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Zum ersten Mal ist dem weltweit berühmten japanischen Künstlers Hokusai (1760–1849) in Deutschland eine große Retrospektive gewidmet. Sein wohl bekanntestes Bild ist ein Holzschnitt: „Die große Welle bei Kanagawa“ aus der Serie: „36 Ansichten vom Berg Fuji“ (1823–29). Über 350 Leihgaben, die bis auf wenige Ausnahmen aus Japan kommen, werden in der Ausstellung im Martin-Gropius-Bau in Berlin zu sehen sein. Seiji Nagata, der bedeutendste japanische Kenner des Werkes von Hokusai, kuratiert die Ausstellung, die exklusiv nur in Berlin zu sehen ist.

Werke aus allen Schaffensperioden, Holzschnitte und Zeichnungen, illustrierte Bücher und Malerei werden gezeigt. Mit einer Umfrage erkundete im Jahre 2000 das Magazin Life, wer die bedeutendsten Künstler der Kunstgeschichte weltweit seien. Hokusai kam auf Platz 17, noch vor Picasso. In der Ausstellung, welche die gesamte, mehr als 70jährige kreative Zeit Hokusais umfasst, kann man sich von der Genialität dieses großen Künstlers überzeugen. Über dreißig Künstlernamen gab er sich im Laufe seines Lebens. Unter einem dieser Namen – Hokusai – ist er heute weltbekannt. Sein vollständiger Name war Hokusai Katsushika.

Im Jahre 1760 wird Hokusai in Honjo, einem Stadtteil von Edo geboren. Honjo ist heute ein Teil des Stadtbezirks Sumida in Tokyo. Edo hatte man nach der Meiji-Restauration 1868 in Tokyo umbenannt. Die Stadtverwaltung von Sumida plant, dem weltberühmten Künstler, der den größten Teil seines Lebens in Edo verbracht hat, ein neues Museum zu widmen. Teile jener für das Museum vorgesehenen Sammlung sind nun für einige Wochen in Berlin zu sehen. Viele der Werke haben Japan noch nie verlassen.

Hokusais Vater kam aus jenem Ort Uraga in der Nähe von Edo, vor dessen Küste im Juli 1853, vier Jahre nach Hokusais Tod, der amerikanische Commodore Perry mit seinen „Schwarzen Schiffen“ auftauchen sollte, um die seit 1635 bestehende Abschließungspolitik (Sakoku) Japans mit Gewalt zu beenden. Adoptiert wird Hokusai zeitweise von seinem Onkel, einem Spiegelmacher, der für den Hof des Shogun arbeitet. Mit sechs kann er zeichnen. Mit zwölf arbeitet er in einer der vielen Bibliotheken von Edo, die gedruckte Bücher verleihen. Bereits mit achtzehn ist er ein Meister im Holzschnitt. Der vielfarbige Farbholzschnitt, der Druck eines Blattes mit drei und mehr Druckplatten, wird in Japan seit den 1740er Jahren angewandt und in den 1790er Jahre einen ersten Höhepunkt erreichen – Hokusai hat einen großen Anteil daran. Mit bis zu 70 Farb-Platten für einen einzigen Holzschnittdruck arbeiten einige Künstler damals. Doch mit 22 Jahren will Hokusai eher Zeichner als Holzschneider sein. Die japanischen Papierhersteller und Verleger hatten sich klugerweise damals auf die Herstellung von nur zwei Papierformaten (oban und chuban) geeinigt – ein Rationali¬sierungsschub, der hohe Druckauflagen zu sinkenden Preisen ermöglichte.

Ukiyo-e (Bilder der vergänglichen Welt) Bilder von schönen Frauen (bijin-ga) – lag doch auch das berühmte Vergnügungsviertel Yoshiwara in Honjo-Sumida, Bilder von Sumo-Ringern (sumo-e), deren Arenen in Honjo-Sumida errichtet waren, Bilder von Kabuki-Schauspielern, deren Theater sich in Honjo-Sumida befanden – es sind Ukiyo-e, Bilder der fließend-vergänglichen (Unterhaltungs-)Welt, welche die Holzschneider in großer Zahl fertigen. Fliegende Händler verkaufen sie in ganz Japan. Ein bürgerliches Publikum zählt zu den Hauptabnehmern. Der Begriff Ukiyo meint auch eine unbeständige Welt in buddhistischem Sinne, lehrte Buddha doch auch die Vergänglichkeit aller Dinge. Doch auch Illustrationen von Blumen und Pflanzen, mit naturwissenschaftlicher Präzision gezeichnet, Illustrationen zu Romanen – schon um 1780 wurden 650 Romane gedruckt - oder klassischen Schriften wie Szenen aus dem Leben des Prinzen Genji, gehören in jener Zeit zum Repertoire eines Zeichners und Holzschnittkünstlers. Allein über 1000 Roman-Illustrationen entstehen damals aus Hokusais Hand.

Ein, wenn auch geringer, europäischer Einfluss auf die Kunst entwickelt sich, seit um 1770 Zograskope, Guckkästen in Japan auf den Markt kommen, die das europäische Publikum schon seit einiger Zeit begeisterten. Holländer führen die Geräte über Nagasaki ein. Japanische Künstler lernen, in Zentralperspektive zu zeichnen. Es sind meist Szenen des für Japan Fremden, Ansichten von Holland zum Beispiel, welche die Künstler als Sujets für eine Verwendung der Zentralperspektive wählen. Die japanische Tradition der Darstellung von Perspektive war eine andere und geht auf sehr viel ältere Maltraditionen zurück. Die Guckkastenbilder mit ihren Szenen aus allen Bereichen der damals bekannten Welt geben dem Betrachter das Gefühl, sich mitten im Geschehen zu befinden. Es ist eine Art globales Fernsehen des 18. Jahrhunderts. Auch Hokusai entwirft Guckkastenbilder und befasst sich intensiv mit der Zentralperspektive.

Bereits um 1700 hat Edo 1,2 Millionen Einwohner. Es ist ein reiches und spendierfreudiges Publikum, in dessen Umgebung Hokusai aufwächst: Kaufleute und Samurai, Daimyo (Fürsten) und Hofleute. Bücher erreichen schon damals leicht 13.000 Exemplare Auflage. Von einer Holzplatte konnte man viele hundert Abzüge herstellen. Millionenfach werden die farbigen Drucke verkauft. Hokusai wird für die Wandlungsfähigkeit seines Stils weithin gerühmt. Wiewohl er „Manga“ nicht erfunden hat, so ist sein Holzschnittwerk „Hokusai-Manga“ noch heute weltweit bekannt und als Nachdruck auf dem Markt. Dabei ist es „nur“ ein Malhandbuch, entstanden als Holzschnittdruck in mehreren Bänden seit 1814 – auf der Basis von etwa 4000 Zeichnungen aus Hokusais Hand. Betrachtet man es heute, so wirkt es wie eine Schilderung des Lebens in Japan, reich an Informationen aber auch an stupender gestalterischer Finesse. Man sagt, Hokusai habe auch an die 150 Bilder gemalt, doch nicht alle sind heute erhalten. Einige werden in Berlin zu sehen sein, darunter ein Selbstporträt.

Fast 90 Jahre wird Hokusai alt, weit über 70 Jahre dauert seine Schaffensperiode. Noch bis ins hohe Alter ist er aktiv. In seinem Vorwort zu einer 1834 gedruckten Ausgabe des Werkes „100 Ansichten des Berge Fuji“ schreibt er, der zuletzt eher als Maler denn als Holzschneider und Zeichner gesehen werden wollte: „Seit meinem sechsten Lebensjahr habe ich Dinge meiner Umgebung abgezeichnet. Seit ich 50 Jahre alt wurde veröffentliche ich fortlaufend viele Werke. Doch waren meine Arbeiten vor dem 70. Lebensjahr unbedeutend. Erst mit 73 Jahren habe ich ein wenig von der Anatomie der Tiere und vom Leben der Pflanzen begriffen. Wenn ich mich darum bemühe, werde ich mit 80 weitere Fortschritte machen und mit 90 hinter die letzten Geheimnisse kommen können. Und wenn ich dann 100 Jahre alt bin, werden sich die einzelnen Striche und Punkte ganz von allein mit Leben füllen. Möge der Gott des langen Lebens dafür sorgen, dass diese meine Überzeugung kein leeres Wort bleibt“

Hokusai-Rezeption in Europa Die Rezeption des Werkes von Hokusai im Europa des 19. Jahrhunderts ist überwältigend. Schon die Holländer, mit denen Hokusai trotz strenger Kontrollen direkt verkehren kann, bringen Farbholzschnitte und Malerei zu seinen Lebzeiten nach Europa.

Für den Leiter der holländischen Handelsniederlassung in Deshima, Kapitän Bloemhoff, Leiter der Niederlassung von 1817–22, soll Hokusai vierzig Bilder gemalt haben. Franz von Siebold, ein deutscher Arzt aus Würzburg, der von 1823–1829 in holländischen Diensten auf Deshima tätig war, sammelt Werke von Hokusai, die sich noch heute in mehreren europäischen Sammlungen befinden. Siebold reproduziert bereits 1858 eines seiner Werke in seinem enzyklopädischen Japanbuch „Nippon –Archiv zur Beschreibung Japans…“. Damit beginnt der Siegeszug Hokusais in Europa und USA. Bereits 1862 findet in Paris eine erste Ausstellung mit japanischer Kunst statt. Ernest Fenollosa (1853–1908) widmet Hokusai 1893 eine erste Retrospektive im Westen, im Boston Museum of Fine Arts. 1901 werden im Wiener Kunstgewerbemuseum über 600 Werke von Hokusai gezeigt. 1913 folgt eine große Ausstellung in Paris. Eine erste Biographie erscheint bereits 1880 auf dem europäischen Markt, schon 1896 eine zweite in Paris, verfasst von Edmond de Goncourt. In der damaligen Hauptstadt der Kunst, in Paris, sind Hokusai und seine japanischen Künstlerkollegen Tagesgespräch. Ein Dutzend Galerien konkurrieren um Käufer, etwa vier Dutzend japanische Künstler vertreten sie in Europa, unter ihnen Harunobu, der etwas älter als Hokusai ist, Utamaro, ein Zeitgenosse, Hiroshige und Kunisada, beide sehr viel jünger als Hokusai, um nur einige zu nennen. Viele europäische Künstler jener Zeit lassen sich vom Werk Hokusais beeinflussen, sammeln seine Holzschnitte: Degas, Gauguin, Jawlensky, Klimt, Marc, Macke, Manet, der Zola vor einem japanischen Holzschnitt portraitiert, Monet – der einige hundert japanische Holzschnitte sammelt, Mucha, Pissarro, Toulouse-Lautrec, Whistler, Valloton, van Gogh – und andere. Samuel Bing (1838–1905), dessen 1895 in Paris eröffnete Galerie „L’art Nouveau“ einem neuen Stil seinen Namen gab, der als Jugendstil seinen Siegeszug über ganz Europa antreten wird, begann als Händler japanischer Kunst. Japanische Kunst wird zwischen 1860 und 1920 zu einer großen Mode in ganz Europa und den USA. Hokusai aber konnte den Erfolg seiner Kunst in Europa nicht mehr erleben.

Historischer Rückblick: Die Entwicklung der Stadt Edo seit 1600 Shogun Tokugawa Ieyasu, der von 1603–1605 regierte, gelingt es, Japan nach einem langen Bürgerkrieg, in dem übrigens damals schon Europäer mitmischten, zu befrieden. Seinen Regierungssitz errichtet er in Edo, heute Tokyo, fern der alten Stadt Kyoto, wo der japanische Kaiser damals relativ einflusslos residiert. In Kyoto unterhält der Shogun zwar einen Palast, doch die Macht in ganz Japan geht nun von Edo aus. Man könnte die Herrschaftsform des Tokugawa-Clan eine Militärdiktatur nennen, mit dem Shogun als Generalfeldmarschall. Der Shogun, von einer strengen Auslegung des Konfuzianismus beeinflusst, hatte eine strenge soziale Hierarchie befürwortet: an der Spitze der Schwertadel, die Samurai. Sodann kamen die Bauern und Handwerker und am Fuß der sozialen und gesellschaftlichen Pyramide die Kaufleute. Letztere waren aber nicht daran gehindert, sehr reich zu werden. So können sie später, ob des ständigen Geldmangels der Regierung, das Recht Schwerter zu tragen, auch kaufen.

Bis 1639 werden Portugiesen und Spanier, als Vertreter der katholischen Mächte Europas, von Tokugawa Iemitsu des Landes verwiesen, das sie einst etwa 90 Jahre zuvor erreicht hatten. Japan wollte nicht das Schicksal der spanischen Kolonie „Philippinen“ erleiden. Nur die seit 1600 in Japan aktiven protestantischen Holländer, wussten sie doch viel über eben diese katholischen Mächte Europas zu berichten, dürfen auf der kleinen Insel Deshima im Hafen von Nagasaki, 1300 km weit entfernt von Edo, eine Faktorei unterhalten. Für die Japaner ist Deshima das Fenster nach Europa. Alle vier Jahre muss der holländische Leiter der Handelsniederlassung nach Edo reisen und dem Shogun über die aktuelle Entwicklung Europas und der Wissenschaften berichten. Auf einer benachbarten Insel hatten die Japaner ein zweites ‚Fenster‘ eingerichtet: hier dürfen Chinesen sich niederlassen und Handel treiben. Bis 1853 ist Japan ansonsten abgeschlossen, währt ein „ewiger Friede“. Über 250 Jahre, bis zur Meiji-Restauration im Jahre 1868 wird der Tokugawa-Clan das Land mit harter Hand regieren.

Eine Vorsichtsmaßnahme des Shogun Iemitsu um 1635 ist es, die Edo zur damals größten Stadt der Welt werden ließ. Da er den Fürsten des Landes, den über 200 Daimyo misstraut, zwingt er sie, in Edo eine Residenz zu errichten. Die Familien, insbesondere die Frauen und ältesten Söhne, sind angewiesen als Geiseln in Edo zu leben, auch wenn der Daimyo sich in seiner Heimatprovinz aufhält. Alle zwei Jahre müssen die Daimyo nach Edo reisen, teure Geschenke übergeben und dem Shogun berichten. Ihr Leben ist dadurch so aufwendig, dass einige bald verarmen.

Für Edo jedoch und seine städtische Entwicklung ist das System der Residenzpflicht ein großes Konjunkturprogramm. Künstler aus ganz Japan strömen in die Hauptstadt, um die Paläste zu schmücken, Bücher zu illustrieren, zu malen. Edo wird auf diese Weise nicht nur ein wirtschaftliches, sondern auch ein künstlerisches Zentrum des Landes.

Der Rang eines Daimyo bemisst sich damals an der Menge des Reis, den er in seiner Provinz ernten kann. Einer der Reichsten soll 5 Millionen Büschel Reis geerntet haben. Den Reis wiederum wollen viele Daimyo zu Geld machen, da es nun einmal sehr umständlich ist, mit Reissäcken zu bezahlen. Dies ist die Chance für die Kaufleute von Edo. Sie geben Silbergeld für Reis, den sie in großen Lagerhäusern am Fluss Sumida lagern, da wo heute der Stadtbezirk Sumida liegt. Und sie werden sehr reich.

In dieser Hafengegend am Fluss Sumida also lebt der Künstler Hokusai, umgeben von reichen Reishändlern, Kaufleuten und Bürgern, die sich Kunst, Bücher und Gedichte leisten können. In den 1790er Jahren, Hokusai ist um die dreißig, soll die Alphabetisierungsrate der Männer bei etwa 70%, die der Frauen bei etwa 50% gelegen haben. Um 1808 gibt es in Edo 600 Leihbüchereien. Bücher erscheinen in für damalige Verhältnisse großen Auflagen. Edo ist eine Stadt voller Leser und Connoisseure, die illustrierte Bücher, Farbholzschnitte und Malerei schätzen. Die quirlige Millionenmetropole Edo ist zu Zeiten Hokusais ein Paradies für Künstler.

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Katsushika Hokusai
Retrospektive
Kurator: Seiji Nagata