press release only in german

Das Aargauer Kunsthaus in Aarau präsentiert im Frühjahr 2011 eine grosse Einzelschau der Schweizer Künstlerin Mai-Thu Perret. Die Ausstellung umfasst Skulptur, Installation, Malerei, Video, Performance und Textarbeiten und ist die bisher umfassendste Präsentation der international bekannten Künstlerin.

Mai-Thu Perret (*1976) hat in den letzten Jahren mit ihrem ambitionierten und multidisziplinären künstlerischen Schaffen in Europa und den USA viel Aufmerksamkeit erhalten. Ihrem Werk, das Skulptur, Installation, Malerei, Video, Performance und Textarbeiten umfasst, liegt ein breites kultur- und kunsthistorisches Referenzsystem zugrunde. Dabei interessiert sich die in Genf lebende Künstlerin insbesondere für Avantgardebewegungen des 20. Jahrhundert und utopische Lebensentwürfe.

Das Aargauer Kunsthaus zeigt mit der Einzelausstellung The Adding Machine den vielfältigen Ansatz von Mai-Thu Perrets Schaffen auf. Präsentiert werden zahlreiche Werke, die explizit für die aktuelle Schau entstanden sind, wie auch einige ältere Arbeiten. Das Anliegen der Künstlerin, dass die Werke der Ausstellung in Verbindung zueinander und nicht isoliert wahrgenommen werden, ist bereits im Ausstellungstitel angelegt. The Adding Machine ist eine Referenz an William S. Burroughs "cut-up"-Technik. Der amerikanische Schriftsteller zerschnitt seine Manuskriptseiten, um sie dann, dem Zufallsprinzip folgend, nach Belieben neu anzuordnen. Daraus resultiert eine assoziative Erzählstruktur wie sie auch der Ausstellung

Mai-Thu Perrets zugrunde liegt: In ihrer Kombination erschliessen sich zwischen den einzelnen Werken neue Querbezüge und Bedeutungen. In der Ausstellung im Aargauer Kunsthaus nimmt die neue Videoinstallation Space-Time Rhythm Modulation – The Most Difficult Love (2010) eine Schlüsselposition ein. In dieser vielschichtigen Arbeit, bestehend aus einem raumgreifenden skulpturalen Element, auf das im Wechsel drei Filme projiziert werden, verwebt Mai-Thu Perret literarische, historische und autobiographische Bezüge miteinander. Darin fliessen Fragmente der bewegten Lebensgeschichte der polnischen Avantgardekünstlerin Katarzyna Kobro (1898- 1951) ein. Kobro symbolisiert für Mai-Thu Perret eine Art Mutter Courage, eine moderne Künstlerin, die trotz politischen und privaten Schwierigkeiten ihre Arbeit weiterführte. Diese Hommage an Kobra verbindet sie mit dem Science-Fiction Roman Wir (1920) des Russischen Schriftstellers Jewgeni Samjatin. Mai-Thu Perret versteht diese neue Filminstallation als historischen Vorläufer zu ihrer Erzählung The Crystal Frontier, einer fiktiven Geschichte über eine Frauenkommune, die in der Wüste von New Mexiko lebt, um sich kapitalistischen und patriarchalen Gesellschaftsstrukturen zu entziehen. Die in einem ständigen Wandel begriffene Utopie The Crystal Frontier fungiert massgeblich als Ausgangspunkt für Mai-Thu Perrets künstlerisches Schaffen. Sie präsentiert diese Fiktion in Form unterschiedlicher Textfragmente. Die bislang umfangreichste Sammlung dieser Texte hat Mai-Thu Perret im Künstlerbuch Land of Crystal (2008) vereint.

Weitere wichtige Werke in der Ausstellung sind grossformatige installative Arbeiten wie A Uniform Sampler (2003) und Planetary Harmony (2006). Letztere ist eine begehbare Skulptur in Form einer überdimensionierten Teekanne, die zugleich als Bildergalerie fungiert. Vertraute Grössenverhältnisse werden obsolet. Erstmals präsentiert wird die Skulptur The Adding Machine (2011), eine Kopie eines archäologischen Fundes aus Teotihuacan (Mexiko). Für Mai-Thu Perret trägt diese Replik die Spur einer verlorenen Zivilisation in sich. Durch die Transformation in Polyurethanschaum verändert sie dessen Lektüre und stellt die Frage nach dessen Vergangenheit - Welche Funktion hatte das Objekt damals? - und nach dessen Beziehung zum Heute. Diese installativen Arbeiten werden in der Ausstellung in Aarau kombiniert mit einer neuen Serie Keramikreliefs sowie kleinformatigen Acrylgemälden, Objekten und Text- beziehungsweise Teppicharbeiten.

Das Arbeiten mit Fragmenten und Zitaten von historischem Material ist bezeichnend für den künstlerischen Schaffensprozess Mai-Thu Perrets. Inspiriert von der Formensprache Piet Mondrians konzipiert sie exklusiv für das Aargauer Kunsthaus vier abstrakte, wandgrosse Neonarbeiten, die sich formal aufeinander beziehen und in den Kabinetträumen des Museums in ihrer Einzigartigkeit zur Geltung kommen. Die Künstlerin kreiert zudem für Aarau eine Wandtapete. Für das Design hat sie sich von den hochkarätigen Beständen konkreter Kunst der Kunsthaus Sammlung inspirieren lassen. Die Tapete schafft - sozusagen als Hülle für das Intime - ein durchaus irritierendes häusliches Ambiente im Museumssaal. Ein weiterer Höhepunkt in der Ausstellung wird der neue Film In Darkness Let Me Dwell sein, für den Mai-Thu Perret im September 2010 mit dem Grand Prix der Jury des IDHEAP, Lausanne ausgezeichnet. Für Aarau wird die Arbeit mit einer von Ikue Mori, einer japanischen Avantgarde Musikerin, komponierten Tonspur unterlegt. Im Video unternimmt die Protagonistin eine Pilgerreise durch England. Sie taucht aus einer U-Bahn Station in London auf, wandelt durch urbane Quartiere bis zur Küste in Kent, wo sie ins Wasser steigt und darin verschwindet. Für Mai-Thu Perret steht die weibliche Figur symbolisch für die Melancholie sowie als Stellvertreterin für Dichter und Künstler. Das an eine surrealistische Träumerei erinnernde Video weist unverkennbare Referenzen an Luis Buñuel und Salvador Dalí auf.

Die Ausstellung The Adding Machine entsteht in Zusammenarbeit mit dem MAGASIN – Centre National d'Art Contemporain in Grenoble (F), wo die Schau in veränderter Form vom 15. Oktober 2011 bis 7. Januar 2012 zu sehen sein wird.

Mai-Thu Perret (*1976, Genf) lebt und arbeitet in Genf. Nach dem Literaturstudium an der Cambridge University (UK) hat sie das Whitney Independent Study Program in New York absolviert. Sie war unter anderem in folgenden Institutionen mit einer Einzelausstellung vertreten: University of Michigan Museum of Art, Ann Arbor (2010-11); Aspen Art Museum, Aspen (2009); San Francisco Museum of Modern Art, San Francisco (2008-09); Kunsthalle St. Gallen (2008); sowie Bonnefantenmuseum, Maastricht (2007), und hat an zahlreichen Gruppenausstellungen im In- und Ausland partizipiert, beispielsweise im Migros Museum für Gegenwartskunst, Zürich (2010); Haus der Kunst, München (2010); Malmö Konsthall, Malmö (2010); Contemporary Art Center, Vilnus (2009); Kunsthaus Zürich, Zürich (2008); Centre Culturel Suisse, Paris (2007); Palais de Tokyo, Paris (2007); MAMCO, Genf (2007); Calouste Gulbenkian Foundation, Lissabon (2007); P.S.1, New York (2006); oder im Zendai Museum of Modern Art, Shanghai (2006). Die Künstlerin wurde zudem kürzlich mit dem Zurich Art Prize und dem Manor Kunstpreis Genf ausgezeichnet.