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In seiner dichterischen Gestaltung weltgeschichtlicher Sicht in der berühmten „Göttlichen Komödie“ (Divina Commedia, 1321), trifft Dante (Dante Aligieri, 1265 – 1321) im Limbus, der Vorhölle, auf die guten Heiden und die Ungetauften. Von der übrigen Hölle (inferno) unterscheidet sich der 1. Kreis, daß dort keine Qualen verhängt sind. Der einzige Fehler der hier Gepeinigten war, daß sie den Christengott nicht kannten. Ihr einziger Schmerz ist eine ewig unerfüllte Sehnsucht nach der Kenntnis Gottes.

Dante, 4. Gesang, 40. Vers: „Durch solchen Mangel, nicht durch eigene Schuld, sind wir verloren, dies unser einziges Leid, daß ohne Hoffnung wir in Sehnsucht leben.“ Diese von der katholischen Lehre heute weitgehend aufgegebenen Lehre der Vorhölle, auch Aufenthaltsort u. a. ungetauft gestorbener Kinder, ist nur ein Aspekt in den hier ausgestellten Arbeiten von Michael Wutz.

Apokalyptische Visionen von Höllendarstellungen äußerten sich schon immer in der bildenden Kunst besonders kräftig, so bei Hieronymus Bosch („Versuchung des heiligen Antonius“, um 1500) oder die des sogenannten „Höllenbruegel“ um 1600.

Der entscheidende Gesichtspunkt zum Verständnis der interdisziplinären Arbeiten von Michael findet sich jedoch in der „Verankerung“ und Bewältigung seiner katholisch-bildungsbürgerlichen Erziehung und seiner Suche nach „wahren Inhalten“, der Klärung zwischen Lebensfreude und Jenseitssehnsucht.

So sind „sehr persönliche Erinnerungen“ in den Bildern der „Sankt Martinskinder“ eingearbeitet. „Stars shined like eyes“ ist eben nicht nur ein lustig-buntes Kinderfestbild, sondern hat auch das Magisch-Mystische, überdeutlich im „St. Martin“, Aquarell 2005, mit 2 Kinderköpfen wie Totenschädel. „Ich brauchte lange, um zu erkennen, was mich eigentlich an diesem kirchlichen Brauch interessierte: die kleinen Kinder tragen ihre warmen Seelen in den kalten Winter. Wir hatten damals auch die Tradition, mit ausgehöhlten Zuckerrüben und brennenden Teelichtern drin von Haus zu Haus zu gehen.“

Michael Wutz gelangt mit seiner Verarbeitung der Vergangenheit und verschiedener Mythologien zur „Wohltat des Erkennens“ (Dante, 3. Gesang, Vers 18) in einer ganz persönlichen, eigenständigen Formsprache. Mit der „Verkantung verschiedener Medien“ (Radierung, Malerei und Film) sucht er eine bestechende Ausdrucksform seiner Ideen.

Zitat Michael Wutz:“Also galt es, in einer ganz dialektischen Tradition, eine Synthese zwischen dem magisch-rituellen-jenseitigen Vergeistigtsein und dem materiell-verpoppten genußsüchtigen Diesseitssein zu schaffen.“ Weiter: “Nun wurde der Voodoo interessant, der nicht nur eine Synthese zwischen der westlichen und afrikanischen Religiosität ist, sondern auch eine solche eines materiell-politischen Widerstandes und einer ziemlich irrationalen Vermischung verschiedener afrikanischer und katholischer Elemente.“ (Daher die vielen Zitate, die auf den Voodoo verweisen wie z.B. der Kuhkopf im Film, der Zwerg mit Zylinder etc.) „Irgendwann begegnete mir dann irgendwo der „limbus parvulorum“ (Vorhölle für ungetaufte Kinder). Ich beschloß diesen Ort in Anlehnung an Totentänze, mexikanischen Totenkult, Voodoo usw. als Jahrmarkt mit Geisterbahnen u. a. zu inszenieren. Im Film wird ganz einfach nur die Geschichte eines Jungen erzählt, der an diesen Ort kommt und als Stern am Himmelszelt endet.“

Es wäre nun zu banal und kurz gegriffen, seine Bildwelten als okkulte Obsessionen und Visionen zu deuten. Alle Werkstücke sind vielmehr Zeichen menschlicher Leidenschaften, so in „Opiumhöhle“: einen zerstörerischen Lasters oder in der „U-Bahn“ mit seiner erotisch-abartigen Anonymität. Vanitas Vorstellungen auch in den Jahrmarktbildern: der run nach der Glitzerwelt der Äußerlichkeiten endet in der Hölle auf Erden. B. Brecht: „Wenn die Irrtümer verbraucht sind, steht uns als letzter Gesellschafter das Nichts gegenüber.“

Von Trugvorstellungen verführt, versäumen viele in ihrer Verblendung das wahre Leben. „Those who slept all day must be swept away“. Dante könnte diesen Satz geschrieben haben: menschliche Unentschiedenheit und Scheu vor Verantwortung wirkt sich übler aus als das Böse selber. Wenn wir also an die jüngsten menschlichen Katastrophen denken, bekommen die Bilder noch eine politische Dramatik: die Augen verschließen, bedeutet schließlich das Chaos.

Helge Gerken

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Michael Wutz
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