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Der Badische Kunstverein freut sich, Jürgen Drescher mit seiner bislang umfangreichsten Einzelausstellung in Deutschland zu präsentieren. Seit mittlerweile drei Jahrzehnten verhandelt Drescher in seinen Arbeiten die formalen, poetischen und performativen Potenziale der Skulptur vor dem Hintergrund künstlerischer, ökonomischer und ökologischer Prozesse der Wertschöpfung. Die Ausstellung mit dem Titel digit fokussiert auf Dreschers jüngere und jüngste Arbeiten, um von diesen ausgehend gezielte Rückgriffe in die Werkgeschichte zu tätigen, die die Komplexität seines künstlerischen Schaffens über die letzten Jahrzehnte aufzeigen. Drescher ist in erster Linie Bildhauer, arbeitet aber auch mit Texten und Videos. Diese in der Regel eher untergeordneten Formate erfahren im Kunstverein eine neue Präsenz.

Seit Beginn seiner Laufbahn standen die Strategien des Transfers und der Kontextverschiebung im Zentrum von Jürgen Dreschers künstlerischer Methode – das Verschieben von Dingen, Artefakten oder auch Situationen aus ihren alltäglichen Zusammenhängen in den Raum der Kunst. So installierte Drescher bereits 1981 – noch als Student der Klasse von Klaus Rinke an der Düsseldorfer Kunstakademie und im Umkreis von Künstlerkollegen wie Thomas Schütte, Katharina Fritsch oder Reinhard Mucha– eine Bar als künstlerischen Beitrag zur damaligen Jahresausstellung: Die potenzielle Verkaufssituation – die Jahresausstellung als ‚Training’ für den Kunstmarkt – wurde kurzgeschlossen mit der realen Verkaufssituation der Bar. Gerade weil die formal aufs Wesentliche reduzierte Installation zugleich voll funktionsfähig war – Drescher selbst stand hinter der Theke – verwischten sich bereits hier auf produktive Weise die Grenzen zwischen Modell und Wirklichkeit, Form und Performanz, kulturellem und ökonomischem Wert.

Während Jürgen Dreschers Werke der 1980er und 90er Jahre vor allem durch den Transfer oder die Transformation realer Objekte gekennzeichnet waren – wie etwa die Arbeit Scherengitter (1987), die aus- und ineinander verschiebbare Gitterstrukturen aus dem öffentlichen Raum aufgreift und mit der bourgeoisen Architektur des Kunstvereins kontrastiert –, so arbeitet Drescher in den letzten Jahren vor allem mit Verfahren des Metallgusses, vermittels derer er Alltagsobjekte reproduziert. Mit dem Rückgriff auf den Abguss wendet sich Drescher einer genuin bildhauerischen Technik zu, die die Dinge zum Abbild ihrer selbst werden lässt: Leitern, Bänke, Kartons oder Abflüsse, aber auch weiche Materialien wie Kissen, Decken oder Bettücher nehmen trotz aller figurativen Konkretheit im Guss zugleich eine abstrakte, fast minimalistische Formensprache an.

Neben dem Abguss als Reproduktionstechnik hat sich Drescher zuletzt auch der plastischen Modellierung von Figuren und Figurationen zugewandt, wie etwa der neu für diese Ausstellung produzierten Skulpturen Dian und Digit 1974 und Große Deutsche Kunstausstellung 1940, die auch das Zentrum der Ausstellung bilden. Letztere zeigt Hitler auf einer Bank im Haus der Kunst in München sitzend und flankiert von zwei Mitarbeitern des Museums. In dieser Arbeit spiegelt sich die Maßlosigkeit eines politischen Systems wider, das auch vor dem Kulturbetrieb nicht Halt macht und dem sich die Kuratoren scheinbar willenlos unterordnen. Ein anderes Thema, das Drescher immer wieder beschäftigt, ist die kritische Hinterfragung der Methoden wirtschaftlicher Expansion und den damit einhergehenden Folgen einer Ausbeutung natürlicher Ressourcen. Vor diesem Hintergrund sind einige der Werke in der Ausstellung zu lesen. Die Skulptur um die Primatenforscherin Dian Fossey und den Gorilla Digit zeigt eine Szene, in der sich die Wissenschaftlerin dem ausgelassenen Gorilla auf dem Boden liegend vorsichtig nähert. Der Gorilla wurde später in einer der zahlreichen Tötungsaktionen durch Wilderer erschossen und steht für die Ausbeutung der Natur aus rein wirtschaftlichen Interessen. Ebenso der Tuna (2011/2012), eine aus Styropor geschnitzte und mit Epoxydharz übergossene Figur eines toten Thunfisches, der ausgeschlachtet und vereist auf dem Boden des Kunstraums liegt – als Symbol einer durch steigenden Konsum und rücksichtslose Überfischung bedrohten Art.

Eng verknüpft mit diesen Arbeiten sind die Schaukästen mit verschiedenen Textarbeiten Dreschers, in denen er sich anhand von Zitaten oder in einem niedergeschriebenen Dialog mit einem befreundeten Künstler über die Folgen des menschlichen Wachstums auslässt oder durch die plakative Aufforderung thun thun thun sowohl auf den Thunfisch, wie auch auf die permanente Forderung nach mehr Leistung und Produktion anspielt. Das Video Mönch (2012) schließlich zeigt den Künstler selbst, wie er sich seinen morgendlichen Ritualen hingibt und stellt den globalen Katastrophen das positive Bild eines alltäglich praktizierten Lebensprinzips gegenüber.

Jürgen Drescher (*1955 in Karlsruhe) lebt und arbeitet in Berlin.

Ausstellungen (Auswahl): 2012 „Goldrausch“, Kunsthalle Nürnberg; FIAC Paris; 2011 Galerie Martin Klosterfelde, Berlin; 2009 „Fund“, Mai 36 Galerie, Zürich; 2008 Shanghai Biennale; „Heavy Metal“, Kunsthalle zu Kiel; 2007 „party!“, Galerie Isabella Czarnowska, Berlin; 2006 „Lichtkunst aus Kunstlicht“, ZKM, Karlsruhe; 2000 „ein/räumen“, Hamburger Kunsthalle.

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