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Berlin gehört in Deutschland zu den wachsenden Städten. Berlins Verheissungen und Erzählungen locken. Der Neubau von Siedlungsarealen, Umstrukturierung und Gentrifizierung sind das Resultat von Begehren, Aneignung oder gezieltem Ordnen durch Bebauung. Die Ausstellung am 26.8. und das Seminar am 21.9. umkreisen Architektur und Stadt als Projektionsfläche gesellschaftlicher Realitäten und Wunschvorstellungen sowie individueller Imaginationen.

Man könnte es die Elastizität des Raumes nennen. ist ein Zitat aus der Architekturlehre von Bruno Taut (1880–1938). Abgesehen von den vier Dimensionen Länge, Breite, Höhe und Zeit hat die Architektur nach Ansicht von Taut noch weitere Dimensionen: Licht, Schall, Luft, Klima – und die Beziehungen, die ein Raum zu seinen Nachbar- und Nebenräumen hat, eine Straße oder ein Platz zu den Nachbarstraßen. Letzteres könnte man die Elastizität des Raumes nennen. Taut zufolge ermöglicht die völlig elastische Nachgiebigkeit und Anpassung Brauchbarkeit. Elastizität lässt Begehren zu und seine unterschiedlichen Ausprägungen. Elastizität ist eine Kategorie der Durchlässigkeit und des Austauschs, aber auch der Veränderung, der Unschärfe, der Nutzungsverteilung, der Nutzungsdefinition und nicht zuletzt des Prekären. Lassen sich Tauts Gedanken über Proportion, ökologische Nachhaltigkeit, soziale, ökonomische und technische Angemessenheit auf die Gegenwart übertragen? Was können wir von Taut lernen?

Der Architekt und Urbanologe Bruno Taut ist in Berlin vor allem durch die die Hufeisensiedlung und die Siedlung Onkel Toms Hütte bekannt. Der Vertreter des Neuen Bauens hatte ein eher lebenspraktisches Verständnis der Moderne. Dies drückt sich zum einen in der besonderen Bedeutung von Farben und Glas in seiner Architektur aus. Zum anderen erweiterte er mit seinem Konzept der „Proportion“ den Architekturbegriff hinsichtlich einer ausgewogenen Relation zwischen allen Faktoren, die beim Entstehen eines Bauwerks wirken: Klima, technische Ausstattung, Konstruktion, Kosten, Ausführung und die Nutzung. Die Proportion bezog Taut darüber hinaus auf die soziale Vision, die in seinen Siedlungsanlagen als baulich-gesellschaftliches Gefüge manifest wird.

Neben diesem Bekenntnis zu einer realistischen, sich ihrer sozialen Funktion bewussten Architektur findet sich in Tauts Werk eine intensive Beschäftigung mit unausführbaren architektonischen und sozialen Visionen. Diese Visionen waren als Vor-Bilder für eine andere, nicht profitorientierte, keine Kriege erzeugende Welt gedacht, und die Nichtrealisierbarkeit der Projekte diente gerade als wichtiges Merkmal für die „Reinheit der Idee“. Das Aufscheinen dieser jenseitigen Welt stellte für Taut die Voraussetzung für eine menschenwürdige Bewältigung des Alltags dar und ein mögliches geistiges sowie künstlerisches Ziel menschlicher Gemeinschaft. Taut entwickelte unter anderem das Modell einer gigantischen Gemeinschaftsinitiative aller europäischen Völker: die Verwandlung der Alpen in eine Kunstlandschaft. Der Dekoration der Erde schrieb er eine heilende Kraft zu: Er stellte sich vor, wie die durch Luftschiffe in die Bergwelt beförderten Menschen durch den Anblick all dieser Herrlichkeit von ihren Krankheiten geheilt würden.

Die Ausstellung, die am 26. August in der Forgotten Bar und am 20. September in der Bibliothekswohnung gezeigt wird, thematisiert verschiedene Formen der Raumproduktion und der Elastizität des Raumes in Fotos, Videoarbeiten/Moving Image Works und architektonischen Entwürfen von Arno Brandlhuber, Klaus Braumann, Nine Budde, Beate Gütschow, Stefan Hoenerloh, Patrick Huber, Lisa Junghanß, Ute Lindner, Josephine Meckseper, Isa Melsheimer, Bernhard Prinz, Jan Svenungsson, Mirjam Thomann und August Zimmermann.

Am 20. September hält der Architekt und Autor Winfried Brenne im Rahmen der Veranstaltung „Akademie c/o Anna-Catharina Gebbers | Bibliothekswohnung“ einen Vortrag über Bruno Taut. Er hat zahlreiche Bücher zu Taut publiziert, darunter Siedlung Onkel Tom Berlin-Zehlendorf. Einfamilienhäuser 1929. Architekt Bruno Taut (1998) und Bruno Taut. Weltsicht, Erbe und Visionen (2009). Winfried Brenne arbeitet seit 1978 als selbständiger Architekt mit den Schwerpunktbereichen Siedlungsbau und ökologisches Bauen.

Die Akademie c/o ist ein Projekt des Masterprogramms a42.org der Akademie der bildenden Künste Nürnberg (Arno Brandlhuber, Silvan Linden) und der Buchhandlung Walther König (Christian Posthofen) in Kooperation mit der Zeitschrift Arch+. Thematisch verhandeln die Berliner Seminarveranstaltungen die Raumproduktion in der "Berliner Republik". Dozenten verschiedener Bereiche der Kulturwissenschaften werden eingeladen, zum Metadiskurs von Theorie und Praxis, Erkennen und Handeln zu reflektieren. Architektur und Raumproduktion werden nicht primär über Mauern, Säulen oder Grundrisse definiert, die Akademie c/o untersucht vielmehr das „Ordnen von sozialen Beziehungen durch Gebautes“, also Fragen des Gebrauchs, des Nicht-, Warum- und Für-Wen-Bauens.

Bislang fanden die Seminare regelmäßig in der Temporären Kunsthalle Berlin statt. Für das Seminar über Bruno Taut wird die Akademie für einen Abend im Projektraum Anna-Catharina Gebbers | Bibliothekswohnung (www.bibliothekswohnung.com) gastieren.

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English abstract:

Berlin is one of the few growing cities in Germany. Its promises and narrations are appealing. The new building of residential areas, restructuring and gentrification are the result of desires, annexation or the purposeful covering with buildings. The exhibition on August 26th at the Forgotten Bar and the seminar and exhibition on September 21st at Anna-Catharina Gebbers | Bibliothekswohnung focus on social realities and fantasies as well as individual imaginations that revolve around architecture and the city. The sentence Man könnte es die Elastizität des Raumes nennen. (One could call this ‘the elasticity of space’.) quotes the architect Bruno Taut (1880–1938), who is known for his Hufeisensiedlung and the residential area Onkel Toms Hütte in Berlin. In his teachings on architecture he writes: “Function has four dimensions; length, width, height, and time. The fifth dimension is the relation of space to its neighbouring spaces, valid also for streets and squares. One could call this ‘the elasticity of space’. The sixth dimension is the light, the seventh the sound, the eighth could be the specific weather and climate conditions, etc. One cannot regard any of these dimensions as isolated from one another but needs to order them harmoniously together.“ Could Taut‘s ideas on proportion, environmental sustainability, social, economic and technical adequacy be transferred to the present? What can we learn from Taut?

Forgotten Bar / Galerie im Regierungsviertel, Boppstr. 5, 10967 Berlin + Anna-Catharina Gebbers | Bibliothekswohnung, Ziegelstr. 2, 10117 Berlin

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Man könnte es die Elastizität des Raumes nennen.
Kuratoren: Anna-Catharina Gebbers, Julian Scholl

Künstler: Arno Brandlhuber, Klaus Braumann, Nine Budde, Beate Gütschow, Stefan Hoenerloh, Patrick Huber, Lisa Junghanss, Ute Lindner, Josephine Meckseper, Isa Melsheimer, Bernhard Prinz, Jan Svenungsson, Mirjam Thomann, August Zimmermann

Stationen:
Galerie im Regierungsviertel, Berlin
Anna-Catharina Gebbers Bibliothekswohnung, Berlin