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Als Hans Schabus (geb. 1970 in Watschig, Österreich) auf der Frankfurter Manifesta 4 (2002) sich in einem Video mit seinem Boot »forlorn«auf einer merkwürdigen Fahrt durch die Abwässerkanäle Wiens zeigte, wurde klar, dass hier ein neues vielschichtiges künstlerisches Werk im Entstehen begriffen ist. Auch in einem seiner Hauptwerke, »Astronaut (komme gleich)« (2003), inszenierte der Künstler in der Wiener Secession einen interdisziplinären Parcours aus Filmarbeit, Rauminstallation, Architekturfragmenten und sprachlichen Bezügen. Die eigentlichen Zugänge zu den Ausstellungsräumen waren vermauert. Stattdessen führte der Weg des Besuchers über labyrinthische Gänge von unten durch das historische Gebäude in das eins zu eins maßstäblich nachgebaute, aber völlig leere Atelier des Künstlers. Schabus hatte es als komplexes bildhauerisches Konstrukt mitten im Ausstellungssaal errichtet.

Zerstörend, untersuchend, neu errichtend: Immer thematisiert Hans Schabus in seinem Werk die Rolle des Künstlers im Raum und, stellvertretend für diesen, die des Betrachters als eines Bewusstsein und Unterbewusstsein seines Ichs durchmessenden Reisenden. Hans Schabus bezieht sich mit seinem Werk auch auf künstlerische Traditionen wie z.B. das Œuvre Bruce Naumans und Gordon Matta-Clarks, aber auch weiter reichend auf die literarische Arbeit von Otto von Guericke, der 1672 in seiner Schrift »Neue Magdeburger Versuche über den leeren Raum«über »Ort und Zeit«sowie die »Leere«und den »Raum«geschrieben hat. Ganz in der Tradition des Kunsthauses und seiner Ausstellungen von Daniel Buren, Olafur Eliasson, Pierre Huyghe u. a. transformiert Hans Schabus das gesamte Gebäude in einen komplex verschachtelten, architektonischen und mentalen Parcours der Entdeckung des eigenen Ichs. In einem über ein Jahr dauernden Aneignungs- und Annäherungsprozess mit zahlreichen Aufenthalten in Bregenz hat der Künstler sein Konzept für die das gesamte Haus umfassende Ausstellung vorbereitet. Seine Erfahrungen, die Anreise mit dem Zug, vor allem die Tunnelfahrt und die »Kunstbauten«der Arlbergtrassenführung, sind Teil der Ausstellung. Ein reales und fiktives Beziehungsgeflecht spannt sich vom Atelier und Arbeitsort des Künstlers in Wien bis nach Bregenz und dringt verändernd in das Kunsthaus ein. Durch sein genaues Wissen um den Ort, die Geschichte des Baus, unzugängliche Bereiche der Architektur und Technikbereiche des Kunsthauses ermöglicht Hans Schabus den Besuchern ungewohnte neue Einblicke und Erfahrungen. All seine Überlegungen, Skizzen und Pläne, die allmähliche Konkretisierung der Ausstellung, zeichnet der Künstler in einem Jahreskalenderbuch auf, das als Künstlerbuch zur Ausstellung erscheinen wird.

Im Zuge einer akribischen Recherche der regionalen Geschichte ergab sich, dass der Tag der Ausstellungseröffnung exakt auch Datum eines manifesten Rendezvousproblems, des Arlbergtunnel- Durchbruchs, war. Vor 121 Jahren wurde die symbolträchtige geografische Scheidewand zwischen Vorarlberg und Restösterreich am 19. November 1883 durchbrochen. Zufälligerweise liegt die gedachte Verlängerung der Arlbergtunnel-Zugstrecke auch genau im rechten Winkel zum Kunsthaus. Alle Vorbereitungen zu seinem großen Vorhaben waren damit laut Schabus eigentlich schon getroffen.

Der unsichtbare Teil der Ausstellung ist Schabus’ Verlängerung des Arlbergtunnels bis ins zweite Untergeschoss des Zumthor-Baus. Der Gleisanschluss erfolgt gedanklich an den für Besucher nicht zugänglichen Lager- und Werkstattbereichen. Schabus spinnt den Faden weiter. Er füllt das erste Untergeschoss mit einem Teil des Aushubmaterials und kippt den Rest des virtuellen Erdreichs über den Bahnhof Bregenz. Das Netz an Referenzen ist eng geknüpft, denn wie die Aufschüttung ihr Vorbild im Bau des Bahnhofs Langen hat (der 1884 auf dem Aushubmaterial des Arlbergtunnels errichtet wurde), so verweist die Idee eines nicht enden wollenden Tunnels mit Fahrtrichtung ins Erdinnere auf Friedrich Dürrenmatts Erzählung »Der Tunnel«.

Der Kunsthaus-Haupteingang bleibt versperrt. Stattdessen betritt der Besucher das Haus über einen Holzsteg, der auf die Höhe der Anlieferungsrampe des Warenlifts und durch diesen hinunter ins Erdgeschoss führt. Die gesamte Bodenfläche ist mit Teichfolie ausgelegt und an den Wänden zusätzlich mit Sandsäcken gesichert. Wasserpfützen, Feuerwehrschläuche und Pumpen erinnern an den Zustand des Hauses im Hochwasserjahr 1999, als das Kunsthaus von drei Seiten vom Wasser des Bodensees umflutet war. Die Schläuche führen in den das Haus von allen Seiten umgebenden zwölf Meter tiefen Kollektorgang, die tiefste Ebene des Gebäudes. Das eintretende Grundwasser wird von hier in das Erdgeschoss gepumpt und erzeugt ein »inneres, verkehrtes«Hochwasser. Die Kreisläufe innerhalb des Hauses werden so gegen dieses selbst gerichtet.

Das erste Stockwerk ist Hafen zahlreicher Boote, die wie gestrandet auf der Seite liegen und den Raum füllen. Wie vielzählige Fischarten kontrastieren die Boote verschiedenster Typen mit der Hermetik des Ausstellungsraums. Mit Blick auf den angrenzenden Bodensee wird hier das Rendezvousproblem dringlich. Auch der von Hans Schabus speziell für die Expedition durch die Abwasserkanäle Wiens gebaute »Optimist« ist dabei. Das verdunkelte zweite Stockwerk wird zu einem großen Projektionsraum. Auf die drei tragenden Mauerscheiben projiziert Hans Schabus die Zugreise ins Kunsthaus. Schabus bewegt sich – wie der Student in Dürrenmatts Erzählung – als Protagonist durch die Technik- und Lagerräume des Gebäudes, um schließlich mit dem Lastenlift nach oben befördert zu werden. Die reale Bewegung des Betrachters durch die Ausstellung trifft hier auf die filmisch präsentierte Tunnelfahrt des Künstlers. Hinter allen Ausstellungsräumen vorbei findet diese mit einem Panoramablick vom Dach des Kunsthauses ihren vorläufigen Stillstand.

Die Kunst der Moderne ist von der Idee des »White Cube« geprägt, eines idealen Ausstellungsraumes, der sich bestmöglich zurücknimmt, um der Kunst ihre volle Wirkung zu erlauben. Er entspringt der Vorstellung einer selbstreferenziellen Kunst abseits politischer, ökonomischer oder sozialer Komponenten. Hans Schabus reflektiert in seiner Installation im dritten Obergeschoss des Kunsthauses dieses Gedankengerüst, indem er es unterminiert. Aus der Verlängerung der tragenden Mauerscheiben (und damit aus der Realität der Architektur) ergibt sich ein rechteckiges Feld, in dem Schabus auf dem Sockel einer doppelten Lage von Limonadenkisten einen Raum aus stehenden Paletten errichtet. Da das Innere zur Gänze mit weißem Karton ausgekleidet ist, entsteht ein per fekter »White Cube«. Gleichzeitig denkt Schabus an den so genannten »White Out«-Effekt, wie ihn Polar forscher oder Atlantiküberquerer in Extremsituationen erleben; gemeint ist der Verlust an körperlicher und psychischer Orientierung im leeren Raum einer konturlosen, blendend weißen Landschaft. Wie bei der Arbeit für den Bonner Kunstverein »Transport« (2003) – einem aus vorhandenen Stellwänden zusammengefügten Projektionsraum – erklärt sich auch hier die Konstruktion dieses idealen Raumes von außen. Ortspezifisch kann der Unterbau als historische Referenz an den Pfahlbau am Bodensee oder an Peter Zumthors erstes gestelztes Kunsthaus-Modell gesehen werden.

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Hans Schabus
Das Rendezvousproblem