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New Delhi ist die dritte Station der Ausstellungsserie über zeitgenössische indische Kunst, die die Galerie Krinzinger seit September 2008 zeigt. Nach Bangalore und Mumbai ist diesen Herbst die aktuelle Kunstszene in New Delhi Schwerpunkt der Präsentation.

New Delhi ist die Hauptstadt Indiens, eine politische und administrative Metropole mit insgesamt mehr als 14 Millionen Einwohnern auf einer Fläche von über 1.480 km2. In vielerlei Hinsicht sind es drei Städte in einer: eine Hauptstadt des Mogulreiches (im 17. Jahrhundert), die Planhauptstadt des British Empire (errichtet im zweiten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts) und die Folge der urbanen Zersiedelung seit der Unabhängigkeit 1947, bei der sich die Stadt in alle Richtungen ausgebreitet hat.

Mumbai (ehemals Bombay) ist das kommerzielle Zentrum Indiens, eine sehr rege und produktive Stadt für die zeitgenössische Kunst und den Kunstmarkt. Das kulturelle Leben in New Delhi hingegen ist intellektueller und internationaler, durch seine zahlreichen Universitäten und durch die internationalen Botschaften und ihr kulturelles Programm. So wie das Kino, die Medien und die Werbeindustrie die zeitgenössische Kunstszene in Mumbai beeinflussen, wird die Gegenwartskunst in New Delhi durch die politische und historische Vergangenheit, die überall in der Stadt spürbar ist, geprägt. Das Stadtbild ist gekennzeichnet durch alte, monumental-repräsentative Architektur, während das Herz der Stadt das administrative Zentrum des Landes ist - für Prunk, Privilegien und Herrschaft stehend. New Delhi ist auch eine Melting-Pot-Metropole innerhalb derer sich Gemeinschaften aus allen Teilen Indiens eigene Unterbereiche geschaffen haben.

Ohne bewusst „politische Kunst“ zu machen, erschaffen viele Künstler aus New Delhi Arbeiten, die stark an den politischen und historischen Strömungen der Stadt orientiert sind. Viele sind angezogen von den idealistischen und fantastischen Bildern, die die Stadt prägen, Erinnerungen an vergangene und gegenwärtige Ambitionen und Torheiten, Anstrengungen und Errungenschaften. Sowohl die Regierung als auch das indische Volk kommen in dieser Bildsprache vor, auch mit ironischen Querverweisen, um eine zunehmend komplexe Wirklichkeit entstehen zu lassen. Die Ausstellung „Republic of Illusions“ soll kein Porträt von New Delhi werden, sondern vielmehr eine der vielen Möglichkeiten, wie man die Stadt und ihre Einwohner interpretieren und wie man eine Nation als ein Ganzes artikulieren kann.

Anita Dube (geb. 1979) ist eine Populistin und ihre Arbeit, in der ganzen Vielfalt der Medien, bezieht sich auf den gewöhnlichen Menschen und auf die untergebene Gemeinschaft. Sie verarbeitet Bilder und Materialien, recycelt beides in neue Konstruktionen - sowohl poetisch als auch metaphorisch. In ihrer Arbeit „Little Weapons of Defense“ verwandelt sie Verpackungsabfälle in filigrane Steingitterfenster, sogenannte Jalis, die typisch sind für indische Architektur. Dube verwendet für die Wand Styropor-Verpackungsmaterial, verkleidet mit samtbedeckten Steinen in den Ecken und Ritzen des Schirmes, wo sie sowohl als Fetischobjekte als auch als angedeutete Waffen erscheinen. In „Ah (a sigh)“ nimmt sie das Foto von kämpfenden Indern aus einer Zeitung und setzt Hindi-Buchstaben mit samtbedeckten Wurzeln auf die Oberfläche. Beide Arbeiten zeigen etwas von der allgegenwärtigen Komplexität und den Anstrengungen der indischen Gesellschaft.

Sheba Chhachhi (geb. 1958) war lange Chronistin der Frauenbewegung in Indien, Fotografin und Aktivistin. In ihren künstlerischen Arbeiten verwendet sie häufig alte Ikonographien, antike Mythen und Sehtraditionen, um eine Thematik in der Gegenwart zu bringen. In ihren aktuellen Werken macht Chhachhi Lichtboxen mit beweglichen Bildern, bestehend aus einer Reihe von lichtdurchlässigen Schichten überlappender Szenen. Bei Betrachtung der Lichtboxen entsteht eine faszinierende Dimension, weil die einzelnen Schichten ineinander und miteinander verschmelzen und eine fast cinematische Ästhetik erschaffen. In „The Trophy Hunters“ erscheint eine der beiden Lichtboxen wie eine beleuchtete Schriftrolle, die Bilder von Gebäuden, Königen und Eroberern in die Zwischenräume eines Jamawar Schals verwebt. Chhachhi benutzt die kostbaren, ehemals königlichen Stoffe, um die Geschichte von Invasion und Gewalt zu erzählen. Die andere Lichtbox zeigt einen Text, der sich auf den AK 47, die Kalaschnikow, bezieht und der an die ständige tägliche Gewalt in der Kaschmir-Gegend erinnert. Die Arbeit verbindet übergreifende Anspielungen um aufzuzeigen wie Geschichte aufgenommen wird und wie sowohl Gewalt als auch Ansehen an diesem Prozess der öffentlichen Kodifizierung Teil hat.

Probir Gupta (geb. 1969) hat eine lebenslange Hingabe zum Menschenrechtsaktivismus, in seiner Arbeit thematisisert er Probleme wie Krieg, Religion, Entwicklung, Globalisierung und Völkermord. Gupta ist ein Maler der auch skulpturale Arbeiten macht. Seine Bilder vereinen sowohl die Traditionen des Expressionismus als auch die der Abstraktion, arbeiten mit buchstäblichen Verweisen auf die Industrieproduktion, mit politischer Ikonographie und sprachlichen Hilfsmitteln. „Capitalists Symbolis and Productions“ huldigt dem politischen System Indiens, das in letzter Zeit mit tiefen Änderungen in seinen wirtschaftlichen und sozialen Strukturen zu kämpfen hat. Seine große skulpturale Installation „The National Product (Gandhi) and Others“ stellt die monumentale, mit Graffitis übersäte Figur von Mahatma Gandhi mitten in eine Reihe von Werbeschilder, die er von Berufsschildermalern machen ließ. Jedes dieser Zeichen hat einen raffinierten und ironischen Verweis auf Indiens Verlust der Unschuld, spielt mit religiösen Assoziationen oder der Verdrehung des Namens eines bekannten Politikers. Die Installation spiegelt das voll gestopfte Pasticchio des Lebens in Indien wider und nimmt gleichzeitig auf das sich verändernde politische Klima bezug. Das verunstaltete Denkmal des Landesvaters Gandhi steht für den Niedergang vieler innovativen und leuchtenden politischen Ideen Indiens.

Pushpamala N. (geb. 1956) inszeniert sorgfältig Kostümszenen, die sie dann fotografisch festhält um verschiedenen Frauenrollen im heutigen Indien zu hinterfragen. Ihre „Ethnographic Series“ ist ein Teil des größeren Projekts “Native Women of South India: Manners & Customs“ (eine Zusammenarbeit mit Clare Arni). Die Künstlerin selbst begibt sich in die Rolle verschiedener Charaktere durch die Wahl von sepia-getönter Fotografien, die Ende des 19. Jahrhunderts üblichen waren, nimmt sie Bezug auf die Kolonialzeit des British Empire und auf die wissenschaftliche Vermessung und Katalogisierung des indischen Volkes. In der Serie „Mother India“ zeigt Pushpamala das anthropomorphisierte Bild des Nationalstaats Indiens (zu sehen auf Postern, Lebensmittelverpackungen und politischer Propaganda) mit schwarzem Humor. Insgesamt behandelt Pushpamalas Werk die Theorien einer postkolonialen Identität gepaart mit einem feministischen und historischen Blick.

Ram Rahman (geb. 1955) ist Fotograf und Grafikdesigner, spezialisiert auf architektonische Themen und auf das Stadtleben. Seine Posterserie, eigens für die Aktivistengruppe SAHMAT entworfen, erinnert an Schlüsselereignisse und an Persönlichkeiten der Geschichte des modernen Indiens. Ausgehend von der visuellen Sprache des russischen Konstruktivismus kombiniert er Text und Bild, um von dem Gedächtnis zu sprechen und zieht Parallelen zu zeitgenössischen sozialen Konflikten. In der laufenden Serie von Schwarzweiß Straßenfotografien dokumentiert er Plakatwände und Beschilderungen die für politischen Kampagnen und öffentlichen Veranstaltungen entworfen wurden. Der Fotograf entleert diese grandiosen Demonstrationen von Ego und Ambition und stellt sie als skurril, unfähig und belanglos dar.

Das Raqs Media Collective (gegr. 1992 von Jeebesh Bagchi, Monica Narula, und Shuddhabrata Sengupta) arbeitet mit einer breiten Auswahl an verschiedenen Medien und spricht mehrere Angelegenheiten durch ihre erforschende und vielstimmige künstlerische Praxis an. Ihre skulpturale Installation “The Reserve Army” untersucht den Schnitt zwischen einer persönlichen künstlerischen Praxis (in diesem Fall die des aus frühen 20. Jahrhundert stammenden indischen Bildhauers Ram Kinkar Baij) und der Herstellung von Ikonen, um den neuen unabhängigen Staat darzustellen, genauso wie den eher unbeholfenen Zusammenschluss von Modernismus und einer traditionellen, folkloristischen indischen Kultur. Durch das Reproduzieren und Ausschmücken der Skulpturen von Ram Kinkar Baij, die vor der Reserve Bank of India stehen sollte, werden die kürzlich entstandenen Änderungen der Wirtschaftspolitik Indiens innerhalb eines globalisierten Szenarios betont. “The Interrupted Cartographer” ist wie eine Theaterrequisite ohne Schauspieler, mit einem stilisierten und beleuchteten Tisch mit Stuhl, der über historische Trennungen und beschlossene Kompromisse spricht.

Dayanita Singh (geb. 1961) hat eine große Auswahl an Sujets fotografiert, von Familien bis zu Fabriken, Betten und Bollywood Theatern. Hier wird die Arbeit “Myself Mona Ahmed” (1989-2001) präsentiert, das Portrait der langjährigen Freundin der Fotografin, eine „hijra“ (eine „Transgender“- Frau). Diese Fotoserie ist zugleich enthüllend und verschweigend, zutiefst persönlich und verbindend. Die Geschichte von Mona findet jenseits von New Delhi statt, zeigt die Machtkampf innerhalb einer Randgesellschaft auf und schildert ihre Suche nach Stabilität und einer Art von Familie.

Bei Krinzinger Projekte in der Schottenfeldgasse 45 werden Arbeiten von Mithu Sen und Bharat Sikka gezeigt.

Mithu Sen (geb. 1971) ist im August und September Artist in Residence in den Krinzinger Projekten. Die international etablierte Künstlerin, die gerne interaktiv arbeitet, fertigt für das neue Projekt eine Reihe von Arbeiten, Zeichnungen, Collagen, Fotografien und Skulpturen, die sie zu einer spannenden Installation verbindet. Häufig autobiografisch, oft erotisch und immer spielerisch verwendet die Künstlerin gefundene Bilder und Objekte in bemerkenswerten Gegenüberstellungen und humorvollen Anspielungen. Ihr Stil ist sowohl dem Surrealismus als auch der Art Brut verpflichtet, bezieht sich aber auch stark auf indische Volkskunst, urbane Populärkultur und traditionelle Miniaturmalerei.

Die Fotoarbeiten von Bharat Sikka (geb. 1973) schwanken oft zwischen gestellter Befangenheit und spontaner Schnappschuss-Ästhetik. Beispiele aus zwei seiner Foto-Serien werden in den Krinzinger Projekten zu sehen sein – sie zeigen die Ängste auf, die mit Indiens Eintritt in eine globalisierte Wirtschafts- und Kulturwelt verbunden sind. Die Männer in „Indian Men“ sind überwiegend aus der gesellschaftlichen Oberschicht, sie werden alleine gezeigt, vor ihren Häusern oder bei der Arbeit, dennoch isoliert von der Welt, die sie umgibt. Seine „Urban Landscapes“ sind raue, verlassene Landschaften von eindringlicher Schönheit. In den Fotografien mit neuen Architekturen und mangelnder städtischer Infrastruktur gelingt es Bharat Sikka die ständigen Brüche in der indischen Gesellschaft einzufangen.

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India 3: New Delhi
Republic of Illusions
Kurator: Peter Nagy

Künstler: Anita Dube, Sheba Chhachhi, Probir Gupta, Pushpamala N. , Ram Rahman, Raqs Media Collective, Dayanita Singh
Ort: GALERIE KRINZINGER

Künstler: Mithu Sen, Bharat Sikka
Ort: KRINZINGER PROJEKTE