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Am 28. Oktober 2004 eröffnet die Galerie Christian Nagel, Köln, die Ausstellung „Langspielkreise“ von Günter Brus und Jörg Schlick. Die beiden Grazer Künstler präsentieren darin ihre einmalige Gemeinschaftsarbeit „Spiralnebulöse Gedanken“, 2004, die aus 11 Schutzhüllen für Langspielschallplatten und 10 ebenso großen Blättern besteht, auf die Jörg Schlick mit Tusche Spiralen gemalt hat, die wirken wie die irr gelaufenen Umlaufbahnen einer Plattennadel. In einigen dieser wollknäuelartigen Strukturen hat Günter Brus Motive eingearbeitet, wie eine Rakete oder das Gesicht von Albert Einstein. Auf den Papierhüllen findet man einen von Brus handgeschriebenen Text, der mit den Worten beginnt „Wir zeichnen Sterne mit Zacken, als wären sie gelbe Seeigel, die sich am nächtlichen Firmament zur Schau stellen.“ Der fließende Text umkreist die menschliche Reflexion und Darstellung des Weltalls und nicht zuletzt des Saturns mit seinen Ringen.

Brus schlug Schlick die Zusammenarbeit vor, nachdem er 2003 dessen Ausstellung "J.B. SLIK: Projektion und Schizophrenie" in der Galerie Christian Nagel, Berlin, gesehen hatte. Das Ergebnis vereint nicht nur Zeichnung und Lyrik sondern - mit Schallplattenhüllen als Bildträger - auch Musik als künstlerisches Ausdrucksmittel, mit dem beide Künstler bereits gearbeitet haben. Der serielle Charakter von Schlicks Zeichnungen entspricht den minimalistischen Kompositionen seiner letzten Platte „Gleich scheuen Hirschen in Wäldern versteckt zu leben“, die laut Schlick auf den biologischen Kombinationsmöglichkeiten des menschlichen Genoms beruht. Aber auch die legendären „Selten gehörte Musik“ Konzerte, an denen Brus 1974 und 1975 neben Dieter Roth, Oswald Wiener, Hermann Nitsch und Gerhard Rühm mitwirkte, oblagen einem ähnlichen Zufallsprinzip, wie die sich endlos wiederholenden Tuschekringel.

Darüber hinaus ist das Gemeinschaftsprojekt der beiden Grazer Künstler eher überraschend, denn außer ihrer beider aggressiven Kritik am österreichischen Bürgertum und Katholizismus scheint sie wenig zu verbinden. Deutlich wird das auch in den älteren Arbeiten, die sie in der Ausstellung präsentieren.

Günter Brus (geb. 1938), der bereits in den späten Sechziger Jahren als Künstler des Wiener Aktionismus weltberühmt wurde, beendete 1970 seine Aktionskunst und wandte sich stattdessen der Zeichnung und Literatur in Form seiner expressiven Bilddichtungen zu. Diese virtuos gezeichneten Arbeiten stießen nicht nur in der Bildenden Kunst – und dort auch bei Künstlern wie Paul McCarthy und Raymond Pettibon - auf große Anerkennung, sondern auch in der Literaturkritik. Denn die expressiven Zeichnungszyklen verweigern sich dem Illustrativen, stattdessen „[gibt] der Text“ – wie Brus es ausdrückt – „nur die Aura der Schriftinhalte wieder.“ Fünf seiner Bilddichtungen und siebenundzwanzig Blätter mit Kreidezeichnungen aus der Zeit von 1989 – 2001 präsentiert er in der Galerie Nagel.

Mit Brus’ Credo „Handschrift ist Malerei“, hat Schlick (geb. 1951), der eine persönliche Handschrift in seiner künstlerischen Arbeit lange ablehnte, nichts zu tun. Stattdessen arbeitet er vorzugsweise mit Logos - dem Sprachmittel der Wirtschaft, wie beispielsweise mit dem Logo der Lord Jim Loge, die er unter dem Motto „Keiner hilft Keinem“ gemeinsam mit Martin Kippenberger, Wolfgang Bauer und Albert Oehlen 1985 gegründet hat. Der Negation der Idee des künstlerischen Genies entsprechen auch seine abstrakten Collagen (2004), die nun in Köln zu sehen sind. Scheinbar beiläufig wurden sie aus unterschiedlichen Materialien, wie Karton und Spiegelfolie ausgeschnitten.

Vor dem Hintergrund der individuellen Werke von Brus und Schlick und den hier präsentierten Arbeiten zeichnet sich die intendierte Widersprüchlichkeit in den möglichen Lesarten ihrer Gemeinschaftsarbeit „Spiralnebulöse Gedanken“ deutlich ab.

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Günter Brus / Jörg Schlick