

Die bisher nur auf der Istanbul Biennale 2009 gezeigte dreiteilige Videoreihe „City Language“ macht vielleicht am eindrücklichsten jene Verschränkung von Audio, Video und Zeitlichkeit deutlich. Sie bringt Musikinstrumente nicht durch den Menschen zum Klingen, sondern durch Luft und Wasser. Schlussendlich bleiben die Instrumente einer pickenden Schar von Tauben überlassen und emanzipieren sich im letzten Schritt vollkommen von ihrem Spieler: Klanghölzer rollen klingend, scheinbar von allein, durch die Stadt. In „City Language II“ spricht die Stadt abermals im Video zu uns, nun aber gefilmt durch einen Motorradrückspiegel. Hier gelingt es Aladag eine Gleichzeitigkeit von Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit darzustellen: Das Jetzt manifestiert sich im Objekt des Spiegels, der im angelsächsischen Raum verbreitete Schriftzug „objects in mirror are closer than they appear“ wird durch Passagen aus Liedern der zeitgenössischen Popmusik ersetzt. Die noch vorausliegende Strecke bleibt, bedingt durch die Geschwindigkeit des Fahrzeugs, unscharf und verzerrt. Erst durch die räumliche und zeitliche Retrospektive im Außenspiegel, durch das – dem eigentlichen Wortursprung entsprechende – Zurückblicken in die Vergangenheit, wird die Welt scharf und lesbar.

Aladags „Spiegelfamilien“ hingegen scheinen sich an der Formensprache des Minimalismus eines Donald Judd oder Robert Morris zu orientieren. Und doch brechen sie klar mit deren Postulat der Nicht- Referenzialität: die großformatigen Spiegelanordnungen schaffen es in ihrer unspektakulär rechteckigen Form, durch Zusammenstellung und Format, verschiedene anthropomorphe Entwürfe des Konstrukts Familie anzubieten. Der Betrachter kann sich nun selbst in die jeweilige Konstellation „einsetzen“ und hat damit im Augenblick der tatsächlichen und metaphorischen Selbstreflexion die Möglichkeit, eine Momentaufnahme seiner persönlichen und gesellschaftlichen Position zu machen.

Die titelgebende Arbeit „Dim the Lights, 6:07 min“ führt uns zum Ausgangspunkt von Aladags Ausstellung zurück: In einer Metallplatte sind die Stilettoabdrücke einer Tanzperformance zu sehen. Die Metallplatte funktioniert hier im analogen Sinne des Fotopositivs: Als Spur eines Moments haben sich die Schuhabsätze auf dem Material eingedrückt, ganz so wie ein Lichtstrahl eine fotochemische Reaktion auf dem Negativ hinterlässt und von etwas Dagewesenem zeugt. Alada ˘g präsentiert die Metallplatte von der spiegelverkehrten Seite, die Schuhabdrücke ragen uns entgegen und entsprechen damit dem fotografischen Positiv. In der Arbeit „Dim the Lights, 6:07 min“, wie auch in der gesamten Ausstellung finden Abläufe, die durch oder von Ton getragen sind, eine visuelle Form, die der Zeitlichkeit einen zentralen Platz einräumt.

Aladags neuestes Objekt ist eine Makramé-Knüpfarbeit aus Drahtseil. Hier erlaubt die Künstlerin einen materialästhetisch ungewohnten Blick auf eine normalerweise in der Textilverarbeitung angesiedelte Kulturtechnik. Die Knüpfmuster ihres Makramés sind jedoch Visualisierungen des dem Drahtseil selbst innewohnenden Musters: Jeder der einzelnen Fäden besteht wie jedes der Seile aus verschiedenen Strängen, die im Querschnitt ein bestimmtes Muster ergeben. Diese mikroskopische Struktur imitiert Aladag im Muster der Knüpfung und macht damit nicht nur die handwerkliche Tätigkeit sichtbar, sondern schafft es gekonnt, der inneren Struktur des Seils eine visuell nachvollziehbare Form aus sich selbst zu geben.