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Für die Griechen des Goldenen Zeitalters war die Zeit eine Reihe günstiger Augenblicke - und als solche konnte sie in der Gestalt des Gottes Kairos dargestellt werden. In den seltenen allegorischen Darstellungen von Gelegenheit und Reue spiegelt sich die Fehde zwischen der andauernden und stabilen Zeit- tempus und der flüchtigen, ja fliegenden Gelegenheit-occasio wider. Der ferraresische Maler Girolamo da Carpi wählte dieses Thema für seine Darstellung von "Gelegenheit und Reue" das in die Mitte des 16. Jh. datiert wird, und sich heute in der Gemäldegalerie in Dresden befindet. Dieses Gemälde bildet den Ausgangspunkt für die diesjährige Ausstellung des Grazer Kunstvereines im Rahmen des steirischen herbst.

In der allegorischen Darstellung da Carpis sehen wir einen jungen strahlenden Kairos, der an Dionysos erinnert, mit den Zehenspitzen auf einer Kugel stehend, an seinen Füßen befinden sich Flügel und in der Hand hält er ein scharfes Messer. Halb aus dem Bild gewandt die Reue, umhüllt, sie ist es, die zurückbleibt.

In Bezug auf die diesjährige Themenstellung des steirischen herbst, und Krise ist immer, beschäftigen wir uns mit der Frage nach Möglichkeiten von Transformation und Widerstand innerhalb einer sich stets verändernden Gesellschaft, in der die Gelegenheit als Tugend gilt, sie zu ergreifen oberstes Gebot darstellt.

Aus dem Blickwinkel der zeitgenössischen Kunst geht es um das Schema der Möglichkeit, als eine Potenz zu sein, in sie eingeschlossen ist nach Aristoteles die Potenz nicht zu sein. Nur diejenige Potenz, die zu Potenz und Impotenz gleichermaßen fähig ist, ist höchste Potenz.

Mit Bartleby, jenem Schreiber, der nicht einfach aufhört zu schreiben, sondern der"lieber nicht" schreibt, wird deutlich, dass nicht die Verweigerung das Instrument bildet, mit dem der Krise begegnet wird, vielmehr ist es eine Produktion von "Nicht im Akt sein", und damit eine Potenz, die ihre eigene Potenz zum Gegenstand hat, wie es Giorgio Agamben ausdrückt.

Das Gemälde von Carpi, weist keine lineare Erzählform auf, vielmehr setzt sie einen Betrachter voraus, der ein Kunstwerk nach seiner Bedeutung befragen soll. Diese Form der allegorischen Darstellung, für lange Zeit gegenüber dem Symbol als niedere Kunstform angesehen, erlebt seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts einen neuen Aufschwung. Insbesondere Craig Owens betont die Bedeutung der Allegorie für die zeitgenössische Kunst.

Die Ausstellung "Gelegenheit und Reue" nimmt nicht nur eine Allegorie zum Ausgangspunkt, sondern greift selbst auf allegorische Formen der Darstellung zurück.

Pressetext

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Gelegenheit und Reue
In Kooperation mit dem steirischen herbst
Kuratorin: Eva Maria Stadler

mit Francis Alÿs / Rafael Ortega, Uwe Henneken, Kerstin Kartscher, Marcin Maciejowski, Ulrike Ottinger, Philippe Parreno, Kirsten Pieroth, Collier Schorr, Hans Weigand