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Eröffnung 26.6.09 | 19 Uhr

Die Ausstellung Everything, then, passes between us zeigt Momentaufnahmen des Urbanen und fragt danach, wie Formen der Öffentlichkeit oder der temporären Vergemeinschaftung heute gefasst und hergestellt werden können. Die Künstler/innen greifen das Fragmentarische der Metropolen in der globalen Umbruchsituation auf. Sie fragen nach aktuellen Vorstellungen von Community und Vergesellschaftung in der Stadt. Die von Christine Nippe kuratierte Schau zeigt mit dem Fokus auf künstlerische Interventionen und Performances in globalen Metropolen wie Beijing, Belo Horizonte, Berlin, Köln, London, New York und Seoul die „Großstadt und ihr Geistesleben“, nur eben mehr als hundert Jahre nach Georg Simmels berühmtem Essay zur Mentalität der Metropolenbewohner um die Jahrhundertwende.

In Form und Inhalt entspricht die Ausstellung dem aktuellen Zustand der Unbestimmtheit und des Chaos. Sie schweift dabei über die europäischen Grenzen hinweg, widmet sich unterschiedlichen Orten und untersucht globale Städte als Labore der Gesellschaft. Es geht dabei um die Fragen wie Raum strukturiert wird, sich Menschen darin bewegen und miteinander interagieren. Die Künstler/innen arbeiten mit Methoden der Ethnographie, Mapping und Performance, um die jeweiligen lokalen Logiken zu befragen oder um – manchmal auch nur für einen kurzen Moment – temporäre Gemeinschaften im Stadtraum zu aktivieren. Die performativen Ansätze dehnen mit ihren Eingriffen die Realität. Sie entfernen sich dabei meist von Ansätzen aus den Neunzigerjahren, die mit dem Konzept der Heterotopie (Michel Foucault), alternative Räume und damit Visionen für die Zukunft entwarfen. So treffen wir in der Ausstellung auf Situationen, in denen die Suche gegenüber den Antworten dominiert. Die Performances verdeutlichen eher soziale Leerstellen oder Möglichkeiten temporärer „Zones of Contact“ als dass sie Lösungen bereithielten. Manchmal steigern sich die Aktionen auch in eine neurotische Spiegelung städtischer Gefühlsstrukturen, sie ziehen sich in die Innenschau zurück oder verfallen in einen absurden Aktionismus. Andere Künstler/innen wiederum fragen mit einer stillen Penetranz nach Formen von Notgemeinschaften, die sich angesichts eines ökonomischen und ökologischen Verfalls herausbilden müssen.

Die Auswahl der Arbeiten sowie der Ausstellungstitel sind durch Gedanken der britischen Kunsttheoretikerin Irit Rogoff inspiriert. Sie spricht von einer kollektiven Bedeutungsproduktion, die heute eher über verworrene Netze oder untergründig wirkende Partizipationsformen weniger über den Mythos klar umrissener „Gemeinschaften“ stattfindet. Ausstellungen können nach Rogoff als ein Raum gesehen werden, in dem politische Erscheinungen oder „politics without a plan“ entstehen. Dabei wird ein solch performatives Potential freigesetzt, wenn die Besucher/innen ihre eigenen Schwerpunkte, Perspektiven und Deutungen im Arrangement entwickeln. Es kommt ein „Handeln ohne Modell“ zum Einsatz. Wir werden zu Teilnehmern eines kollektiven Durcheinanders, das uns an den jetzigen gesellschaftlichen Zustand erinnert. Denn auch hier gilt letztlich: Everything, then, passes between us.

Everything, then, passes between us Mit Vito Acconci (USA), Johanna Billing (Schweden), Olga Chernysheva (Russland), Song Dong (China), Improv Everywhere (USA), Anja Kirschner (D), Klara Lidén (Schweden), Cinthia Marcelle (Brasilien), Marjetica Potr? (Slowenien), Christine Schulz (D), Alex Villar (Brasilien) und Haegue Yang (Südkorea) Ausstellung: 27.06.-23.08.09 Eröffnung: 26.06.09, 19 Uhr kuratiert von Christine Nippe

KünstlerInnen und ihre Arbeiten

Vito Acconci, Following Piece, 1969, New York. Vito Acconcis Following Piece gehört zu den Anfängen performativer Arbeiten im öffentlichen Raum. Für seine Aktion 1969 in New York schaute sich der Künstler einen zufälligen Passanten aus, um ihn solange wie möglich zu verfolgen. Manchmal dauerte die Jagd auch vier bis fünf Stunden, ging die verfolgte Person ins Kino oder Restaurant. Acconci vollzog diese Performance jeden Tag über einen Monat hinweg. Er hielt zu jeder Route eine maschinengeschriebene Seite fest, um diese an die Kunst-Community zu verschicken. Mit seiner Arbeit greift Acconci auf die in der europäischen Kulturgeschichte idealisierte Figur des Flaneurs zurück, um die Ambivalenz von männlich markiertem Voyeurismus kritisch zu thematisieren. In der Ausstellung werden Fotografien und Protokolle seines Following Piece von 1969 gezeigt.

Johanna Billing, You don’t love me yet-Tour, 2002–2005. Das fortlaufende Projekt You don’t love me yet, das Johanna Billing mit Musikern und Künstlern an mittlerweile über 15 Orten performativ in Szene gesetzt hat, beruht auf dem Einspielen einer immer wieder neu und verändert klingenden Version des gleichnamigen Songs von Roky Erickson von 1984. Eine Coverversion verweist auf den Respekt, den man einem Musikstück gegenüber ausdrückt sowie der eigenen Interpretation. Hier wird der Song wiederum an eine gesellschaftliche Fragestellung angeschlossen, nämlich der Möglichkeit, für eine beschränkte Zeit, eine Gemeinschaft Fremder herzustellen. Die Originalität und Einzigartigkeit einer künstlerischen Handlung, die heute für viele Künstler von großer Bedeutung ist, wird hierbei zugunsten eines kooperativen Projektes umgangen. Darüber hinaus erscheint das Projekt mit seiner Wiederholung eines popkulturellen Refrains, gesungen von einer Vielzahl junger Bands aus Köln, als Nutzung der Emotionalisierung von Musik und Events als Gegenmittel großstädtischer Vereinzelung. Unterschiedliche Versionen des Songs, aufgenommen an verschiedenen Stationen in Europa und Nordamerika, liegen für die Besucher als DVDs im Ausstellungsraum zur Ansicht bereit. Am 22. August findet im Kölnischen Kunstverein die Performance mit 10–15 lokalen Musikbands statt.

Olga Chernysheva, March, 2005, Moskau, Videostill, 7:30 Minuten. In ihren Fotografien und Videos beschäftigt sich die Moskauer Künstlerin Olga Chernysheva mit den Mischformen, die sich aus den Überbleibseln kommunistischer Rituale und den Neuerfindungen des russischen Turbokapitalismus entwickeln. In ihrer Videoarbeit March (2007) beobachtet Chernysheva ein merkwürdiges Ritual im öffentlichen Raum: Anlässlich der Bewerbung für die Ausrichtung der olympischen Spiele wurde eine Feier zelebriert. Auf einem Platz stehen sich kleine Jungs in nachempfundenen Militäruniformen mit einer in amerikanischen Farben ausstaffierten Cheerleadern gegenüber. Es entwickelt sich eine Beobachtungssituation zwischen den Jungen und den Teenager- Mädchen. Dazu spielt ein Militärmarsch. Großkonzerne haben die Szenerie mit bunten Luftballons versehen, auf denen nur ein einziges Wort steht: „Celebrating“. Doch der Anlass des Zelebrierens fehlt gänzlich. Nicht nur die Beschriftung verweist auf eine kulturelle Leerstelle, sondern auch die Kombination von Stilmitteln, Musik und Arrangement.

Song Dong, Broken Mirror, 1999. In Broken Mirror (1999) zerstört der chinesische Konzeptkünstler Song Dong die reflektierende Fläche eines Spiegels, um die dahinter liegende urbane Szenerie sichtbar zu machen. Damit konfrontiert er Chinas traditionelle Stadtstruktur mit den jüngsten hypermodernen Entwicklungen. Der Künstler spielt in seiner Performance nicht nur mit Illusion und Faszination der galloppierenden Modernisierung, sondern macht ebenfalls auf die Ambivalenz dieses wirtschaftlichen Aufschwungs aufmerksam. Durch das gefilmte Zerstören des Spiegels, wird nicht nur die Aggression der Handlung, sondern ebenfalls des Stadtumbaus in China deutlich: Tradition und Erneuerung liegen nah beieinander. Die Verletzlichkeit der chinesischen Städte ist hinter den Fassaden verborgen. Erst durch den Akt der Zerstörung bringt Song Dong den Kampf um Raum in Beijing zu Tage. Er macht das Vergessen von Tradition deutlich.

Improv Everywhere, Frozen Grand Central, 2008, New York City. An einem kalten Samstag in New York City kam der größte Bahnhof der Stadt zu einem plötzlichen Stillstand: Über 200 Improv Everywhere-Agenten „froren“ am Ort für fünf Minuten in der Haupthalle des Bahnhofs ein. Über 500.000 Menschen hasten jeden Tag durch den Grand Central, doch heute sind die Dinge anders: Die Touristen und Pendler hielten für einen Moment inne, um zu schauen, was um sie herum geschah. Improv Everywhere vollziehen ihre Flashmob-Taktiken im gesamten Stadtraum New Yorks und nutzen aktiv die Möglichkeiten des Internetportals You Tube, um eine lokale und globale „Öffentlichkeit“ herzustellen. Während der Ausstellung Everything, then, passes between us wird die New Yorker Künstlergruppe nach Köln eingeladen, um in einem Workshop auf die lokalen Bedingungen der Rhein-Metropole zu reagieren. Durch die Aktionen erweitert sich die Ausstellung in den Stadtraum Kölns hinein und entwickelt eine eigene Dynamik.

Anja Kirschner, Polly II (Videostill), 2006, Video (mit Ton), 29:50 Minuten. Anja Kirschner erzählt in ihrem Film Polly II von einer Revolution, die sich in der nahen Zukunft abspielt. Grund für den Aufstand ist der Gentrifikationsprozess im Londoner East End sowie die Überflutung des Gebiets nach der Klimakatastrophe. Ausgehend von John Gay’s Oper Polly (1727) entwickelt Kirschner die Charaktere ihres Films: In den überfluteten Docklands kommen Piraten und Piratinnen als Gespenster aus Englands maritimer Vergangenheit der ansässigen Bevölkerung im Kampf gegen die Investoren zu Hilfe. Für die Bildkomposition orientierte sich Kirschner an den sozialpolitischen Illustrationen des britischen Karikaturisten William Hogarth, einem Zeitgenossen Gay’s. In den vier Szenen des Films mischen sich historische Referenzen, TV-Drama-Gestik, Science-Fiction-Effekte und der performative Ausdruck von Laiendarstellern, mit denen Kirschner ihren Film drehte.

Klara Lidén, Moonwalk, 2008, Frankfurt am Main, Videostill. Mit einer frappierenden Chupze kombiniert Klara Lidén in ihren Arbeiten Energie, Bissigkeit und nervöse Aggressivität. Mit ihren Aktionen befragt sie die gesellschaftlichen Konventionen, um oftmals einen neurotischen Zwischenbereich freizulegen. Sei es performativ oder räumlich, Lidén bezieht die RezipentInnen geschickt, aber behutsam körperlich und mental in ihr Werk mit ein. Moonwalk (2008) wurde von Klara Lidén als experimentelles Projekt entwickelt, das über Stadtplanung und Verhaltensformen im öffentlichen Raum nachdenkt. Beinah zeitlupenmäßig bewegt sich die Künstlerin durch das nächtliche Frankfurt im unverwechselbaren Moonwalk-Schritt von Michael Jackson. Neben dem Aufgreifen eines Tanzes, den in den Achtzigerjahren noch jeder Jugendliche wie besessen einzuüben versuchte, ensteht eine merkwürdige Choreographie, die die Grenzen des Öffentlichen ausdehnt.

Cinthia Marcelle, CONFRONTO (aus der Serie Unus Mundus), 2005, Brasilien, Videostill, 16:29 Minuten . Der Film Confronto (2005) von Cinthia Marcelle, zeigt eine Ampel an einer belebten Verkehrskreuzung in Belo Horizonte (Brasilien). Als die Lichter das erste Mal rot werden, tauchen zwei Feuerwerfer mitten auf der Straße auf, um sobald es wieder grün wird, die Straße zu verlassen. Dies wird zwei weitere Male wiederholt, bis sich die Anzahl der Performer über vier auf sechs erhöht hat. Die Szenerie steigert sich in eine übersteigerte Nervosität, als acht Jongleure abschließend auf der Straße stehen und sie vollständig blockieren. Sie bleiben stehen, obwohl die Ampel auf grün umschaltet. Die Autos beginnen zu hupen, einer der Feuerwerfer wird von einem wütenden Fahrer touchiert, ein Motorradfahrer saust durch einen schmalen Spalt davon. Der Film blendet mit dem Straßenlärm und den hektischen Hupgeräuschen aus. Die Arbeit von Cinthia Marcelle sollte im brasilianischen Kontext gelesen werden. Im Gegensatz zu europäischen Städten ist mit dem Stoppen des Verkehrs weniger das spielerische Prinzip öffentlicher Performances, sondern implizite Gefahr von Überfällen verbunden.

Marjetica Potr?, Wandzeichnung aus der Serie NewOrleans, 2007 In ihren Arbeiten beschäftigt sich die diesjährige Venedig-Biennale Teilnehmerin Marjetica Potr? mit temporären Architekturen in Megacities oder mit alternativen Lebensformen lokaler Gemeinschaften. Im Kölnischen Kunstverein zeigt sie zum ersten Mal in Deutschland eine raumgreifende Wandzeichnung aus ihrer Serie New Orleans. Potr? verarbeitete ihre Beobachtungen, die sie in der zerstörten Stadt nachdem Hurrikan Katharina in Lousiana machte. Mit der darüberliegenden Serie von Zeichnungen Rural Practice bezieht sich die slowenische Künstlerin auf die Strukturen von peripheren Städten des „Balkans“ nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Sie besitzen durch ihre Geschichte noch das Potential, Strukturen jenseits des Kapitalismus auszubilden, so die Hoffnung der Künstlerin.

Christine Schulz, Spielwelt, 2006, Video- und Diaprojektion, verschiedene Materialien, Installationsansicht Anhand ihrer raumgreifenden und mehrperspektivischen Neuproduktion für den Kölnischen Kunstverein zeigt Christine Schulz, individuelle Aneignungen des urbanen Raumes im Alltag. Sie kombiniert ihre Beobachtungen, die sie auf den Reisen durch asiatische Metropolen machte, mit Impressionen aus ihrem eigenen Umfeld in Berlin. Ihre filmischen Montagen geben dabei nur wenig Auskunft über die spezifischen Orte, sondern zeigen in der Gesamtschau die Umnutzung von städtischen und privaten Räumen. Öffentliches wird in Privates umgestülpt und umgekehrt.

Haegue Yang, Dehors, 2006, Diaprojektion Für ihre Diaprojektion Dehors bat die diesjährige Venedig-Biennale Teilnehmerin Haegue Yang Freunde aus Seoul, für sie Immobilienanzeigen aus den Zeitungen zu sammeln. Durch dieses über die Distanz hinweg initiierte Archivprojekt wollte Yang einerseits Verbindung zu Südkorea halten und andererseits die Imaginationen der Menschen zum perfekten Zuhause erkunden. Enstanden ist eine hoch ästhetische Diaprojektion, die die Bilder vom „Traum des Wohnens“ auf durchscheinenden Zeitungspapier zeigt. Wir sehen die vor einem pastellfarbenen Horizont inszenierte Illustrationen von Hotelkomplexen, Wohntürmen, Appartmenthäusern. Damals sah die Zukunft im wahrsten Sinne noch „rosig“ aus, hatte die Immobilienkrise damals doch noch nicht ihre Kreise gezogen. Somit verwies Yang – bewusst oder unbewusst - mit ihrer orchestrierten Inserateflut auf die Immobilienblase hin.

Alex Villar, Dribbling the Field (Seaport Overview), 2003, New York, Videostill, 4 Minuten In Dribbeling the Field (2003) erkundet der Künstler im Rückwärtslauf den öffentlichen Raum New Yorks. Seine Bewegungen verlaufen konträr zur Hektik der Millionenmetropole. Ähnlich wie beim situationistischen Dérive, indem die KünstlerInnen in den Sechzigerjahren die Stadt konträr zu ihren ökonomischen Raumregeln nutzen wollten, entzieht sich Villar dem ökonomischen Rhythmus der Stadt und erforscht mit seinem Körper den sozialen Raum New Yorks. Dazu sagt er: “Drawing from interdisciplinary theoretical sources and employing video-performance, installation and photography, I have developed a practice that concentrates on matters of social space. My interventions are done primarily in public spaces. They consist in positioning the body of the performer in situations where the codes that regulate everyday activity can be made explicit. The body is made to conform to the limitations of claustrophobic spaces, therefore accentuating arbitrary boundaries and possibly subverting them. A sense of absurdity permeates the work, counterposing irrational behavior to the instrumental logic of the city’s design.”

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Everything, then, passes between us
kuratiert von Christine Nippe

Künstler: Vito Acconci, Johanna Billing, Song Dong, Improv Everywhere , Anja Kirschner, Klara Liden, Cinthia Marcelle, Marjetica Potrc, Christine Schulz, Alex Villar, Haegue Yang