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Geheimgesellschaften mit ihren verborgenen Riten, ihrem geheimen Wissen und exklusiven Mitgliederkreis faszinieren die Menschen seit jeher. Sie reichen von harmlosen Bruderschaften bis zu mächtigen Verbänden mit eigennützigen finanziellen und politischen Absichten. Vor allem in Krisenzeiten liefern sie verstärkt Ersatzwerte für die herrschenden politischen, gesellschaftlichen und technologischen Ordnungen. Die Ausstellung „Geheimgesellschaften. Wissen Wagen Wollen Schweigen“, die vom 23. Juni bis 25. September 2011 in der Schirn zu sehen ist, geht der Frage nach, inwieweit Geheimgesellschaften gewisse Mechanismen zeitgenössischer Kunst widerspiegeln, und zeigt, wie ihre Riten und Symbole umgekehrt immer wieder von Künstlern thematisiert werden. In ihrer eigenen Welt rätselhafter Zeichen folgt die Ausstellung durch einen labyrinthartigen Parcours dem Geheimen und offenbart mit mehr als 100 Arbeiten – darunter Gemälde, Fotografien, Skulpturen, Filme und Installationen – skurrile und verblüffende Entdeckungen. Zum mutmaßlichen Mitgliederkreis der Ausstellung zählen 52 Künstler, darunter u. a. Dan Attoe, Armin Boehm, Steven Claydon, Enrico David, Brice Dellsperger, Gretchen Faust, Julian Göthe, Uwe Henneken, Benedikt Hipp, Jenny Holzer, Rashid Johnson, Terence Koh, Donghee Koo, Elad Lassry, Gabriel Lester, Goshka Macuga, Duncan Marquiss, David Noonan, Markus Schinwald und Carl Michael von Hausswolff & Michael Esposito.

Die Ausstellung wird gefördert durch den Verein der Freunde der Schirn Kunsthalle Frankfurt e. V.

Der Begriff Geheimgesellschaften bezeichnet Gruppierungen unterschiedlichster politischer, gesellschaftlicher, ökonomischer, religiöser, esoterischer oder okkultistischer Interessen und Ziele, denen ein konspirativer Hintergrund gemein ist. Von harmlosen Zusammenschlüssen wie hermetischen Jugendszenen über akademische Bruderschaften bis zu mächtigen Wirtschaftsorganisationen reichen die Verbindungen, die allesamt im Obskuren operieren, um ihr geheimes Wissen zu bewahren und ihren exklusiven Mitgliederkreis zu schützen. Dies geschieht in der Regel durch strikte Geheimhaltung und den Gebrauch besonderer Zeichen, Symbole und Codes, die nur von Eingeweihten verstanden werden können und die Existenz der Vereinigung nach außen verschleiern. Geheimgesellschaften sind meist stark hierarchisch um einen verborgenen Anführer, geheimen Meister, inneren Kreis oder ein höheres Wesen aufgebaut, die von ihren unbekannten Schaltzentralen aus das Weltgeschehen lenken und über das Geheimwissen wachen. Schon immer sind Geheimbünde dem Argwohn wie der Faszination ihrer Nichtmitglieder ausgesetzt. Zu den historischen Gruppierungen, die nicht selten humanistische Ziele verfolgten, zählen die Freimaurer, die Rosenkreuzer oder die Illuminaten. Andere Zusammenschlüsse wie etwa die Mafia, der Ku-Klux-Klan oder al-Qaida brachten aufgrund ihrer zweifelhaften Beweggründe und eines anarchistischen Potenzials, soziale Regeln und Normen zu unterwandern, sich gar über geltende Gesetze hinwegzusetzen, Geheimgesellschaften insgesamt in Verruf.

Die Aufnahme in eine Geheimgesellschaft erfolgt in der Regel durch ein striktes Prüfungsverfahren der Initiation, eine an verborgenen Orten stattfindende Feuerprobe mit teils skurrilen, teils drastischen Einweihungsritualen. Der Adept lässt dadurch seine alte Existenz hinter sich und tritt ein in die Welt der Geheimgesellschaft, wo er mit ihrer Sprache, ihrer Struktur und ihrem geheimen Wissen vertraut gemacht wird. Nach der Aufnahme in die Geheimgesellschaft und dem Übergang von einem Bewusstseinszustand in den anderen zeigen sich dem Ausgewählten nun hinter der dünnen Oberfläche des Alltags neue Verbindungen, Muster und Zusammenhänge zwischen vormals entferntesten Dingen.

Es ist ihre Mischung aus Wahn, undurchsichtiger Struktur und subversiver Energie, durch die Geheimgesellschaften bis heute Menschen faszinieren und ängstigen, Verschwörungstheorien nähren, sich aber gerade auch in wirtschaftlichen, politischen und technologischen Krisenzeiten als dunkle Alternative zu konventionellen, aufgeklärten Wertvorstellungen starken Zuspruchs erfreuen. Die Gruppenausstellung in der Schirn zeigt, wie Geheimgesellschaften mit ihren Einweihungsritualen, ihrer eigener Formensprache und ihren verschworenen Mitgliederzirkeln auch gewisse Mechanismen der zeitgenössische Kunst widerspiegeln, und wie umgekehrt Künstler auf erstaunliche wie vielseitige Weise immer wieder deren Riten und Symbole aufgreifen.

So spielt etwa die deutsche Künstlerin Ulla von Brandenburg mit der Bühneninstallation „Karo Sieben (Seven of Diamonds)“ (2007) frei auf die Karomuster der Freimaurersymbolik wie das in Alchemie, Kabbala und Numerologie verankerte Tarot an, während sich der US-Regisseur Kenneth Anger in seinem Film „Invocation of My Demon Brother“ (1969) explizit auf den britischen Schwarzmagier Aleister Crowley bezieht. Der Brite Cerith Wyn Evans präsentiert mit seiner Arbeit „Acéphale“ (2001) einen enthaupteten Mann, das Symbol des von dem französischen Schriftsteller Georges Bataille in den 1930er-Jahren gegründeten Kults gleichen Namens, als riesige Neonfigur. Batailles Gedankengut verknüpft das schwedische Duo Goldin & Senneby in seiner Installation „The Decapitation of Money“ (2010) auf vielschichtige Art mit der Unterwanderung des US-Finanzmarkts durch die russisch-chinesische BCEN-Eurobank in den 1950er- Jahren. Der Däne Joachim Koester beschwört mit der Filminstallation „The Hashish Club“ (2009) die schummrige Salonatmosphäre des Pariser Hôtel Lauzun herauf, in dem sich in den 1840er- Jahren Charles Baudelaire, Eugène Delacroix und Honoré de Balzac zu Cannabis-Sitzungen trafen.

Auch politische Verschwörungen finden in vielen Exponaten ihren kritischen Nachhall. Der italienische Künstler Luca Vitone enttarnt in seinem Werk „Souvenir d’Italie (Fondamenti della Seconda Repubblica)“ (2010) alle 959 Mitglieder der Geheimorganisation Propaganda Due, die in den 1970er-Jahren einen Staatsstreich in Italien plante – unter ihnen der spätere italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi. Eva Grubinger thematisiert in ihrer monumentalen schwarzen Gerichtssaalinstallation „The Trial of Henry Kissinger“ (2009) die machtpolitischen Verstrickungen des ehemaligen US-Außenministers und Friedensnobelpreisträgers. Mit „The Site“ (2004/05), einer Analyse von Fotos und Texten zur Festnahme Saddam Husseins 2003, entlarvt der Amerikaner Sean Snyder die tendenzielle Bedeutungsaufladung der an sich aussagelosen visuellen Beweisaufnahmen und offenbart so verblüffend aktuell Mechanismen der medialen Berichterstattung.

Wie stellen sich Geheimnisse im Zeitalter von Wikileaks dar, und bieten nicht gerade die absolute Transparenz und Informationsflut die beste Möglichkeit der Tarnung? Geheimnisse sind heute so durchsichtig, dass man sie gar nicht mehr wahrnimmt. Diese und viele weitere Fragen wirft die Ausstellung auf, indem sie nicht versucht, das Unsichtbare darzustellen und Verschwörungen aufzudecken, sondern sich explizit mit dem Paradox befasst, dass ein Geheimnis nur dann existiert, wenn es kommuniziert wird, es aber verschwindet, sobald es gelüftet wird. Mögliche Erwartungen der Besucher, wissenschaftliche Erklärungen und Definitionen des Phänomens Geheimgesellschaften geboten zu bekommen, unterwandert die Ausstellung durch ihr Spiel mit Formen der Verhüllung und einer dichten Atmosphäre der Verrätselung. In der labyrinthartigen Ausstellungsarchitektur, die der Schweizer Künstler Fabian Marti eigens im Stil einer verfallenen Stadt entworfen hat, stoßen die Besucher auf verzweigte Wege, Dreieckswände, Irrbilder, Spiegelungen, optische Täuschungen, Licht und Schatten. Sie treten in die geistige Welt von Geheimgesellschaften ein, müssen seltsame Rituale und Initiationen meistern, fremde Codes und mysteriöse Zeichen entschlüsseln und selbständig Verbindungen zwischen ihren Entdeckungen herstellen, um zur nächsten Stufe der Erkenntnis zu gelangen.

Eine Ausstellung der Schirn Kunsthalle Frankfurt in Kooperation mit dem CAPC musée d'art contemporain de Bordeaux. Die Ausstellung wird im Anschluss dort zu sehen sein.

Zur Eröffnung in der Schirn am 22. Juni 2011 um 19 Uhr wird der südafrikanische Künstler Mark Schreiber eine Soundperformance für eine eigens geschaffene Bodenarbeit in der Rotunde präsentieren.

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Geheimgesellschaften
Wissen Wagen Wollen Schweigen
Kuratoren: Cristina Ricupero, Alexis Vaillant

Künstler: Kenneth Anger, Dan Attoe, Armin Boehm, Ulla von Brandenburg, Steven Claydon, Enrico David, Brice Dellsperger, Cerith Wyn Evans, Gretchen Faust, Julian Göthe, Goldin + Senneby , Eva Grubinger, Uwe Henneken, Benedikt Hipp, Jenny Holzer, Rashid Johnson, Joachim Koester, Terence Koh, Donghee Koo, Elad Lassry, Gabriel Lester, Goshka Macuga, Duncan Marquiss, David Noonan, Markus Schinwald, Mark Schreiber, Sean Snyder, Carl Michael von Hausswolff, Michael Esposito, Luca Vitone, ...

weitere Station:
Okt. 2011: Musée d´art contemporain, Bordeaux