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Henry Darger (1892 bis 1973) gilt als ein Geheimtipp der Kunstszene. Seine Arbeiten werden viel diskutiert, doch sind sie selten im Original zu sehen. Darger lebte in einer obsessiven Fantasiewelt; er schrieb einen Roman von über 15‘000 Seiten, den er mit aquarellierten Zeichnungen illustrierte. Das migros museum zeigt nun eine Auswahl dieser Illustrationen.

Früh verwaist verbrachte Henry Darger seine Kindheit in katholischen Heimen und einer Schule für geistesschwache Kinder, deren Aufsicht er als 17-Jähriger entfloh. Darger führte ein sehr unauffälliges und zurückgezogenes Leben am Rande der Armut. Er arbeitete als Hausmeister und Tellerwäscher in Krankenhäusern und lebte in einem winzigen Apartment in Chicago, das er von Boden bis zur Decke mit Zeitschriften, Zeitungen, Tagebüchern, Wettertabellen und seinem Roman anfüllte. Als er 1973 starb, erbten seine Vermieter, der Bauhauskünstler Nathan Lerner und die Pianistin Kiyoko Lerner, das ganze Inventar. Sie entdeckten Dargers Lebenswerk, seinen 15‘145 Seiten starken Roman mit dem Originaltitel The Story of the Vivian Girls in What is known as the Realms of the Unreal or the Glandelinian War Storm or the Glandici-Abiennian Wars, as Caused by the Child Slave Rebellion und die dazugehörigen Illustrationen, 300 collagierte undatierte Aquarelle, manche doppelseitig zusammengeklebt oder genäht.

The Realms of the Unreal schildert Krieg, wie wir ihn uns in unserer kollektiven Psyche als archaischen Kampf zwischen Gut und Böse vorstellen: die Unschuldigen sind bezauberndengelhaft, die Bösen unsagbar grausam. Die Geschichte erzählt die Schlacht zwischen sieben heroischen kleinen Mädchen, genannt die Vivian Girls, die eine katholische Republik verteidigen und den glaubensabtrünnigen Schlächtern: den Glandolians. Darger platziert seine kleinen kulleräugigen Mädchen, häufig sexuell indifferent nackt mit kleinen Penissen oder Flügeln ausgestattet, inmitten eines blühenden Kinderarkadiens. In diesem Bilderbuchidyll werden sie immer wieder vom Bösen heimgesucht. Glandolians, gekleidet in Uniformen des amerikanischen Bürgerkrieges und des ersten Weltkrieges, verfolgen, erwürgen oder foltern die Schwestern.

Obwohl Darger selbst an keinem Krieg teilnahm, liess er die gewaltsamen Auseinandersetzungen seiner Zeit in das Werk einfliessen. Seine Motivfindung war immens. Die Inspirationen bezog er aus Zeitungsartikeln, Filmstills, Comicfiguren und Kinderbüchern, deren simple Perspektive er übernahm und zu einer fortlaufenden Erzählstruktur formte, die auf Panoramaformat auswachsen konnte.

Der Versuch, Dargers Arbeiten kunstgeschichtlich einzuordnen, ist unzureichend. Jedoch interessant erscheint, dass seine Bilder den Schriften eines Antonin Artaud, eines de Sade oder der Alice von Lewis Carroll ebenso verwandt sind wie den Arbeiten einiger zeitgenössischer Künstler, beispielsweise Ugo Rondinone, den Chapman Brüdern oder Karen Kilimnik.

Die Ausstellung Henry Darger wurde kuratiert von Klaus Biesenbach für P.S.1 Contemporary Art Center und Kunst-Werke und ermöglicht durch die liebenswürdige Unterstützung von Frau Kiyoko Lerner und der Sammlung Mrs. Kiyoko Lerner Courtesy of Carl Hammer Gallery Chicago, Illinois, USA. Pressetext