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“Dort, weit weg, fand jemand anderer seinen Weg” Gedicht auf einem der gestickten Tücher der Künstlergruppe ?kart, die in Zusammenarbeit mit Migrantinnen in Belgrad entstanden sind.

Migration und damit in Verbindung stehende Transformationen sind nicht nur in den Schengen-Ländern Dauerthemen, sondern auch außerhalb der EU und an den Grenzen Europas. Diese Tatsache ist dem westlichen Teil Europas nicht bewusst, vielmehr wird der Eindruck vermittelt, dass ein Teil der Welt einzig auf dem Weg in die EU ist und hier Raum beansprucht, was nicht reibungslos vor sich geht. Migration umfasst jedoch eine Bandbreite von Aspekten und lässt sich nicht mit einem Klischee darstellen. Europäische Städte und Länder außerhalb der Schengengrenze, die aus EU-Sicht gern als “sichere Drittländer” bezeichnet werden, sehen sich ebenso mit verschiedenen Fragestellungen im Zuge von Migration konfrontiert. Die Ausstellung präsentiert acht künstlerische Analysen und Projekte zu Aspekten von Migration im Europa jenseits der EU bzw. jenseits der Schengengrenze.

Esra Ersen hat die Lebensumstände der Istanbuler Black Community zum Gegenstand des Videos Brothers and Sisters gemacht und sich vorsichtig in eine wenig bekannte Gesellschaft begeben. Sie zeichnet Einzelschicksale nach, z.B. von einem Mann, der nach Istanbul geschleust wurde, obwohl ihm Hamburg versprochen wurde, oder von einer Frau, die sich kaum auf die Straße wagt, weil sie von türkischen Männern angepöbelt wird. Aus den einzelnen Interviews wird deutlich, wie alle ProtagonistInnen auf ihre Weise mit Kultur und Geschichte der “neuen Heimat” umzugehen versuchen.

Gülsün Karamustafa portraitiert eine Gruppe musizierender Kinder vor einer Stiege im Stadtraum Istanbul. Es handelt sich um Kinder rumänischer Einwanderer, die im Zuge der politischen Umstürze in Osteuropa in die Türkei gekommen sind. Sie versuchen sich in Istanbul als Musikanten durch das Leben zu schlagen. Staircase, so der Titel des Videos, erzeugt ein melancholisches Stimmungsbild von der Lebenslage der Kinder.

Martin Krenn arbeitet an dem längerfristigen künstlerischen Forschungsprojekt City Views. Er befragt MigrantInnen in den unterschiedlichsten europäischen Städten und zeichnet so kontinuierlich an einer imaginären Karte migrantischer Befindlichkeit. In der Regel unterhält er sich mit Personen, die sich einige Zeit im Land befinden und im Laufe ihres Aufenthaltes mit bestimmten Räumen angefreundet haben. Gemeinsam mit den MigrantInnen werden Motive dieser Orte festgelegt und fotografiert, auf der Basis von Gesprächen werden Statements zu den einzelnen Fotografien ebenfalls gemeinsam entwickelt.

Kristina Leko hat in dem Videoprojekt Sarajevo International zwölf Menschen zu Wort kommen lassen, die aus ganz verschiedenen Gründen und aus unterschiedlichen Ländern sowie sozialen Umständen während und nach dem Krieg nach Sarajevo gezogen sind. Diese zwölf Personen schildern, wie sie aus beruflichen, privaten, ökonomischen oder weltanschaulichen Gründen beschlossen, sich in Sarajevo eine Existenz aufzubauen.

Adrian Paci thematisiert in der Fotoserie Back Home die Lücken, die durch Emigration entstehen, im konkreten Fall in Albanien. Er hat mit albanischen MigrantInnen in Italien Kontakt aufgenommen, anschließend deren Wohnräume in Albanien besucht und als Kulissen gemalt, vor denen er wiederum die ehemaligen BewohnerInnen in der neuen Heimat posieren ließ. Das Zurückgelassene, das einen immer wieder einholt, spielt hier ebenso eine Rolle wie das Bestreben, die Zurückgebliebenen mit Informationen über die Entwicklung der neuen Existenz zu informieren bzw. zu täuschen. Judith Siegmund hat drei Frauen aus Weißrussland, Litauen und Lettland interviewt, die an der deutsch-polnischen Grenze als Prostituierte arbeiten. Sie berichten in ihren Muttersprachen über Fremde Freier, so auch der Titel der Arbeit - diese Freier sind in der Regel deutsche Männer. Damit wird der Versuch deutlich, die Frauen selbst ihre spezifische migrantische Position beschreiben zu lassen, aber immer in Relation zum Mittelpunkt des Geschäftsinteresses, zu den Kunden.

Die Gruppe ?kart arbeitete in Workshops an verschiedenen europäischen Orten mit Migrantinnen an dem Projekt 10 with Onions. Die Workshops sind eigentlich Handarbeitszirkel, in denen die Frauen dazu angeregt werden, persönliche Eindrücke und Erfahrungen im Spannungsfeld zwischen alter und neuer Heimat in formal traditionellen Sticktüchern umzusetzen. Zeitgenössische Fragestellungen kontrastieren aufs Intensivste mit dem traditionellen Formenkanon, der bei den Handarbeiten zum Einsatz kommt.

Social Impact hat die Videoinstallation paprenjak_prison erstellt, die ein Flüchtlingslager in der Nähe der kroatischen Hauptstadt Zagreb zum Inhalt hat. Die Arbeit versucht auf emotionaler Ebene einen Eindruck von den trostlosen Zuständen in dem Lager und den persönlichen Hintergründen einiger Insassen zu vermitteln. Das Nichtstun ist dominierendes Programm, von Arbeit kann keine Rede sein und so bleibt außer dem Fernseher nur der Blick auf die vorbei führende Autobahn. Parallelen zum dumpfen Dahinvegetieren der Tiere im Zagreber Zoo werden aufgezeigt.

Die beiden KuratorInnen der Ausstellung Margarethe Makovec und Anton Lederer sind die künsterischen LeiterInnen von< rotor >eines Grazer Vereins für zeitgenössische Kunst, der seit Jahren einen Schwerpunkt in der Arbeit mit den Kunstszenen im östlichen Teil Europas gesetzt hat.

Die Ausstellung findet im Rahmen der Kulturellen Territorien statt, einem Initiativprojekt der Kulturstiftung des Bundes in Zusammenarbeit mit der Galerie für Zeitgenössische Kunst Leipzig.

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Exciting Europe
kuratiert von Margarethe Makovec und Anton Lederer

mit Esra Ersen, Gülsün Karamustafa, Martin Krenn, Kristina Leko, Adrian Paci, Judith Siegmund, Skart group, Social Impact