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Der amerikanische Künstler John Miller (geb. 1954), der seit seinem DAAD Stipendium 1991 in New York und Berlin lebt, nimmt im aktuellen Kunstbetrieb eine interessante Position ein. Er ist Künstler und Kritiker und vermittelt mit seinen Werken und Texten zwischen den USA und Europa. Seine künstlerische Arbeit ist gekennzeichnet von einer Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Identitfikations- und Repräsentationsmodellen der Gesellschaft. Dabei beziehen sich die Motive seiner Werke, die er in so unterschiedlichen Medien wie Malerei, Fotografie, Skulptur (häufig Materialassemblagen, die mit seinem John-Miller-Brown überzogen sind) und Installation produziert, oft auf ein schon existierendes Bildvokabular und -system. Seit einiger Zeit arbeitet John Miller auch über das soziale Phänomen von Kontaktanzeigen. Als Autor und Lehrer erkundet er in theoretischen Essays in einem marxistisch-(post)strukturalistischen Referenzsystem die jüngere Kunstgeschichte und Kunstheorie sowie künstlerische und kuratorische Praktiken.

Im Zentrum der Ausstellung in der Galerie Barbara Weiss stehen 81 neue Fotografien aus der konzeptuell angelegten, offenen Werkreihe The Middle of the Day, in der John Miller seit 1994 an verschiedensten Orten, ähnlich wie im Tagebuch eines Wanderers, alltägliche und zwanglose Momente sammelt, die er regelmäßig zwischen 12 und 14 Uhr aufnimmt. Die Motive der in gleichem Format gerahmten, auf Augenhöhe nicht-narrativ und unhierarchisch in Linie gehängten, kleinformatigen Fotografien, zeigen häufig belebte Stadtlandschaften – sei es in New York, Berlin oder Wien - in denen sich Menschen unterschiedlicher Generationen aufhalten; daneben stehen aber auch stillere und intimere Momente, die in Wohnungen oder anderen Innenräumen aufgenommen worden sind sowie Einblicke in Parkanlagen oder ländlichere Landstriche.

Der Aufnahmezeitraum der präsentierten Fotografien, die John Miller im Gegensatz zu früher mit einer Digitalkamera aufgenommen hat, fiel genau in die Mitte eines normalen Arbeitstages. Dies ist für viele Menschen die Tageszeit, in der sie pausieren und essen müssen, trotz des Anspruches, die für produktive Arbeit bestimmten Stunden möglichst effizient zu nutzen. Die Arbeitsethik stößt in dieser Tageszeit an körperliche Grenzen. Doch die Institution der Mittagspause oder des Mittagsessens ist heute vielfach überholt. Mit der Enwicklung der westlichen Gesellschaften hin zu New Economy, Informations- und Dienstleitungsgesellschaft können (oder müssen) sich viele Berufstätige den Arbeitstag flexibel einteilen; andere dagegen haben keine Zeit für eine Pause oder im Gegensatz dazu, wenn Sie keiner (festen) Arbeit nachgehen, nahezu den ganzen Tag frei. Die Tagesabschnitte Arbeit und Freizeit fließen immer mehr ineinander. Ironischerweise könnte man mein Projekt als Versuch verstehen, die Tagesmitte für eine totale (ästhetische) Produktion zurückzugewinnen.

Woran ich jedoch interessiert bin, ist etwas Ungreifbares zu dokumentieren und etwas, das selbst erst in einem Bild haften bleiben kann, wenn es in ein System gestellt wird: das Problem der Bewertung, erklärt John Miller. Mit The Middle of the Day stellt er also Fragen zum Wert von Zeit, von alltäglichen Erfahrungen, von Arbeit und Freizeit, aber auch – und das weniger offensichtlich - Fragen zu der Art und Weise, wie die Persönlichkeit von Künstlern oder anderen Kreativ-Tätigen konstruiert wird, und was im täglichen Leben, in der Kunst und der Kultur verworfen und was aufbewahrt wird. Damit macht John Miller das, was man als die Komplexität der politischen Ökonomie bezeichnen könnte, erahnbar, denn das Alltägliche vermittelt einen direkten Zugang zum Untergründigen. Es versteckt und kaschiert die tatsächlichen Herrschaftsverhältnisse unter seiner Oberfläche.

In der dokumentarisch angelegten Fotoreihe The Middle of the Day, welche sich auch als vermitteltes Selbstporträt des Künstlers lesen läßt, thematisiert Miller auch die Unmöglichkeit, Alltäglichkeit abzubilden, beziehungsweise Fotos ohne Inhalt aufzunehmen. Denn macht nicht jede Abbildung von Alltäglichkeit aus einem alltäglichen Vorgang letztendlich ein Bild, ein beispielhaftes Dokument und zerstört damit wieder die Alltäglichkeit? Ich behaupte nicht, dass es meinen Photos gelingt, das Alltagsleben der Massen zu porträtieren, vielmehr spielen sie durch ihre betonte Bedeutungslosigkeit auf diese Möglichkeit an, gibt John Miller zu denken.

Ergänzend zu den Fotografien werden die raumgreifenden Skulpturen Topology for a Museum, 1994 und The Absence of Myth, 2003 von John Miller gezeigt. Es bietet sich an, die Motive der Fotografien aus The Middle of the Day in die dreidimensional dargestellten, allegorischen und mystifizierten Landschaften hineinzulesen.

Barbara Buchmaier

Ausstellungen seit 2004/2005 (Auswahl) 2004 Metro Pictures, New York (solo); John Miller: Total Transparency, Richard Telles Fine Art, Los Angeles (solo); John Miller: 493 KB from the Administered World, Jeffrey Charles Gallery, London (solo); John Miller. Le milieu du jour, 1994-2004, Cabinet des Estampes du Musée d'art et d'histoire, Genf (solo); Body display. Performative Installation #4, Secession, Wien; Before the end, Le Consortium, Dijon; 2005 John Miller, Mai-Thu Perret, Galerie Praz-Delavallade, Paris (solo); Richard Hoeck und John Miller, Engholm Engelhorn Galerie, Wien (solo); Das Neue Europa. Kultur des Vermischens und Politik der Repräsentation, Generali Foundation, Wien; Kunst Schokolade ChocolateArt Museum Ludwig, Köln; Automobilisé, Galerie Ilka Bree, Bordeaux; Private View 1980-2000 Collection Pierre Huber, Musée cantonal des Beaux-Arts, Lausanne

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