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Kann ein Ding humaner sein als ein Mensch? Michael E. Smith hat den Menschen aus seinem Werk gestrichen und durch eine Physiologie und Psychologie der Dinge ersetzt. Abgelegte Kleidungsstücke wie Socken, T-Shirts und Mützen, Haushaltsgegenstände wie Flaschen und Schüsseln, Teile von technischem Gerät oder Tierkadavern werden präpariert und angeordnet wie zu einer Forensik misshandelter Leben, die sich in ihren materiellen Bruchstücken fortsetzen.

Smiths Skulpturen und Bilder entstehen aus einem sparsamen Fundus von Materialien, die zuvor körperliche Grundbedürfnisse nach Nahrung, Wärme und Unversehrtheit sicherten oder technischen Alltagsroutinen dienten. Er nimmt sie aus dem Gebrauch und legt sie in die Leere seiner Ausstellungen, wo sie Deckung im Raum oder bei sich selbst suchen. Aus der sozialen Welt entlassen, deren Teil sie einmal waren, umhüllen und stützen sie sich gegenseitig oder bleiben isoliert.

Oft haben sie anatomische Proportionen von Torsi und Gliedmaßen oder die Größe eines Kopfes. PVC-Schaum stopft sie aus, Harze zwingen sie in rigide Formen, ihre Oberflächen sind verklebt und zerkratzt. Sie tragen Spuren ehemaliger Verwendung wie eine Kruste. Smiths Objekte erscheinen wie physische Rekonstruktionen emotionaler Angreifbarkeit und Versehrtheit, seine Ausstellungen wie eine Archäologie der Humanität.

Denn die Dinge, in und mit denen wir leben, sind mehr als nur Beiwerk des Selbst. Zumal da, wo sie das Überleben sichern, sind sie unsere Existenz. Zu einem Zeitpunkt, da westliche Gesellschaften die Grenzen ihres Wachstums überschreiten und sich von Expansion auf Selbsterhalt umstellen müssten, hält Smiths Werk dem ökologischen und ökonomischen Desaster der Epoche einen Materialismus der Grundbedürfnisse entgegen.

An asketische Ideale des „Weniger ist Mehr“ lässt es sich aber gerade nicht anschließen. Denn längst verbreiten sich bescheidene Lebensweisen wider Willen, und die wirtschaftliche Umverteilung von unten nach oben trägt die Angst vor dem sozialen Abstieg in die Mittelklassen. Für Viele bedeutet „Weniger“ das Leben an einer Schmerzgrenze, die Smiths Objekte anstelle eines Gemeinwesens nachempfinden, das für seine Bedürfnisse taub geworden ist.

Zum zweiten Mail zeigt KOW Michael E. Smith mit neuen Skulpturen und Installationen, die weitgehend in den Ausstellungsräumen vor Ort entstanden. Zeitgleich zeigt das Ludwig Forum Aachen Smith noch bis zum 23. Juni in einer Einzelausstellung, deren umfangreicher Katalog am 6. Juni bei KOW präsentiert wird. Michael E. Smith, 1977 geboren in Detroit, war 2012 auf der New Yorker Whitney Biennale vertreten. Er lebt und arbeitet in New Hampshire.

Alexander Koch

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MICHAEL E SMITH

künstler:
Michael E. Smith