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Die Schau Hanne Darboven / Channa Horwitz – Liest du mich? in der Galerie Crone präsentiert erstmalig Arbeiten der beiden Künstlerinnen in einer gemeinsamen Ausstellung.

Der Satz Liest du mich?, einem kleinen Gedicht entnommen, das Lawrence Weiner Hanne Darboven widmete, ist Frage, Bitte und Aufforderung zugleich. Er spiegelt eine Intimität, die ein Verständnis zu bedürfen scheint, das über das unmittelbar zu Lesende hinausgeht. Gleichzeitig suggeriert er jedoch eine Lesbarkeit, die über die idiosynkratische Bildsprache postmoderner Ergüsse (Poesie) hinausgeht und eine gemeinsame Sprache zwischen Künstler und Betrachter aufsucht. So ist der Akt des Schreibens der fundamentale Wechsel von der freien Linienführung zum Code.

Die Gegenüberstellung der beiden Künstlerinnen – einer Künstlergeneration angehörig und doch mit gänzlich verschiedenen Lebenswegen – eröffnet neue und fruchtbare Perspektiven auf ihr Werk und erzählt im gleichen Moment über wichtige Entwicklungen der Kunst nach dem Zweiten Weltkrieg. Möchte man das Schaffen von Strukturen als das zentrale Motiv der Konzeptkunst ausmachen, ließe sich sagen, dass wir es mit zwei Konzeptkünstlerinnen zu tun haben, die ihre eigenwilligen Grammatiken beide Mitte/Ende der sechziger Jahre entwickelten. Darboven (1941) während ihres zweijährigen Aufenthalts in New York, Horwitz (1932) in Los Angeles.

Beide Werke weisen relativ einfache, rational nachvollziehbare Grundstrukturen auf, die erst im Vollzug ihre Komplexität entfalten. So sind in Horwitz’ Werk die Deklination und Permutation der Zahlen 1 bis 8 und im späteren Werk die Zuordnung eines bestimmen Farbwertes zu jeder Zahl sowie die Variation geometrischer Grundfiguren stets Ausgangsbasis. Viele dieser Kompositionen lassen sich als Handlungsanweisungen für Bewegungsabläufe lesen oder musikalisch interpretieren. Darboven entwickelt von den Zahlen 1 bis 9 ausgehend und aus dem Bilden der Quersummen von Jahreszahlen ihr logisches System. Später kommen zu den Zahlen, als das Moment des Festschreibens von Zeit, weitere Dokumente, Abschriften lexikalischer Einträge, Fotos und Zeichnungen hinzu.

Beide Künstlerinnen eint, dass Sie sich biographisch recht früh auf einen Pfad, bestehend aus festen, selbstgeschaffenen Regeln, Vorgaben und Grenzen begeben haben, diesen stets erweiterten, jedoch nie wirklich verließen. Diese Erfahrung beschreibt Horwitz mit folgenden Worten: „Durch die Begrenzungen und Struktur, die ich meinen Werken auferlege, erfahre ich Freiheit. Denn nur scheinbar sind Limitation und Struktur das Gegenteil von Freiheit. Ich bin dahin gekommen, sie als Synonyme und als Grundlage der Freiheit aufzufassen.“ Weitere Gemeinsamkeiten sind, dass die Kompositionen und Konstruktionen, einem festen Code folgend, zwar ein serielles Moment aufweisen – allein der Gebrauch von Millimeterpapier bildet für beide Künstlerinnen eine gewichtige Bezugsstruktur –, sich im Gegensatz zu vielen ihren männlichen Kollegen das subjektive Moment der eigenen (Hand-)Schrift aber bewahren. Wollten sich die Minimalisten und Konzeptkünstler gerade vom hypertrophen Subjektivismus des abstrakten Expressionismus befreien und dies u. a. durch seriell-maschinelle Produktionswege erreichen, spielen bei Horwitz und Darboven das Ausführen und Schreiben und die damit potentiell vorhandene Fehlerhaftigkeit dieser Prozesse eine große Rolle.

In der nun zu sehenden Ausstellung findet sich eine Vielzahl von Werken unterschiedlicher Schaffenszeiten der beiden Künstlerinnen.

Viele Überlegungen Hanne Darbovens münden in der 416-blättrigen Arbeit Wende 80, datiert auf den Tag der Bundestagswahl eben jenes Jahres. Die Künstlerin tritt als parteiische Citoyenne auf; „denn als Demokrat muss man an der Geschichte teilnehmen.“ Die Arbeit, in 14 Stücke gegliedert, eröffnet ein literarisch anmutendes Referenzsystem, das erstmalig um Musik erweitert wird. So wird Darbovens System der Visualisierung von Zeit, den Konstruktionen, in Musik transkribiert, ein Interview der beiden Kanzlerkandidaten Strauß und Schmidt, Gedenken an Alfred Döblin, eigene Jugendzeichnungen, Bilder Harburgs aus einer verloschenen Zeit finden Einzug. Den Abschluss bildet die Frage nach der Verantwortung des Künstlers am Beispiel De Chiricos, der sich nur allzu gut in den italienischen Faschismus eingliederte – 1976 erhielt er das Verdienstkreuz der BRD.

Des Weiteren erhält der Besucher über die ausgestellten geometrischen Perforationen, die als Vorgänger und Grundstein für die Konstruktionen gelten können, wertvolle Einblicke in die Entwicklung ihres Systems. Die Arbeiten von Channa Horwitz könnte man als platonische Räume bezeichnen. Sie stellen die Frage: Was sind die Möglichkeiten einer Deklination und Bewegung unter den vorher definierten Bedingungen? Die Kompositionen der Serie Sonakinatography (in der Ausstellung ist u. a. die Arbeit Sonakinatography Composition XXII Number 2 von 2002 zu sehen) sind daher nicht auf ein bestimmtes Moment oder Medium ausgelegt, sondern können sowohl choreographisch und musikalisch interpretiert als auch in ihrer Diagrammstruktur als Gemälde betrachtet werden.

Die 16-teilige Arbeit Variation and Inversion on a Rhythm von 1976, die wiederum Teil einer größeren, dreiteiligen Serie ist, basiert auf Zahlen, die logisch durch acht vorher fertig gestellte Zeichnungen ermittelt wurden. Bei jeder folgenden Zeichnung variiert die Künstlerin alle Segmente der ersten Zeichnung um einen Zählimpuls. Zu der nachfolgenden 64-teiligen Arbeit schrieb Horwitz: „Die Struktur des Rhythmus’ innerhalb der Zeichnungen resultiert aus der Spaltung zwischen einer primären und einer sekundären Bewegung. Der primäre Rhythmus entsteht aus der Anwendung einer logischen Zahlensequenz. Der sekundäre Rhythmus entsteht aus der Anwendung einer Inversion, wobei in jeder aufeinander folgenden Zeichnung eine andere Zeile um eine Leerstelle umgestellt wird. In der ersten Zeichnungsserie verschiebt sich diese Umstellung in den aufeinander folgenden Zeichnungen jeweils in einer anderen Zeile um eine Leerstelle nach hinten, so dass sich 64 Zeichnungen ergeben.”

Zeit ihres Lebens bewunderte Channa Horwitz, die dieser Tage ihren 80. Geburtstag feiert, das Werk Hanne Darbovens. Nun, nach der späten Entdeckung von Horwitz’ Werk haben wir die Möglichkeit, diese beiden in einen Dialog zu setzten, Unterschiede und Parallelen herauszuarbeiten und die außergewöhnlichen Positionen zu würdigen.

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Hanne Darboven / Channa Horwitz
Liest Du mich?
Kuratoren: Michael Müller, Julian Malte Schindele