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Die in Spanien geborene und in Rotterdam lebende Künstlerin Lara Almarcegui thematisiert in ihren Projekten städtische Transformationsprozesse als Folge von politischen, sozialen und wirtschaftlichen Veränderungen. Seit Mitte der 1990er-Jahre richtet sie ihren Blick auf urbane Gegebenheiten, die in der Regel nicht im Zentrum der Wahrnehmung stehen: Brachflächen, Baumaterialien, Unsichtbares. In ihrer ersten Einzelausstellung in Österreich hat Lara Almarcegui für die Secession drei neue Arbeiten entwickelt, die in starkem Bezug zur Stadt Wien und zum geschichtsträchtigen Ausstellungshaus stehen, die andererseits aber auch auf frühere Werke der Künstlerin rekurrieren, die sie in den verschiedensten Städten weltweit entwickelt hat.

Lara Almarcegui arbeitet häufig im Außenraum. Zahlreiche internationale Projekte hat sie bereits durchgeführt, von der Renovierung eines zum Abriss bereitstehenden Marktes in San Sebastián (Spanien) über die intensive Auseinandersetzung mit Brachflächen in Rotterdam, Bilbao, São Paulo, Lissabon und Amsterdam. Sie sammelt historische, geografische, ökologische und soziologische Fakten über brachliegende Flächen im Stadtraum, die sich bald verändert haben werden, sie dokumentiert und befragt ExpertInnen. „Jedes Brachland hat seine eigenenspezifischen Charakteristika. Ich versuche, so detailreich wie möglich zu sein, ich zoome hinein. So kann die Einzigartigkeit eines Ortes erkennbar werden.“ Lara Almarcegui bündelt diese Informationen in Guides, Broschüren, die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der teils öffentlich, teils privat genutzten Freiflächen sachlich und nüchtern darstellen.

Auch die für die Secession entwickelte Broschüre Brachflächen am Nordbahnhof, Wien (2010) ist frei von der Romantisierung einer Patina, vom sentimentalen Blick auf die Vergangenheit. Die Brachen, mit denen sich Lara Almarcegui beschäftigt, liegen am Nordbahnhofgelände im zweiten Wiener Gemeindebezirk. Einst größter und wichtigster Bahnhof der Habsburger- Monarchie wurde der Nordbahnhof im 2. Weltkrieg schwer beschädigt und schließlich in den 1960er-Jahren abgerissen. Dort, wo früher ein Petroleumdepot und alte Kohlenhöfe waren, versucht sich nun die Natur durchzusetzen. Dem Leitbild Nordbahnhof von 1994 folgend, soll es diese Flächen betreffend 2012 eine Ausschreibung für die detaillierten städtebaulichen Planungen geben. Vorgesehen ist die Errichtung von Wohnbauten, ein Teil der Fläche wird als grünes Erholungsgebiet erhalten bleiben. Mit ihren Guides hält Lara Almarcegui den heutigen Zustand der Undefiniertheit, des Übergangs fest. „Es ist immer gut,über den aktuellen Stand der Stadtplanung Bescheid zu wissen. Die Brachflächen sind wichtig, denn sie stellen die einzigen noch nicht definierten Flächen in der Stadt dar. Bar eines Entwurfes geschieht hier alles nach Zufall und nach keinem bestimmten Plan. [...] Die Abwesenheit von Design ist ihr großer Wert; und daher will ich die Brachflächen in meinen Arbeiten ‚retten?, falls das möglich ist und es Sinn macht“, so die Künstlerin.

Der Guide zur Brachfläche am Nordbahnhof, Wien liegt während der Ausstellungsdauer im Foyer der Secession und in der Gebietsbetreuung im 2. Bezirk (Max-Winter-Platz 23) auf. Er lädt die BesucherInnen ein, das Gebiet am Wiener Nordbahnhof zu erkunden und sich ihr eigenes Bild zu machen. Aber: „Auch wer niemals zum Nordbahnhof fährt, weiß jetzt, dass diese Brachfläche existiert und kennt ihre spezifischen Details.“, so die Künstlerin.

Lara Almarcegui macht sichtbar, was sonst nicht bedacht, gesehen, bemerkt wird. Sie dekonstruiert, um freizulegen, ein Blick auf die Utopie der Zukunft eingeschlossen. Wenn Lara Almarcegui mit Bauschutt Hauptraum Secession (2010) eine Bestandsaufnahme der zur Konstruktion des Hauptraums verwendeten Baumaterialien vornimmt, indem sie Haufen dieser Materialien – allesamt aus Recycling-Prozessen - aufschüttet, ist eine Vision der zukünftigen Nutzung mitgedacht. Der auratische Ausstellungsraum wird in formlose Aufschüttungen umgestaltet. Was würde mit den Tonnen von Beton, Holz, Terrazzo, Ziegel, Mörtel, Glas, Gips, Styropor und Stahl passieren, wenn sie wieder in den Kreislauf der Bauindustrie zurückkehren? Welche neuen Konstruktionen entstünden aus den Materialien, die den Hauptraum der Secession heute ausmachen?

Lara Almarcegui entwickelt damit frühere Arbeiten weiter. Im Jahr 2003 hat sie so das FRAC-Gebäude in Dijon analysiert und mit neuwertigen Materialien repräsentiert. Im Jahr 2006 hat sie die gesamte Stadt São Paulo in Baumaterialien aufgewogen und als Auflistung bei der São Paulo Biennale ausgestellt. Eine Verdichtung von gründlich recherchierten Fakten auf einem Blatt Papier, dessen Zahleninformation die Verwobenheit einer ganzen Stadt in sich trägt. Gebäude, Flächen und Materialien als Träger nicht nur der Baustruktur, sondern eines sie füllenden, auch mit Sinn füllenden Organismus an sozialen Strukturen.

Eine poetische Arbeit wartet auf die BesucherInnen im Grafischen Kabinett. Auch hier wurde freigelegt; leise und ohne Öffentlichkeit geschah das Abtragen des Parkettbodens, Grafisches Kabinett (2010) und dessen Rekonstruierung. „Die Frage war nicht,was ich tun könnte, um diesen bestimmten Ort etwa zu verbessern, sondern was ich von ihm lernen kann.“, so die Künstlerin. Hier bleibt die Dokumentation eines nahezu unsichtbaren Prozesses und die Erkenntnis, dass sich die BesucherInnen genau an, auf jenem Ort befinden. Die Umlenkung des Blicks erfolgt auf das darunter Liegende, auf das nun nicht mehr zugegriffen werden kann, und auf einen Prozess, der abgeschlossen und trotzdem präsent ist.

Mit der aktuellen Ausstellung in der Secession schlägt Lara Almarcegui einen Bogen von außen nach innen, von innen nach weiter innen. So entsteht eine Dialektik der Sichtbarkeit und eine Dynamik, die auch die alltäglichen Prozesse im urbanen Raum prägen. Was Lara Almarcegui über ihre Arbeit im Grafischen Kabinett sagt, könnte für die Ausstellung allgemein gelten: „Ich arbeite draußen in der Stadt und beginne, mich dem Ausstellungsraum kritisch anzunähern. Den Boden zu entfernen ist meine Art, mehr über den Ort zu erfahren, den Raum mit dem Gebäude in Verbindung zu bringen, den Materialien, der Vergangenheit und der städtischen Struktur.“

Kuratiert von Jeanette Pacher und Annette Südbeck

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Lara Almarcegui
Kuratoren: Jeanette Pacher, Annette Südbeck