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Ehebruch in Plüsch und Purpurrot

„Bei Vallotton gibt es nur zwei Möglichkeiten: Man hasst oder vergöttert ihn.” (The Guardian) „Félix Vallotton, Idol meiner schlaflosen Nächte!“ (Daniel Richter)

Bizarre Posen, verschämte Umarmungen, schweigende Interieurs, beredte Schatten - Félix Vallottons Kunst ist von beißendem Sarkasmus und schwarzem Humor durchdrungen und machte ihn zu einem international beachteten Avantgardisten der Moderne. Vallottons Bilder verstören, entblößen, fesseln den Blick – heute wie schon 1909, als zu seiner ersten Einzelausstellung im Kunsthaus Zürich Jugendlichen der Zutritt verwehrt wurde, weil man die Akte als anstößig empfand. Vom 15. Februar bis 18. Mai 2008 zeigt die Hamburger Kunsthalle den kühlen Beobachter bürgerlicher Doppelmoral, dessen Werke bereits Elemente aus dem Surrealismus, der Neuen Sachlichkeit und der Metaphysischen Malerei vorwegnehmen. Die Ausstellung Félix Vallotton. Idylle am Abgrund entstand in Kooperation mit dem Kunsthaus Zürich. Sie versammelt mehr als 70 Gemälde, über 50 Holzschnitte sowie Plakate, Bücher, Illustrationen und Vignetten dieses faszinierenden und in Deutschland zu unrecht wenig bekannten Künstlers.

Nach Vilhelm Hammershøi und Helene Schjerfbeck widmet sich die Hamburger Kunsthalle nun wieder einem der ‚bekannt –unbekannten’ Künstler des frühen 20. Jahrhunderts, die es aufzuspüren lohnt. Doch sympathisch war Félix Vallotton (1865 – 1925) nicht. Als reserviert und zugeknöpft beschrieben ihn seine Freunde und Kollegen. Ein Eigenbrödler, der sich in seinen Tagebüchern häufig verächtlich über seine Mitmenschen äußerte: „Das Leben, das ich lebe, ist buchstäblich das Gegenteil dessen, was ich mir erträumte. Ich liebe die Zurückgezogenheit, die Stille, die ausgereiften Gedanken und das vernünftige Tun – und da schlage ich mich herum in Umtrieb, albernem Geschwätz und eitlem Getue.“

Kühl und kontrolliert erscheint auf den ersten Blick Vallottons Kunst, deren hermetisch geschlossenen Oberflächen über die sich dahinter verborgene Abgründe hinwegtäuschen. Noch deutlicher als in den Gemälden tritt die Doppelbödigkeit in den scharf geschnittenen Graphiken zutage, die unter Zeitgenossen so geschätzt wurden, dass kaum einer seine Gemälde wahrnahm. In der Hamburger Kunsthalle sind über 50 Holzschnitte zu sehen, die seinen scharfen und ironischen Blick besonders pointiert zeigen. Unter dem sauber gefassten Schwarz-Weiß seiner Holzschnitte lauert ein komplexes Geflecht aus Argwohn, Bedrängnis, Zwängen und Angst. Bitterböse ist der Humor, so dass einem das spöttische Lachen im Halse stecken bleibt.

In Lausanne 1865 geboren, studierte Vallotton in Paris im Kreis der Künstlergruppe Nabis, zu der auch Edouard Vuillard und Pierre Bonnard gehörten. Er arbeitete als Illustrator und Journalist, schrieb Theaterstücke, die – genau wie seine Bilder – provozierten und bürgerliche Konventionen hinterfragen. Vallotton lebte im Paris der Belle Epoque, im Spannungsfeld von dekadentem Spektakel und schwerer wirtschaftlicher Depression. Selbst durch Heirat in das Bürgertum aufgestiegen, richtete er seinen schonungslosen Blick auf die Doppelmoral des Pariser Bürgertums, den tobenden Geschlechterkampf und das neue Selbstbewusstsein der Frau. In seinen Bildern und Graphiken führt der seine Protagonisten geradezu vor, indem er sie in eine kühl konstruierte, bühnenhafte Kulisse setzt.

Vallottons Akte und Interieurmotive handeln von Entblößungen und Ehebruch, hinter schweren Gardinen verborgen, umgeben von Nippes und Tand: Vallottons Figuren sind in ein engmaschiges Netz aus Betrug und Bedrängnis eingesponnen. Stilistisch irritieren Vallottons Arbeiten dabei durch ihre Künstlichkeit: Stillleben aus intensiven Farbfeldern, leere Landschaften mit markigen Hell-Dunkel-Kontrasten oder Portraits von eigenwilliger Härte.

Seine Aktdarstellungen sind in ihrer unterkühlten Erotik und sachlich-realistischen Malweise von überraschender Modernität. Der offenkundige Zwiespalt zwischen Trieb und Moral, das komplexe Stimmungsgeflecht aus Distanz und Nähe sprengte für Vallottons Zeitgenossen oftmals die Grenze des Erträglichen. Geradezu psychoanalytisch untersucht er seine Aktmodelle, ungeschönt, mit schielendem Blick, unterschiedlich geformten Brüsten und tiefem Haaransatz. So schrieb 1936 die Sammlerin Hedy Hahnloser-Bühler über Félix Vallottons Porträtkunst: „Niemand war darauf begierig, sich von diesem unerbittlichen Auge sezieren zu lassen, das darauf bedacht war, keine physische oder moralische Hässlichkeit verschwinden zu lassen.“

Bis zu seinem Tod im Jahre 1925 gehörte Vallotton zu den bedeutendsten Vertretern des Symbolismus. Vallottons Graphiken gaben vor allem den Brücke-Künstlern einen wichtigen Impuls zu ihrer Beschäftigung mit dem Holzschnitt, während seine figürlichen, seltsam unterkühlt wirkenden Gemälde für die Künstler der Neuen Sachlichkeit entscheidend waren. Auch im Surrealismus, der Pittura Metafisica oder in der Pop-Art hallt die Bildsprache Vallottons nach. Bis in die Gegenwart bleibt Vallottons von inneren Spannungen durchsetztes Oeuvre ein wichtiger Referenzpunkt. So verwundert es nicht, wenn Daniel Richter, in dessen farbgewaltigem Werk Albträume aus der düsteren Vorstellungswelt Vallottons aufzuerstehen scheinen, Félix Vallotton als das „Idol meiner schlaflosen Nächte“ benennt.

Zur Ausstellung erscheint ein umfangreicher Katalog.

Diese Ausstellung wird ermöglicht durch die Hubertus-Wald-Stiftung Hamburg.

Kurator der Ausstellung: Dr. Felix Krämer

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Félix Vallotton. Idylle am Abgrund
Kurator: Felix Krämer