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Am Beispiel der Neuen Sachlichkeit lässt sich nachvollziehen, welche Einflüsse den Erfolg oder Misserfolg von Kunst in ihrer Zeit bestimmen können. Viele Künstler dieser fortschrittlichen Bewegung des beginnenden 20. Jahrhunderts, deren Werke unter dem Naziregime seit 1937 zu entarteter Kunst zählten, haben sich von der Diffamierung zu Lebzeiten nie richtig erholen können. Dass aber bis heute in Deutschland ein Schatten über der Malweise liegt, hängt meiner Ansicht nach auch damit zusammen, dass Hitlers Lieblingskünstler sich im Duktus der Neuen Sachlichkeit ausdrückten. Dabei sieht man es Kunstwerken an, ob sie ideologischer Verführung erliegen oder nicht. Kanoldts freier Blick auf das Motiv war Grund genug, dass Nazi-Chefideologe Rosenberg ihn kaltstellte und seine Kunstwerke aus dem öffentlichen Raum entfernte. Das ist übrigens unabhängig vom Motiv, auch ein Blumenstilleben kann den Unterschied zwischen malerisch freiem Denken, Duktus und Ausführung und unfreier angepasster steriler Malweise aufdecken.

Dagegen spielt die Nachfolge der Neuen Sachlichkeit in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in anderen Ländern eine übergeordnete Rolle. Edward Hopper, Chronist der Einsamkeit des Menschen in der Massengesellschaft, David Hockneys aufmüpfiger Widerstand gegen alte Zöpfe, Andy Warhols frühe Werbezeichnungen, aus denen später Pop Art entstehen sollte, sind Beispiel für die unbegrenzten Möglichkeiten, die dem realistisch malenden Künstler heute zur Verfügung stehen.

Die Kölner haben diese neuen Kunstformen als erste geliebt und gefeiert und Harald Klemm ist Kölner. Wie schon die Neue Sachlichkeit, verfechten American Realism bis hin zur Pop Art, School of London vehement die Freiheit vor Ideologien. Vor diesem Hintergrund ergreift Harald Klemm die Chance realistischer Darstellung als Möglichkeit, seine freiheitliche Gesinnung begeistert und dabei bedacht und überlegt darzustellen. In einer sich mit Schallgeschwindigkeit schnell verändernden Welt stellt er einer Wahrheit nach, die komplizierter darzustellen ist, als die fotografische. Es liegt nahe, dafür sowohl Computerbilder, als auch Fotos zur Grundlage für das Motiv zu machen. Dann tritt die passende Maltechnik auf den Plan: das Motiv entsteht im langsamen Schicht- für Schicht-Auftrag der Farbe. Der Betrachter erlebt den Anblick großer Unbestechlichkeit, während gleichzeitig die Freiheit des dargestellten Gegenstandes seine Gedanken beflügelt. Er sieht die zarten Farbschichten und stellt sich das darunter verborgene vor. Dort, wo viele Schichten hervorschimmern und übereinanderlagern, gibt es keine Ideologie mehr, erhebt keine allein gültige Wahrheit Anspruch auf Vorherrschaft. Hier tritt die Wahrheit in ihren unendlich vielen Gesichtern hervor. Die viel gescholtene digitale Bilderwelt zeigt in dieser subtilen Bearbeitung ihre Fähigkeit, Bilder in unbegrenztem Ausmaß auf ihren Wahrheitsgehalt zu untersuchen, auf ihre Vorbildfunktion, auf Werte, die wir schätzen und wahren möchten.

Harald Klemms Bilder sind in der Abbildung nur ein Abglanz ihrer Schönheit. Ein Besuch dieser Ausstellung empfiehlt sich deshalb sehr und wir freuen uns besonders, wenn Sie zur Ausstellungseröffnung in Gegenwart des Künstlers anwesend sein können.
Ingrid Raab