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Franziska Strauss zeigt, wie sich Tanz anfühlt. Als heranwachsendes Mädchen und Jugendliche hat sie selbst getanzt, und wenn sie heute ihre professionellen Kolleginnen und Kollegen vor ihrem geistigen (und mit dem Kamera-)Auge ablichtet, ist das auch eine Art Aufarbeitung dessen, was sie mit 18 Jahren aufgegeben hat, um am Scheideweg zwischen Choreographie und Photographie den Weg der Lichtbildnerei zu gehen – um schließlich da anzukommen, wo sie immer war: im Tanz. »Durch meine Arbeit«, so schreibt sie, »sehe ich Tanz nicht mehr als etwas…, das man mal macht, wenn Musik läuft oder das manche als Beruf ausüben«. Tanz ist für sie eine Sprache aus »Bewegungen, Gesten und Berührungen, die wie Worte ständig aus uns heraus wollen«. Anders als Werbe- oder Pressephotographen interessiert sich Franziska Strauss nicht für das Ergebnis auf der Bühne, vielmehr ist sie mit einem unbeschreiblichen Gespür dieser inneren, authentischen Sprache des Körpers auf der Spur, welche ungeschminkt an der Wahrheit des Seins, dem puren Leben, rührt.

Die kurze Vita der Künstlerin ist erstaunlich, geht man in die Tiefe. Geboren 1984 in Cottbus, streckte bereits die Gymnasiastin die Fühler im kreativen Metier aus, knüpfte Kontakte zur Bühne und jobbte bei einer Künstleragentur, die sich mit Kunst am Bau einen Ruf über die Region hinaus erworben hatte. Noch bevor Franziska Strauss an der Münchener Hochschule begann, Photodesign zu studieren, zog es sie für ein Praktikum bei einem Photographen in die USA, zunächst nach Chicago. Die transatlantischen Kontakte sind nicht hoch genug einzustufen, folgten doch während des Studiums 2006–10 weitere Aufenthalte in New York, die auch zur folgenreichen Begegnung mit der Gallim-Dance-Company führte. Was sich vordergründig nach Generation Praktikum anhört, ist eine schlüssige Ereigniskette, die vorerst in den Photoserien Reckoner und I killed my dinner with karate kulminieren. Das Studium des Photodesigns dürfte daran noch den kleinsten Anteil haben, sieht man von den technischen Fertigkeiten ab, die dort vermittelt werden, wobei Franziska Strauss den Designer-Anteil gar nicht so hoch hängen will: »Die Begriffe sind in Deutschland falsch gesetzt«, meint sie, weil das Design als auftragsgebundene Kunst, mithin als Werbung verstanden wird. Schon ihre Beteiligung an meist studentischen Ausstellungen in München zeigt die Photographin als freie, sozial engagierte Künstlerin. Seit 2010 ergänzt sie ihr Profil durch ein Philosophiestudium in Berlin.

Die Stationen allein können den Zauber, den die Arbeiten von Franziska Strauss vermitteln, freilich nicht erklären. Und auch die »traumwandlerische Sicherheit«, die ihr Galerist Egbert Baqué im Werk der gerade einmal 26jährigen konstatiert, lässt sich an keiner Biographie ablesen. Es ist wohl anzunehmen, dass ihr Naturell und ihre künstlerische Vorstellung offen genug ist, um das Flair einer weiteren Welt mit der persönlichen Emotionalität verschmelzen zu lassen, und um formvollendete Bilder zu komponieren, deren innere Erotik und äußere Ästhetik sich in seltenem Einklang miteinander befinden. Dabei inszeniert sie ihre Photos nicht minutiös durch, jede gekünstelte Sicht ist ihr fremd. So ist es auch folgerichtig, wenn sie keine Vorbilder für ihr Schaffen benennen will – mit dem kulturhistorisch verbürgten Elan des Junggenies beharrt sie auf ihrem eigenen Weg. Faszinierend daran ist der tatsächlich authentische Pfad, den sie mit ihren Tanzserien betreten hat. Dass er von großen Eindrücken flankiert ist, widerspricht dem keineswegs – sie belegen nur, dass hier eine aufstrebende Künstlerin am Werk ist, deren Werdegang allenfalls vorprogrammiert, aber noch nicht festgelegt ist.

Von den Photographen, die Franziska Strauss in den USA kennengelernt hat, dürfte Danny Clinch Photography (New York) die wichtigste Adresse sein. Clinch, begnadeter Porträtist in der Musikszene, ließ sich selbst von Annie Leibovitz, Robert Frank oder Danny Lyon inspirieren, die mit wachen Augen den ungeschönten Way of Life – nicht nur dem der V.I.P.s, sondern auch dem der »ordinary people« – vor die Linse brachten. Clinchs Bilder entstehen spontan, zielen auf den unerwarteten und nicht planbaren Augenblick, der in einer intuitiv erfassten Lichtregie verewigt wird. Es mag schon sein, dass eine solche in Amerika vermittelte Souveränität des im zu-fälligen Nu komponierten Kunstwerks bei Franziska Strauss auf einen guten Boden fiel. In einem solchen Umfeld kam das Motiv auf sie zu, das sie gewissermaßen schon mitbrachte: der Tanz, jene eigene Welt, die weniger vom porträthaften Individuum als von der selbst- und fremdbezüglichen Bewegung geprägt ist, und die das Leben als Bühnenkunst metaphorisch widerspiegelt. Das ist nicht neu, auch nicht in der Intensität, doch ist die Künstlerin hier schon ganz bei sich selbst. Wie etwa Esther Haase, die sich auch – in den späten 1980er Jahren – vom Balletttanz verabschiedete, um »mit der Kamera [weiter] zu tanzen«, hält sie die leidenschaftliche Hingabe sich bewegender Körper fest; doch wo Haase die Theatralik in aufwändig gearbeiteten »Locations« darstellt, sucht Strauss vor Ort den natürlichen Grund des Tanzes, sozusagen dessen Beweg-Grund ans Licht zu bringen.

Der Tanz ist – naturgemäß – die körperbetonteste und damit die unmittelbarste, vielleicht intimste aller Kunstformen. Franziska Strauss wusste, worauf sie sich einließ, als sie die Chance bekam, bei der 2007 gegründeten Truppe von Gallim Dance Shootings zu machen. Der expressive, Strauss zufolge »wahnsinnig emotionale« Körperstil der Kompanie traf sie dennoch »wie ein Hammerschlag«: kein Wunder, die vielfach gepriesene Mischung zwischen explosiver Power und kontrollierter Körperspannung, die in der Tradition des extrovertierten Tanzstils einer Pina Bausch steht, geht unter die Haut. Zugleich beschreibt die Photographin in ihren Bildern hingebungsvoll die Zwiespältigkeit, die in dieser beherrschten Unbeherrschbarkeit steckt. Tanz ist kraftvoller Ausdruck und Angreifbarkeit, voller Körpereinsatz und Verletzlichkeit. Aber trifft das, so Franziska Strauss, nicht bei allem zu, »was man intensiv betreibt«? Es geht ihr nicht um das Porträt einer Tänzerin oder eines Tänzers, es geht ihr noch weniger um Werbephotographie. In zahlreichen Gesprächen mit den Tänzern von Gallim Dance und während der Proben hat Franziska Strauss ein Bild vom Tanz als solchem entworfen. Ihre Arbeiten tragen keine Titel, um den freien Blick nicht zu verstellen. Wohl aber bezeichnet sie die Serien, hier mit Reckoner oder mit I killed my dinner with karate, bezugnehmend auf Liedtitel aus der alternativen Rockszene. Das anspielungsreiche, fast melancholische Lied Reckoner von Radiohead etwa lief zufällig, als sie beim Shooting mit den Tänzern zusammensaß. Als bloße Chiffren überschreiben diese Zuweisungen Bildsequenzen, deren Rätselhaftigkeit Programm ist.

Franziska Strauss hat durchaus waschechte Pressebilder bei Gallim Dance gemacht, im Rahmen des Jacob’s Pillow Dance Festival 2009. Sie halten atemberaubende, aus der Bewegung herausgelöste Momente fest, die den Eindruck vermitteln, als stünde hier mit jeder Aufnahme die Welt still. Aber das ist nur die eine Seite ihrer Photographie. Für die Reckoner-Serie hat die Künstlerin nicht den Augenblick, sozusagen das Standphoto, gesucht, sondern – fernab jeglicher Werbestrategie – den elementaren Ausdruck des Tanzes: die Bewegung. In scheinbar fließenden, zuweilen verschwimmenden Schwarzweiß-Aufnahmen zeichnet Franziska Strauss abstrakte Körperbilder, die an sinnlicher Ausstrahlung kaum zu überbieten sind, die den Kern des Tanzes offenlegen: den Puls des Lebens, die Angst zu scheitern, die Gier und das Getriebensein (bei dem Pina Bauschs »Tanzt, tanzt, sonst sind wir verloren« in den Sinn kommt). In anderen Bildern dieser Serie geht Strauss mit dem Blick einer Bildhauerin an ihr Thema, um die Körperspannung, die Bewegung in jedem Muskel zu fokussieren. Da geht es nicht um die Show, den Glamour, sondern um die letzten Kräfte, die kurz vor der Erschöpfung noch mobilisiert werden. Die abgelichteten Tänzerinnen zeigen sich in einer ungeschminkt-intimen Verletzlichkeit, und gerade in der Betonung einzelner Körperpartien sowie in den dramatischen Helldunkelpartien entsteht eine drastische Plastizität, welche die Bewegung als eine zum Bersten angespannte Unruhe aus dem Leib meißelt – das Licht wird dabei zum Werkzeug. Und als drittes legt Strauss ihre Reckoner-Photos malerisch an, wenn sie zur nahezu monochromen Farbphotographie übergeht. In einer caravaggesken Lichtdramaturgie, die eine Palette von ineinander übergehenden warmen Gelb- und Rostbrauntönen bereithält, macht sie den beseelten Tanz zur poetischen Improvisation des menschlichen Miteinanders. Reckoner ist eine Annäherung an das Leben als Einheit von Körper, Geist und Seele in der Bewegung.

Die zweite Serie, I killed my dinner with karate, weitet die Perspektive in doppelter Hinsicht aus. Zum einen werden die Innen- und Außenräume sichtbar, in denen die Tänzerinnen und Tänzer auftreten: Ob Tanzstudio, Auto oder Waldweg, ob Garderobe oder Rampenlicht, auch die Tanzkunst trifft auf Wirklichkeiten, die nicht immer mit der Idee von Harmonie korreliert. Damit geht zum anderen auch eine Wendung zum Plot einher: Nah- und Fernsicht wechseln ab, spontane Schnappschüsse mischen sich mit erhabenen Augenblicken, Hintergründe kommen zum Vorschein. Kurzum: die Bilder, die ihre Wurzeln in der Szenekultur nicht verbergen können, erzählen eine Geschichte, die sich zwar nicht zum Photoroman fügen, aber doch Handlungsmomente andeuten, die von einem melancholischen Unterton getragen werden. Die Art und Weise, wie die Protagonisten ihre Gesichter abwenden – mit Bedacht sind die Ausschnitte so gewählt, dass oft nur ein Torso zu sehen ist – , wie sie in verschiedenen Umgebungen mit ihrem Alleinsein wie mit ihrem Zusammensein umgehen, grenzen an kafkaeske Situationen: so illusionslos wie unausweichlich, so faszinierend wie unbegreiflich, so nüchtern wie märchenhaft. Die Arbeiten sind betont unartifiziell, regelrecht aus einem Leben gegriffen, an dem Schweiß klebt. Franziska Strauss ist die Chronistin des Lebensgefühls einer jungen Generation, die um ihren unbändigen Elan im hier und jetzt weiß, die aber auch mit vagen Ängsten vor allzu hohen Erwartungen von außen und vor einer ungewissen Zukunft zu kämpfen hat. Im Symbol des Tanzes findet die Künstlerin den passenden Ausdruck. Um zu be-greifen, wie sich dies anfühlt, muss man ihre Photographien sehen.

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Franziska Strauss
Reckoner / I killed my dinner with karate