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Infolge der politischen Vorgänge nach der Wahl änderte sich 2007 das Paradigma der armenischen Gesellschaft im gesamten Land drastisch. Man überwand die Angst und Politik wurde neu entdeckt. Der Azatutyan-Platz (Freiheitsplatz) in Jerewan war nicht nur für zehn Tage ein Ort des Protests (gegen die offensichtlich manipulierten Präsidentschaftswahlen), sondern wurde auch zu einem Kommunikationszentrum. Als die Behörden den Platz schließlich räumten und die Opposition zur Zerstreuung zwangen, ging der Protest in einer anderen Form weiter, nämlich in der Nordstraße im gleich an den Azatutyan-Platz angrenzenden Stadtviertel. Jeden Tag zu einer festgelegten Stunde trafen sich AktivistInnen mit StadtbewohnerInnen, um einen besonderen politischen Spaziergang zu unternehmen. Während die Leute dahinspazierten, wurde über Politik diskutiert. Diese Aktionen fußten auf dem Begriff des unsichtbaren und gewaltlosen Widerstands, dessen Wirkung sich mit der Zeit steigert.

Warum habe ich 2002 das Institut für Kunstgeschichte und Kunsttheorie der Yerevan State University «infiltriert»? Zu jener Zeit begann ich mit einem langfristigen Forschungsprojekt über die soziopolitische Landschaft Armeniens und deren mögliche Infiltrierung. Ausgangspunkt war und ist, durch Networking Ausgelassenes, Weggelassenes, Übersehenes und Vergessenes zu erforschen. Der Kommunikationsknoten oder das Kommunikationsnetz der Universität konzentrierte sich auf das Projekt »Ontological Walkscapes«, das aus fünf Dissertationen erwuchs, die ich 2008 betreut hatte. Sie alle waren Arbeiten zur Entdeckung, Faktographie und Bioorganisation des «Raums» und der «Landschaft», wobei Faktographie nicht als statisches Konzept, sondern als Praxis verstanden wird. Die Gruppe aus berichterstattenden Studierenden bestand aus Arevik Tadevosyan (der aus Khachik, einem Dorf an der Grenze zu Aserbaidschan, berichtete), Ninel Melkonyan (aus Parakar in den Außenbezirken Jerewans), Ani Danielyan (aus Nor Hachn, einer Satellitenstadt), Parandzem Yegoryan (aus Hrazdan, einer weiteren Satellitenstadt) und Ani Sargsyan (aus einem Archiv). Narek Bakhtamyan und Tigran Sahradyan als Gutachter nahmen ebenfalls am Projekt teil. Ein weiterer Student, Tsovinar Banuchyan, der aus Jerewan berichtete, schloss sich noch in diesem Jahr an. Mit der Teilnahme an diesem Projekt gab man seine alte Stellung völlig auf. Rückblickend kann zu Recht gesagt werden, dass die Entscheidung, politische SpaziergängerIn zu werden, das Leben der Beteiligten tatsächlich verändert hat und ihnen damit das Gefühl persönlicher Würde, kollektiver Solidarität und die Bereitschaft, die eigene Meinung zu verteidigen, gegeben hat. Unser Projekt wurde vom Institut als Provokation der Forschungsdisziplin Kunstgeschichte gewertet. 2009 kündigte ich meine Arbeit am Institut.

Konzept: Karen Andreassian Mitarbeit: Stephen Wright

www.ontologicalwalkscapes.format.am

Karen Andreassian, lebt als Künstler und Aktivist in Jerewan. Ausstellungen (Auswahl): «Absence/Presence», Jerewan, 1993, the Venice Biennial, Armenian pavilion, 1995, «Geo-Kunst Expedition», Documenta X, 1997, «Hi-story«, Salzburg, 2002, «Adieu Parajanov», Kunsthalle Vienna, 2003, «Gyumri Biennial VI», Gyumri, 2008, «Ontological Walkscapes» at 11th International Istanbul Biennial, 2009. Seit 2003 arbeitete er an dem Netzwerkprojekt «Voghchaberd», welches im Centre for the Contemporary Image, Geneva, 2004 und an XV Biennale de Paris, 2006, gezeigt wurde und in die französische Sammlung der FRAC aufgenommen wurde.