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Iris Kettners lebensgroße Skulpturen irritieren durch ihr hohes Maß an Lebensähnlichkeit. Auf den ersten Blick sind sie so sehr in einer Alltäglichkeit angesiedelt, dass man dazu neigt, ihren Kunstcharakter zu vergessen, bis man auf die fein gesetzten Brüche und Unstimmigkeiten aufmerksam wird. Häufig sind die Figuren in ungewöhnliche Körperhaltungen gebannt, die von Verletzlichkeit oder Unterwürfigkeit künden. Sie wirken etwas mitgenommen, als ob sie nur vorläufig und provisorisch zusammengehalten werden. Die Künstlerin formt sie aus Packmaterialien und Lumpen, die mit Klebeband über Holzkonstruktionen gewickelt und mit gebrauchten Kleidungsstücken angezogen werden. Die Fragilität ihres Gemachtseins scheint auf bedrohliche Lebenszusammenhänge zu verweisen. Die Köpfe der Figuren bleiben stets gesichtslos. In ihrer Anonymität spiegeln sich Wahrnehmungsstrukturen der Verdrängung, welche sich insbesondere in einer Großstadt herausbilden.

Die Künstlerin nennt ihre Arbeiten „Dummies“, ein Begriff, der für Puppen in Form und Gewicht eines Menschen verwendet wird, die bei der Unfallforschung oder bei Rettungsübungen eingesetzt werden. In diesem Sinne handelt es sich bei den Arbeiten von Iris Kettner um figurative Stellvertreter, zu denen wir schwellenlos Kontakt aufnehmen können. Trotz ihres gleichsam prekären Zustandes scheinen sie beseelt. Ihre Wirkung basiert im Wesentlichen auf einer Projektionsleistung der Betrachter, mit der sich eine Art ‘Einverleibung’ der Skulpturen vollzieht. Die getragenen Kleidungsstücke haben sich indes mit dem menschlichen Körper ganz tatsächlich auf materieller Ebene verbunden und verleihen den Arbeiten ein zweites Leben, das jedoch seine Künstlichkeit nicht bestreitet. Iris Kettner betreibt mit ihren Skulpturen eine Hybridisierung zwischen Kunst und Leben, was sich bei der aktuellsten Arbeit, No Name, zu einem von ihr selbst in der Öffentlichkeit getragenen Kostüm aus Altkleiderresten steigert.

Iris Kettner (*1968 in Mainz) absolvierte nach ihrem Abitur in Düsseldorf eine Ausbildung als Gürtlerin in Köln. Von 1991 bis 1997 studierte sie Bildhauerei an der Hochschule für Kunst und Design Burg Giebichenstein in der Fachrichtung Metall. Seit 1998 lebt und arbeitet sie in Berlin. Mit Unterbrechung lehrte Iris Kettner zwischen 2010 und 2013 als Gastprofessorin an der KHB Weißensee, Berlin.

Neben Beteiligungen an Gruppenausstellungen wie „Spielräume“ im Wilhelm-Lehmbruck-Museum Duisburg (2005), Abgebrannt in der Berlinischen Galerie (2006), der Triennale Felbach (2007), 1910 Figur 2010 im Berliner Georg-Kolbe-Museum (2010) und Es geht ans Eingemachte im Bremer Gerhard-Marcks-Haus (2010) sind als Einzelausstellungen vor allem die Projekte in der Berliner Abguss-Sammlung Antiker Plastik (2005), im Delikatessenhaus Leipzig (2006), in der Villa Grisebach Berlin (2007), im Kunstraum Essen (2007), im Institut für moderne Kunst Nürnberg (2010) und zuletzt in der Projektgalerie Raum HELLROT in Halle (2012) hervorzuheben. 2005 erzielte sie mit ihrer von der NGBK organisierten Intervention „Superheroes“ größeres Aufsehen, bei der vier ihrer „Dummies“ im U-Bahnhof Alexanderplatz platziert waren und zum Teil heftige Reaktionen der Fahrgäste provozierten.

Die Ausstellung im Haus am Lützowplatz ist die bislang umfangreichste Schau der Künstlerin und wird Werke aus den Jahren 2001 bis 2014 zusammenführen.