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Die Galerie Christian Lethert freut sich, nach Matrix & Lemniskate (2008) und Konglomerat (2007) aktuelle Arbeiten der Künstlerin Jorinde Voigt unter dem Titel Superdestinations (03.09.2010 - 23.10.2010) ankündigen zu dürfen.

Jorinde Voigt (geb.1977 in Frankfurt a.M.) entwickelt seit 2002 konzeptuelle Zeichnungen auf Papier, die sie Notationen und Partituren nennt und den Kern ihres vielschichtigen Werkes aus Fotoarbeiten, Aktionen, Objekten und (Sound-) Installationen bilden. In ihren zumeist überdimensional großen Notationen konstruiert Voigt ein gleichermaßen komplexes wie individuelles Ordnungssystem, um unsichtbare Prozesse unserer Gegenwart zu vermessen. Während Voigt in ihren frühen Zeichnungen nach einer Schreibweise suchte, die sich ebenso dynamisch und lebendig verhält wie die Wirklichkeit selbst, stellen die jüngsten Zeichnungen ein reduziertes Schriftsystem zeichenhafter Codes dar.

Die Blätter zeigen abstrakte Linien, die spontan mit dem Buntstift gezogen über die Papierfläche verteilt sind. Die Striche bilden Kreise, Rechtecke, Dreiecke, Quadrate, Geraden, Wellen- und Zickzacklinien. Lediglich die Werktitel geben einen Hinweis auf den Ursprung der Aufzeichnungen. Es handelt sich um konkrete Ortsbestimmungen mit Hilfe der Parameter Form und Farbe, die Voigt in Superdestinations synchronisiert: der betrachtete Gegenstand wird von der Künstlerin im Moment seiner Wahrnehmung auf die einfachste visuelle Grundform verkürzt und mit der entsprechenden Farbe notiert. So wie eine Taste auf der Klaviatur einen spezifischen Ton erzeugt, entspricht ein Buntstift der Farbskala 1-120 der Farbigkeit des jeweiligen Gegenstandes. Neben dem Ort fungiert die Zeit als Variable der Bildproduktion. Jeder Strich ist mit einer Nummer versehen, die die Reihenfolge der wahrgenommenen Gegenstände dokumentiert.

Von Superdestinations lässt sich eine Parallele zu Voigts ersten skizzenhaften Aufzeichnungen ziehen. 2003 reiste die Künstlerin nach Indonesien, wo die dreiteilige Serie Indonesia entstand. Voigt verwendet

Millimeterpapier, auf dem sie eine genaue lineare Anordnung des Notierten vornimmt. In Strassencafés sitzend, notiert sie Geräusche von vorbeifahrenden Motorrädern, aufbrausendem Wind, indonesischer Popmusik und sich unterhaltenden Passanten in Form von Frequenzen. Während sich Voigt in Indonesia ausschließlich mit Akustik beschäftigt, geht es in Superdestinations allein um die optische Bestandsaufnahme der Umgebung. Ein weiterer Schlüssel zu den Wahrnehmungsstudien der Künstlerin stellt die Installation Botanic Code dar, in der Voigt während Spaziergängen in Botanischen Gärten die eigene Farbwahrnehmung untersuchte. Nach einem Algorithmus werden die am stärksten wahrgenommenen eins bis fünf Farben in proportionale Farbfelder übersetzt und auf Aluminiumstangen übertragen. Das Ergebnis ist ein Code, der Informationen über Farbe, Proportion, Performation, Zeit, Jahreszeit und Norm aufschlüsselt.

Botanic Code wie auch Superdestinations übersetzt die lineare Wahrnehmungsstruktur des menschlichen Gehirns in eine parallele Anordnung. Es entsteht ein ungewohntes Nebeneinander einzelner Momente, das uns die Gleichzeitigkeit der Gegenwart wie ein Fächer vor Augen führt. Die Überschneidungen und Überkreuzungen (Kumulation) erzeugen einen Rhythmus (Interferenz), der Voigts Zeichnungen durchzieht. Durch Repetition und Variation des immer gleichen Notationsverfahrens wird die inhärente Rhythmik forciert.

Im Element "Horizont" faltet sich das Thema der elementaren Horizontalen in das Farbspektrum der möglichen Horizontfarben auf. Das Nebeneinander der möglichen Linien ergibt einen eigenen Farbkomplex, der den farblichen Möglichkeitsraum benennt. Dieses Element schließt sich in den neuen Arbeiten mit den Themen: Melodie, Zäsur, Rotation, Territorium, Kontinentalgrenze, Zentrum, Wasser, Öl, Gas, Elektrizität, Himmelsrichtung, Konstruktion, Dekonstruktion, zeitlichen Countdown und Countup Loops, Position und doppelidentische Position zusammen.

Superdestinations ist von Ambivalenzen gekennzeichnet: Linearität und Non-Linearität, Spezifität und Unspezifität, Schrift und Bild. Auch wenn die Aufzeichnungen in erster Linie um die eigene Wahrnehmung kreisen, so ist der Ort doch wesentlicher Bildgegenstand. Ein Ort weist in der Regel spezifische Identitätsmerkmale auf, während er in Voigts Zeichnungen zu einem homogenen Liniensystem simplifiziert wird. Das Resultat dieser unkonventionellen Schreibweise ist etwas Unbekanntes. An Kinder-, Blind- oder Kritzelzeichnungen erinnert, sehen wir etwas noch nicht Definiertes: ein Stadium vor der Kategorisierung von Bild und Schrift. Intuitiv, jenseits von Emotion und Intellekt, zeigen die farbigen Kürzel archaische Urformen menschlicher Kommunikation, wie sie in anthropologischen und neurologischen Studien untersucht werden.

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Jorinde Voigt
SUPERDESTINATION