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Halil Altındere
Space Refugee
Eröffnung: Mittwoch, 14. September, 18 Uhr
Kuratorin: Kathrin Becker

Halil Altındere entwickelte für den Neuen Berliner Kunstverein das Space Refugee-Projekt, das angesichts der Abwehr von MigrantInnen in Europa mit ironischer Distanz den Weltraum als Zufluchtsort für Geflüchtete vorschlägt. Einer der zentralen Bestandteile der Ausstellung ist ein Film über den ehemaligen syrischen Kosmonauten Muhammed Ahmed Faris, der 1987 mit dem sowjetischen Raumschiff Sojus TM-3 für einen siebentägigen Aufenthalt zur Raumstation Mir flog. Heute lebt der ehemalige Held der Sowjetunion und Anhänger der demokratischen Oppositionsbewegung gegen Assad als Geflüchteter in Istanbul.

Die Ausstellung Space Refugee nimmt ästhetische Anleihen bei der Kunst des Sozialistischen Realismus und Bezug zu den heroischen Darstellungen der sowjetischen Kosmonauten. So findet sich eine Art Hagiografie über Muhammed Ahmed Faris in Form von Malereiporträts, einer lebensnah gearbeiteten Silikonbüste und einem Dokumentarvideo. Die Vision eines Lebens der Geflüchteten im All wird durch speziell entworfene Raumfahrtanzüge einer fiktiven „Palmyra“-Raumfahrtmission, ein Rover-Raumfahrzeug und ein Virtual Reality-Video konkretisiert.

Halil Altındere zählt zu der Generation von KünstlerInnen, die den kulturellen Aufbruch der Türkei in den 1990er Jahren maßgeblich mitbestimmten – als Künstler, Kurator und Verleger. Seine künstlerische Praxis gilt dem gesellschaftspolitischen Umbau der Türkei, der Beförderung eines Emanzipationsprozesses und dem Widerstand gegen repressive und nationalistische Entwicklungen in Staat und Gesellschaft. Seine Arbeiten erregen auch dadurch Aufsehen, dass sie den militärischen Apparat und die Regierungspolitik wie auch die patriarchalischen und nationalistischen Strukturen innerhalb der Türkei direkt und offen kritisieren. Den als Reaktion zu erwartenden Widerspruch der Staatsgewalt kalkuliert Altındere bewusst mit ein. Migration, Identität und Geschlecht, aber auch Fragen nach dem Einfluss westlicher zeitgenössischer Kunstströmungen auf die aktuelle Kunstszene der Türkei prägen sein Werk.

Die Videoarbeit Wonderland (2013) beispielsweise, die kurz vor den Aufständen im Gezi-Park entstand, thematisiert die Gentrifizierung Istanbuls. Im Mittelpunkt des Films steht die Roma Hip-Hop-Band Tahribad-ı İsyan, die dem Widerstand gegen die Verdrängung ganzer Bevölkerungsgruppen aus der Stadt eine Stimme gibt. 2016 koproduzierte der Neue Berliner Kunstverein gemeinsam mit dem Nordstern Videokunstzentrum für die Sammlung des n.b.k. Video-Forums die Videoarbeit Escape from Hell, die in Kappadokien und in Istanbul entstand und eine Allegorie auf die zunehmenden Kämpfe zwischen den säkularen und den religiösen gesellschaftlichen Kräften in der Türkei ist. Verfolgungsjagden, Aspekte queerer Kultur, Fesselballonflüge und ein Karateschüler in einer Moschee, der während seiner Koranstudien im Yogisitz abhebt, sind die Elemente von Altınderes absurd-ironischem wie scharfzüngigem Werk. Es schließt an die Vorgängerarbeit Angels of Hell an, in der Atatürk eine Wiedergeburt erlebt. Mit schwarzem Humor greift Altındere den politischen Alltag in der Türkei zu Beginn des 21. Jahrhunderts auf und artikuliert die Rolle des Künstlers als Kritiker gesellschaftlicher Zustände.

Bis zum 8. Oktober 2016 ist parallel zur Ausstellung im n.b.k. die Arbeit Köfte Airlines (2016), die Halil Altındere eigens für das Festival des HAU Hebbel am Ufer Die Ästhetik des Widerstands – Peter Weiss 100 produziert hat, vor und im HAU2 zu sehen. Für Köfte Airlines inszenierte Altındere in Zusammenarbeit mit in der Türkei ansässigen Geflüchteten eine Fotografie, die eine größere Gruppe von Menschen auf dem Rücken eines Flugzeugs sitzend zeigt.

Biografie
Halil Altındere (*1971 in Mardin / Türkei) lebt in Istanbul. Einzelausstellungen (Auswahl): MoMA / PS1, New York (2015); Kunstpalais Erlangen (2015); The Institute of Contemporary Art Sofia (2014); Centro de Arte Dos de Mayo, Madrid (2013); PİLOT Gallery, Istanbul (2014, 2011); TANAS, Berlin (2012). Gruppenausstellungen (Auswahl): Berlin Biennale (2016); MAXXI – Museo Nazionale delle Arti del XXI Secolo, Rom (2015); ZKM | Zentrum für Kunst und Medien, Karlsruhe (2015); Gemeentemuseum Helmond (2014); São Paulo Biennale (2014); MoMA / PS1, New York (2014); Istanbul Biennale (2013, 2005); Centros Culturais Banco do Brasil, Rio de Janeiro / São Paulo (2011); ARTER, Istanbul (2010); Sharjah Biennale (2009); Centre Georges Pompidou, Paris (2008); documenta 12, Kassel (2007); Istanbul Modern (2007).

Publikation
Zur Ausstellung erscheint eine Publikation in der Reihe „n.b.k. Ausstellungen“ im Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln, mit einem Vorwort von Marius Babias und Beiträgen von Halil Altındere, Kathrin Becker, Marenka Krasomil, Hans Ulrich Obrist, Ana Teixeira Pinto und Misal Adnan Yıldız.