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Wir freuen uns sehr, Mariele Neudecker und (e.) Twin Gabriel mit zwei parallel stattfindenden Einzelausstellungen in der Galerie präsentieren zu können.

Die Arbeiten Mariele Neudeckers durchmengen virtuos wahrnehmungstheoretische Prinzipien mit kunsthistorischer Rezeption. Dabei unterzieht die Künstlerin gezielt jene Werke oder Epochen einer ganz eigenständigen Interpretation, die sich selbst bereits dem Phänomen von Wahrnehmung anhand der Beschreibung meteorologischer, psychologischer und atmosphärischer Zustände genähert haben. Besonders deutlich tritt ihre Arbeitsweise in den sogenannten “Tank-Arbeiten” zutage: dreidimensionale Landschaften en miniature, häufig auf Vorlagen von Gemälden beruhend, eingelassen in einen Behälter voller Flüssigkeit. Diese wird zum erklärenden wie verunklärenden Medium zugleich, das als trübe oder farbige Lösung die malerische Illusion des Vorbildes fortführt und doch in Salzwasser und Farbstoff diffundieren lässt.

Eine ihrer jüngsten Arbeiten etwa, “There Go I”, beruht auf einer der Versionen von Arnold Böcklins “Toteninsel”. Die gespenstische Atmosphäre der Szenerie wird beibehalten, doch während das Gemälde ein Rätsel bewahrt, gibt Mariele Neudecker bereitwillig ihre Ingredienzien preis. Sie löst das Morbide auf in der düster empor ragenden Felsenkulisse aus Fiberglas und dem tief Schwarz gefärbten Wasser, das nun die Insel umspielt. Aber auch der Titel des Werkes kann durchaus als Memento mori verstanden werden. In ihrer dreiteiligen Arbeit “Over and Over, Again and Again” führt Mariele Neudecker die Zersetzung und Sektion von Wahrnehmung über ihre bisherigen Lösungen noch hinaus: Drei Tanks stehen als individuelle Werke im Raum, jedoch fügt der Blick von einem ganz bestimmten Betrachter-Standpunkt aus die drei Miniatur-Landschaften scheinbar zu einer einzigen zusammen. Hier nutzt die Künstlerin raffiniert, einem manieristischen Vexierspiel gleich, das plastische Modell sowie den leeren Raum zwischen den einzelnen Skulpturen, um den Eindruck einer gemalten Illusion zu erzeugen. “Over and Over, Again and Again” ist eine in die Koordinaten der Galerie übertragene Sehpyramide, deren einzelne Kegelschnitte sich erst im Auge des Betrachters wieder zu einem Bild vereinen.

 (e.) Twin Gabriel teilen mit Mariele Neudecker die Erkenntnis, dass das Kunstwerk immer erst im Kopfe des Betrachters entsteht. So spielt die subversive Inszenierung bei (e.) Twin Gabriel eine große Rolle, die sie in präziser Improvisation, gepaart mit visuellen Schlüsselreizen, darbieten – so auch in ihrer vierteiligen Fotografie-Serie “Tote Familie”. Die Vorgeschichte, Vorarbeit und Vorbereitung zu ihren Werken bleiben dabei stets im Verborgenen. Diese sich auszumalen, bleibt der Phantasie des Betrachters überlassen...

 “Totstellen ist eine verbreitete Methode in der Tierwelt, um sich der Aufmerksamkeit des Fressfeindes zu entziehen. Der menschliche kollektive Freitod ist eine unerhörte Provokation. Massensuizide, wie jüngst von Mitgliedern des ‘Sonnentempler-Ordens’ oder der ‘Heavens-Gate’ Sekte, bewirken ein zweifelhaftes Faszinosum. Serielle Disziplin bis in den Untergang. Dies gilt in noch stärkerem Maße etwa für den Tod der Familie Goebbels im Bunker der Reichskanzlei in Berlin am 1. Mai 1945. Hier wird das Entsetzen noch gesteigert durch die Ruchlosigkeit der ‘bösen Frau’ und ‘Mutter’, die ihre eigenen Kinder mit Zyankali vergiftet. Der trotzige Terror des Selbstopfers in seiner Endgültigkeit erzeugt eine gewisse widerliche Schönheit, der man sich schwer entziehen kann. In diesem Sinne wirken die toten RAF-Terroristen in den 70er Jahren der BRD wie Gespenster, wie der ‘lange Arm’ der Goebbelskinder. Das Bild vom toten Menschen und das Spiel mit dessen Bild erzeugt starke ambivalente Gefühle beim Betrachter. Das nutzen die Massenmedien ganz gezielt. Die Aufregung darüber, welche Bilder gezeigt werden dürfen und welche nicht, entzündet sich insbesondere bei der Abbildung von Toten – mit dem Ergebnis, dass man sie am Ende zu sehen bekommt. Sich dem Sog hinzusehen zu entziehen, ist schwer, obwohl man schon vorher weiß, dass sich immer irgendeine Gradation von Grauen einstellt – ein Schauder, der dem gewissenhaften Menschen unredlich erscheint. So hat die Betrachtung von Toten, selbst in Würde, immer auch etwas Schmieriges, Banal-Lüsternes, etwas, dessen man sich unwillkürlich schämt.” (Else Gabriel) Text: Astrid Mania