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Mit Harun Farocki stellt das Kunsthaus Bregenz einen Filmemacher und Künstler vor, dessen Werk die Geschichte des politischen Films seit den späten 1960er-Jahren maßgeblich geprägt hat. Neben über 100 Produktionen für Fernsehen und Kino hat Farocki seine Überlegungen zum Verhältnis von Gesellschaft, Politik und bewegtem Bild auch als langjähriger Autor und Redakteur der Zeitschrift »Filmkritik«, als Kurator sowie als Professor in Berkeley und Wien vermittelt. Seine große Bedeutung für die bildende Kunst spiegelt sich sowohl in Überblickspräsentationen seiner Filme in Institutionen wie der Tate Modern in London als auch in Einzelausstellungen im Wiener MUMOK, dem Jeu de Paume in Paris und dem Kölner Museum Ludwig wider. Wie wichtig seine Filme und Installationen im Kunstkontext sind, lässt sich nicht zuletzt an seiner zweimaligen Teilnahme an der »documenta«, in den Jahren 1997 und 2007, ermessen.

Die vom Kunsthaus Bregenz organisierte, bis dato umfangreichste Überblicksausstellung in Österreich umfasst den Zeitraum von 1968 bis heute und präsentiert erstmals in Europa drei speziell für diesen Anlass entstandene Videoinstallationen, die Teil der Serie Ernste Spiele sind und mit Unterstützung des KUB realisiert wurden. Für diese neuen, jeweils 8 Minuten langen Videoinstallationen hat Farocki Aufnahmen in Militäreinrichtungen der USA gedreht und die eigenen Sequenzen mit Ausschnitten aus Computersimulationen kombiniert. Die an Spiele erinnernden Programme werden von Soldaten genutzt, um an ihren Rechnern den Ernstfall im Irak, in Afghanistan und in potenziellen Krisengebieten zu proben. Eine weitere Variante stellt die ebenfalls zur Serie Ernste Spiele zählende Arbeit Immersion dar, bei der es um Reinszenierungen traumatischer Kriegserlebnisse der Soldaten mithilfe solcher Simulationstechnologien geht, die in diesem Fall zu therapeutischen Zwecken eingesetzt werden.

Das Verhältnis von Technik und Krieg spielt bereits in früheren Arbeiten des Künstlers eine entscheidende Rolle. In der aus drei separaten Installationen bestehenden Serie Auge/Maschine (2001–2003), die zusammen mit Ernste Spiele im ersten Obergeschoss des KUB vorgestellt wird, setzt Farocki dieses zu wirtschaftlichen Produktionsbedingungen in Beziehung. Er zieht Vergleiche zwischen Überwachungsmechanismen in kriegerischen Auseinandersetzungen und dem Einsatz von Kameras in zivilen Situationen wie zum Registrieren von Bewegungen an öffentlichen Orten und zur Kontrolle von Arbeitsabläufen in hoch technisierten Industrieanlagen. Aus seiner Sicht ersetzen Krieg und Industrie gleichermaßen zunehmend das menschliche Auge durch Computer, natürliche Augenarbeit wird in beiden Bereichen immer stärker von Maschinen übernommen.

Ein genaues Schauen, ein visuelles und kognitives Abtasten der ästhetisch eindrücklichen Bilder von drei geografisch verschiedenen Produktionsstätten ist bei der 2-Kanal-16-mm-Filminstallation Vergleich über ein Drittes von 2007 gefragt. Diese wird zusammen mit der Doppelvideoinstallation Gegen-Musik, 2004, und einer umfangreichen Filmbibliothek mit 25 Arbeiten im zweiten Stock präsentiert. Vergleich über ein Drittes zeigt in einer Doppelprojektion Aufnahmen von Ziegelproduktionen und der Verarbeitung von gebrannten Steinen zu Bauwerken in Afrika, Indien und Europa. Im sachlichen Modus des Dokumentarfilms gedreht, kommt diese Arbeit ohne gesprochenen Kommentar aus und wirkt allein über die suggestive Atmosphäre des Gezeigten. Auch wenn im Vergleich zwischen kollektiver Produktion in Afrika und dem in Europa durch Maschinen bestimmten Herstellungsprozess emotional Unterschiede zu spüren sind, entzieht sich der Film doch einer eindeutigen Stellungnahme. Allerdings macht er allein durch das Aufzeigen archaisch wirkender Produktionsbedingungen bei indischen Hochhausbauten die Parallelität von verschiedenen Industrialisierungsstufen innerhalb einer Gesellschaft bewusst und verdeutlicht so die Fragwürdigkeit einer traditionellen Fortschrittsvorstellung.

In Gegen-Musik verwendet Harun Farocki fast ausschließlich bereits existierendes Material. Hierzu zählen Aufnahmen aus Schlaflabors sowie von Überwachungs- und Kontrollkameras, die den Auto-, Zug- und U-Bahn-Verkehr ebenso im Blick haben wie die Fußgänger. Er vergleicht Bilder der Kanalisation und abstrahierte Schautafeln zum Funktionieren eines Ortes mit lebenden, organisch pulsierenden Körpern und entwirft ein Porträt dieser Stadt, das in der Tradition von Filmen aus den 1920er-Jahren wie Der Mann mit der Kamera von Dziga Vertov oder Berlin – Die Sinfonie der Großstadt von Walter Ruttmann steht. Von beiden Filmen sind in Farockis Installation Ausschnitte zu sehen. Gegen-Musik entstand im Rahmen von »Europäische Kulturhauptstadt Lille 2004« und rekurriert mit seinem Originaltitel Contre-Chant, der gesprochen ähnlich klingt wie »Contrechamp« (dt. Gegenschuss), ebenso auf filmimmanente Aspekte, die gerade auch in der Doppelprojektion der Arbeit verdeutlicht werden. Und es ist die für Harun Farocki charakteristische Form der Doppelprojektion, die es ihm ermöglicht, sowohl einen regulären sukzessiven Ablauf einzelner Bilder als auch eine Gleichzeitigkeit in ihrer Beziehung herzustellen. Durch das Hin- und Herspringen der Bilder entstehen trotz der teilweise harten und unvorhersehbaren Schnitte weiche Montagen, die der Ausstellung in Bregenz ihren Titel geben.

Zu den bekanntesten und beliebtesten Arbeiten Farockis zählt sicherlich die auf der letzten »documenta« für viel Aufsehen sorgende und im dritten Stockwerk des KUB präsentierte Arbeit Deep Play. Auf zwölf Projektionsflächen wird der Besucher mit verschiedenen Blicken auf das WM-Endspiel von 2006 konfrontiert. Gezeigt werden nicht nur die für die regulären Zuschauer damals sichtbaren Bilder des Spiels, sondern auch computergenerierte Abstraktionen des Spielflusses, Vektorvermessungen von Spielerkörpern und einzelne Spieler in der Nahsicht. Wir hören und sehen, wie die Analysten das Spiel kommentieren, und beobachten die Reaktionen der Trainer. Aber Farockis Arbeit enthält auch die weniger spannenden Bilder von Kameras, die leere Versorgungswege und verlassene U-Bahn-Stationen oder den sich im Verlauf des Spiels verfärbenden Sommerhimmel einfangen. Das Spiel, das im Sommer 2006 1,5 Milliarden ZuschauerInnen auf der ganzen Welt verfolgt haben und das auch wegen des unrühmlichen Kopfstoßes Zidanes Fußballfans und Laien gleichermaßen beschäftigte, wird hier zu einer Metapher für das komplexe Verhältnis von Unterhaltung, Kontrolle, Kampf und Medien. Bemerkenswert an der Bregenzer Ausstellung ist nicht allein die außergewöhnliche Vielfalt der gezeigten Arbeiten, sondern auch ihre verschiedenen Präsentationsformate, die raumgreifende Installationen, eine Filmbibliothek und eine Werkschau im örtlichen Metrokino umfassen.

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Harun Farocki
Weiche Montagen/ Soft Montages