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The last days in chimalistac in der Kunsthalle Basel ist Leonor Antunes’ erste Einzelausstellung in der Schweiz. Die in Portugal geborene und in Berlin lebende Künstlerin nutzt die gesamte Fläche des Untergeschosses der Kunsthalle für ihre Installation aus einer Reihe skulpturaler Arbeiten, die sich mit der Geschichte der Architektur, des Designs und, wenn auch seltener, der Kunst des 20. Jahrhunderts beschäftigen. Antunes’ Skulpturen basieren häufig auf den Dimensionen ausgewählter Designgegenstände, architektonischer Details und Kunstwerke, die der internationalen Bewegung der Moderne zugehören. Die Künstlerin verwendet dabei andere Materialien als die von den Designern ursprünglich eingesetzten, und die Objekte, die als Vorbilder für die Skulpturen dienen, werden verkleinert oder bewahren ihre Originalgrösse, wobei die Proportionen erhalten bleiben. Bei den meisten der Werke, Objekte und Gebäude des 20. Jahrhunderts, mit denen Antunes sich befasst, werden der Baukörper, das Designobjekt oder die Bildfläche durch ein Raster strukturiert. Die durchgängige Präsenz eines Rasters wird damit zur augenfälligsten Gemeinsamkeit von Antunes’ eigenen skulpturalen Arbeiten; sie sind in diversen Materialien realisiert, die stets eine natürliche oder leicht altertümliche Anmutung haben ‒ wie etwa Seil, Holz, Leder und Messing ‒, und setzen Techniken um, die oftmals der traditionellen Handwerkskunst aus Regionen wie Südamerika, Mexiko oder Portugal entliehen sind. Nicht nur wird für die Herstellung der Skulpturen die einfache, oft archaische Technik gewissenhaft wiederbelebt und angewendet, auch die individuellen Bestandteile der Skulpturen wiederholen die Formen sowie die funktionale Struktur der Objekte und Utensilien, die ihnen als Vorbilder dienten ‒ wie etwa Pferdegeschirr, Fischernetze, Fliesen oder Raumteiler.

Einigen der im ersten Saal installierten Arbeiten von Antunes ist eine frappierende, scheinbar fragile Linearität zueigen. Sie bestehen aus so unterschiedlichen Stoffen wie verflochtene und geknotete Schnüre, geheftete Lederbänder oder auf einem Webstuhl handgewebte Bänder aus Baumwollgarn. Sie hängen herab und schweben in der Luft, rotieren oder geraten einfach nur durch den Luftzug, den die Bewegungen der Besucher verursachen, in Schwingung; allesamt sind sie aus leichten Einzelteilen unterschiedlichen Materials akribisch zusammengesetzt, statt aus einem festen oder weichen Material herausgearbeitet oder modelliert worden zu sein. Die Skulpturen, die der Schwerkraft, die sie nach unten zieht, trotzen und diese Anziehungskraft dabei zugleich sichtbar machen, hängen an drei verschiedenen Arrangements aus rechteckigen Eichenholzrahmen, die wiederum unter dem sich in drei Abschnitten über die gesamte Länge des Saals erstreckenden Oberlicht an Hanfseilen aufgehängt sind. Die Holzrahmen dienen somit als Verbindungsglied zwischen dem geometrischen Raster des Oberlichts und dem organischen Arrangement der hängenden Skulpturen, die den drei Abschnitten des Oberlichts entsprechend in drei „Räume“ aufgeteilt sind.

Im vierten Saal hängt eine Reihe von elf Messingnetzen, die auf Kompositionen gewebter „Wandbehänge“ von Anni Albers (1899–1994) basieren, locker an Messingstäben. Andere Arbeiten, die im zweiten, dritten und fünften Saal installiert sind, stehen oder liegen auf dem Fussboden; aus ebenen, rechteckigen Materialstreifen gefertigt, weisen sie zumeist eine Flächigkeit auf und gemahnen an frei stehende Wandschirme, deren einzelne Paneele mit Seilen verbunden sind, oder an Teppiche aus geflochtenen Lederstreifen.

Der Titel der Ausstellung sowie das für die Einladungskarte und das Plakat verwendete Archivmaterial verweisen indirekt auf einen der heimlichen Protagonisten der Ausstellung. Chimalistac ist der Name eines Viertels im heutigen Mexico City, das im Süden des Stadtzentrums gelegen ist. Hier verbrachte die in Kuba geborene Möbeldesignerin und Innenarchitektin Clara Porset (1895–1981) ihre letzten Lebensjahre. Porset studierte am Black Mountain College in North Carolina bei Josef Albers (1888–1976), der in die USA emigriert war, nachdem die Nazis das deutsche Bauhaus zuerst 1932 in Dessau und dann 1933 nach dem zweiten, kurzlebigen Versuch seiner Wiederbelebung in Berlin aufgelöst hatten. Porset verband später eine lebenslange Freundschaft mit Albers und dessen Frau Anni. Als Gegnerin der reaktionären Politik von Fulgencio Batistas Militärregime im Kuba der 1930er Jahre emigrierte Porset 1935 nach Mexiko, wo sie in dem äusserst kreativen internationalen Milieu aus Exilanten und Mexikanern eine Heimat fand, die von Ideen des sozialen Fortschritts, bei dem auch Kunst und Design eine Rolle spielen sollten, beseelt waren. Während der Revolution von 1959 ging sie wieder nach Kuba, um vier Jahre später nach Mexiko zurück­ zukehren, wo sie sich vor allem ihrer Arbeit als Designlehrerin widmete und für die Integration von volkstümlichem Handwerk, lokalen Formen und natürlichen Materialien in die Formensprache und die Praxis des modernen Designs warb.

Die radikalen sozialen und politischen Positionen, die eine Reihe von (zumeist) weiblichen Designern und Architekten vertraten, darunter Clara Porset, Anni Albers, die irische Designerin und Architektin Eileen Gray (1878–1976) und die italienische Architektin Lina Bo Bardi (1914–1992), die seit 1946 in Brasilien tätig war, sind für Leonor Antunes’ Praxis ebenso eine Quelle der Inspiration wie ihr reiches Leben, in dem sie sich theoretisch wie praktisch mit Objekten beschäftigten, die ein Ausdruck der Hoffnung auf ein besseres Leben für die Menschen sein soll­ ten. In Antunes’ Arbeit dient die Appropriation oder das Wiederaufnehmen von Formen und Objekten, die andere Künstlerinnen und Designerinnen geschaffen haben, als ein Mittel der Untersuchung. Ihre Arbeitsweise umfasst einfaches Vermessen ebenso wie die visuelle und haptische Untersuchung der Arbeiten der genannten Designerinnen, gefolgt von der umgekehrten Anwendung des so erworbenen Wissens über die Ausgangsobjekte zur Herstellung neuer Skulpturen.

Antunes’ Arbeiten entstehen aus einer meditativen Untersuchung der Funktionen von Alltagsobjekten und dem Nachdenken über modernistische Formen, die als Skulpturen verwirklicht werden können, und werden somit zu einer verkörperten Reflexion, zu „denkenden Objekten“. In ihrer Beschäftigung mit Objekten, Formen und Materialien versucht Antunes, deren innere Logik zu rekonstruieren sowie die Politik aufzuzeigen, die sie einst möglich und notwendig machte.

Die Ausstellung ist als eine mäandernde, freie Passage durch mehrere eigen­ ständige Arbeiten gegliedert, die im Raum ihre eigene Architektur schaffen: Wandschirme aus Eichenholz und Leder, ein regelmässiges Linienmuster aus vergoldetem Garn, der im zweiten Saal an der Wand angebracht ist; im vierten Saal eine Installation aus mehreren Nachbildungen der Muster von Anni Albers’ „Wandbehängen“ (die Albers auf einer Jacquardwebmaschine hergestellt hatte, während Leonor Antunes’ Version in Messingdraht ausgeführt ist); im fünften Saal Bodenarbeiten aus Leder, die auf dem Fliesenmuster der Terrasse von Robert Mallet­Stevens’ Villa in der Pariser Rue Mallet­Stevens basieren.

Im ersten Saal werden drei Skulpturengruppen aus komplexen Strukturen gezeigt, die sich an verschiedenen Vorbildern orientieren: Pferdegeschirre (Clara Porset hatte in Mexiko unter anderem mit dem Architekten und Designer Luis Barragán zusammengearbeitet, der es liebte auszureiten), Netze aus dünnen schwarzen Baumwollfäden, die das Muster portugiesischer Fischernetze aufgreifen, sowie dekorative hängende Spiralen aus Holzstöckchen, die in ihrer Herstellung auf der Technik der Xingu, den Ureinwohnern Amazoniens, basieren (mit denen die Künstlerin per E­Mail kommuniziert, gelegentlich die Authentizität der zeitgenössischen handwerklichen Gegenstände in Zweifel ziehend). Die Herstellung dieser funktionalen Objekte verdankt sich der Übertragung spezifischen Wissens zwischen den Kulturen und Generationen, die auf der Kontinuität der Erfahrung beruht, jedoch auch Unterbrechungen und Verlust einschliessen kann, wenn Kulturen verschwinden und ihr Wissen der Vergessenheit anheimfällt.

In ihrer Arbeit versucht Leonor Antunes die hinter der rationalen Gestaltung stehenden Konstruktionsprinzipien, die die Abstraktion von der Realität durch Reduktion auf Geometrie implizieren, zu begreifen, um dann zur Praxis des Herstellens zurückzukehren. Indem sie mit den Materialien arbeitet, ihre physischen und ästhetischen Eigenschaften ergründet und die spezifische Geschichte ihrer Produzenten ‒ zwischen Modernismus und traditioneller Handwerkskunst ‒ anerkennt, verortet Antunes ihre eigene Praxis als Künstlerin innerhalb dieser Traditionen und wird Teil des Prozesses der Wissensweitergabe.