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DIE SCHIRN KUNSTHALLE FRANKFURT ZEIGT EINE GROSSE GESAMTWERKSCHAU VON EUGEN SCHÖNEBECK EUGEN SCHÖNEBECK 1957–1967 23. Februar – 15. Mai 2011

Die Schirn widmet dem deutschen Maler Eugen Schönebeck vom 23. Februar bis 15. Mai 2011 eine große Gesamtwerkschau, die nahezu alle erhaltenen Gemälde und die bedeutendsten Zeichnungen versammelt. Ausgehend von der tachistischen Zeichnung wandte sich Schönebeck der figurativen Zeichnung und Malerei zu und thematisierte als einer der ersten deutschen Künst-ler die traumatischen Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs. Es entstanden einzigartige Werke zwischen Abstraktion und Figuration. Gemeinsam mit Georg Baselitz veröffentlichte er 1961 und 1962 die „Pandämonischen Manifeste“, die eine bürgerliche und übersättigte Kunstwelt anpran-gerten. Schönebecks wachsendes Bewusstsein für die sozialistische Geisteswelt inspirierte ihn Mitte der 1960er-Jahre zu zeitlosen Porträtdarstellungen verschiedener „Helden des Ostens“, die jedoch frei von propagandistischen Zwecken sind. Mit ihnen hinterfragt Schönebeck nicht nur Charakter und Verhalten von Revolutionären wie Lenin, Trotzki oder Mao, sondern auch die Be-deutung künstlerischer Risikobereitschaft. Schönebecks Gemälde und Zeichnungen waren nicht nur damals ihrer Zeit voraus, sondern haben in ihrer Fragestellung bis heute nicht an Aktualität verloren. Die Ausstellung in der Schirn gibt mit 30 Gemälden und ebenso vielen Zeichnungen nach der Retrospektive der Kestnergesellschaft Hannover im Jahr 1992 erstmals einen umfas-senden Überblick über das OEuvre Schönebecks.

Eugen Schönebeck wurde 1936 in Heidenau bei Dresden geboren. 1954 begann er nach einer Lehre als Dekorationsmaler an der Städtischen Gewerbeschule in Pirna ein Studium an der Fachschule für angewandte Kunst in Ostberlin. Im Jahr darauf Jahr verließ er die DDR und ging nach Westberlin, um an der dortigen Hochschule für bildende Künste zu studieren. In seiner Stu-dienzeit von 1955 bis 1961 lernte er die Entwicklungen in der neueren europäischen Kunst ken-nen und war von den Werken von Nicolas de Staël, Jean Fautrier, Henri Michaux, Wols, Hans Hartung und anderen beeindruckt. Paris mit seiner intellektuellen Ausstrahlung hatte einen nach-haltigen Einfluss auf ihn. Er las Baudelaire, Lautréamont, Rimbaud und Artaud. Seine Eindrücke verarbeitete er in gestischen Zeichnungen von hoher Ausdruckskraft. 1957 freundete er sich mit Georg Baselitz an. In den folgenden fünf Jahren tauschten sie intensiv ihre Ansichten und Ge-danken über Kunst aus. Ihre Zusammenarbeit endete 1962, kurz nach der Veröffentlichung von „Pandämonium II. – Manifest“, einem plakatgroßen Flugblatt mit Texten und Bildern beider Künst-ler. Zu dieser Zeit hatte Schönebeck die gestische Malerei hinter sich gelassen und war allmäh-lich zur Überzeugung gelangt, dass Kunst richtungweisend sein könne. In „Pandämonium II.“ forderten er und Baselitz eine neue Kunst, die sich von der vorherrschenden abstrakten Malerei des Informel und Tachismus absetzen sollte und in der, ähnlich wie im Surrealismus, Kunst und Leben wieder direkter aufeinander bezogen sein sollten. Auf diese Weise wollten sie einen neuen Zugang zur Realität schaffen. „Ich sehe den Abgrund der Lauterkeit als Daseinsgrund, als Bestia-rium, als ganzes Leben, als innere Schwellkraft. Eine Wahrheit, die immer auf des Messers Schneide bleibt! ... Es geht um das Leben, nicht um Narzissmus“, so Schönebeck im Manifest.

Schönebecks Gemälde und Zeichnungen aus dieser Zeit zeigen mutierte Wesen, die zwischen der Welt der Toten und der Lebenden zu schweben scheinen – fragmentiert und zerrissen, zwischen Abstraktion und Figuration changierend. Das Gemälde „Gefolterter Mann“ von 1963 ist die Dar-stellung einer grauenhaften Abschlachtung. Zu sehen sind die verstümmelten Gliedmaßen eines Mannes, dessen Eingeweide sich auf den Boden ergießen. Form erwächst in diesem noch immer nicht wirklich figurativen Gemälde nur, um sich wieder aufzulösen. Schemenhaft und auf das Ge-säß abgestützt vermittelt diese Figur gnadenlos die schockierende Brutalität dessen, was der Mensch dem Menschen antun kann. Diese oft grotesken Arbeiten Schönebecks greifen auf die Welt seiner Kindheit zurück – der Künstler war zu Kriegsende neun Jahre alt und erinnert sich noch heute an die verunstalteten, aufgedunsenen Leichname, die er in der Elbe treiben sah, und an die Horden von Deutschen, die durch die zerstörte Landschaft in und um Dresden marschier-ten. Wahrscheinlich sind diese Bilder die frühesten Werke eines deutschen Nachkriegskünstlers, der dem traumatischen Verlust des Glaubens an die beständigen Werte von Vaterland und Familie Gestalt verlieh. Mit diesen Bildern brach Schönebeck ein unausgesprochenes Tabu. Radikaler als seine Kollegen es wagten, begann er, der Demontage des Stolzes auf eine deutsche Identität, die das Ergebnis der Verbrechen des Zweiten Weltkriegs war, ein Gesicht zu geben. Günter Grass, der 1953 an die Hochschule für bildende Künste kam, um Bildhauerei zu studieren, sagte später über diese Zeit: „die Künste [liefen] Gefahr, ins Unverbindliche abzudriften, […] die Gegenstands-losigkeit triumphierte. Wer hier oder drüben [in der DDR] in Bildern Zustände spiegelte, sich am Realen rieb, wurde ausjuriert.“

Ab 1963 entwickelte Schönebeck, der die DDR als Antistalinist verlassen hatte und dem der Weg in seine Heimat durch die Errichtung der Berliner Mauer 1961 nun verwehrt war, in der Auseinan-dersetzung mit der europäischen Linken ein immer stärker ausgeprägtes politisches Bewusst-sein. In dieser Atmosphäre griff Schönebeck mit der Kreuzigung ein Thema auf, das bis 1964 in vier Gemälden seinen Niederschlag finden sollte, in denen sich Figur und Farbe ihren Weg bah-nen. Mit diesen Arbeiten brach er zu einer Ästhetik durch, die er innerhalb eines Jahres zu sei-nem unverwechselbaren Stil entwickeln sollte, der keine wirklichen Vorläufer hatte und ohne Nachfolge blieb.

Der neue Stil wird 1964 durch das Gemälde „Der wahre Mensch“ eingeleitet. Es entsteht eine Rei-he von „Porträts“ von Personen, die man als „Helden des Ostens“ bezeichnen könnte. Es folgen Bildnisse von Lenin, Trotzki und Mao, großformatige Porträts des sowjetischen Dichters Wladimir Majakowski, des russischen Schriftstellers Boris Pasternak sowie des mexikanischen Malers, Gra-fikers und kommunistischen Aktivisten David Alfaro Siqueiros. Schönebeck bediente sich dafür des flächigen Malstils, den er in einem Wandmalerei-Praktikum in der damaligen DDR erlernt hat-te. Er malte Sujets, die wie Phantome in seinem Geist schwebten, und verwandelte diese in Iko-nen. Fasziniert von der Zweidimensionalität der Pop-Art-Embleme, konterkarierte er die neutral-wohlwollende Haltung, die andere Künstler gegenüber der kapitalistischen Konsumkultur an den Tag legten. Sein neuartiger Blick auf die „Helden des Ostens“ besteht darin, dass er sie benutzt, um die Wirkungsmechanismen des sozialistischen Realismus und der Ideologieverfallenheit aus-zustellen. Schönebeck enthüllt die Macht der Bilder im doppelten Sinne: Einerseits können sie zu einer Ideologie verführen, anderseits deren Wirkungsmechanismen entlarven. Dabei bediente er sich einer Bildsprache, die in Westdeutschland tabu war. Diese übergroßen Bildnisse verhalfen der utopischen, cinematischen Qualität des besten sozialistischen Realismus zu neuen Höhen. Für derartige Gemälde gab es zu dieser Zeit keinen Markt. 1967 malte Schönebeck seine letzten Gemälde.

Achtzehn Jahre sind vergangen, seit Schönebecks OEuvre in einer ersten großen Retrospektive bei der Kestnergesellschaft in Hannover gezeigt wurde. Obwohl Schönebeck heute in Künstler-kreisen als eine Art „Künstler der Künstler“ gepriesen wird und eine Reihe von seinen Werken in bedeutenden öffentlichen Sammlungen beheimatet sind, ist sein Name unter Kunsthistorikern weitgehend in Vergessenheit geraten. Die Ausstellung in der Schirn Kunsthalle Frankfurt ver-sucht, dies zu korrigieren, und bringt nahezu alle rund 30 noch erhaltenen Leinwandgemälde Schönebecks sowie etwa 30 seiner Werke auf Papier zusammen. Ein umfangreicher Essay von Pamela Kort präsentiert die erste ausführliche Biografie des Künstlers und platziert ihn im Kontext der soziopolitischen Ereignisse im Nachkriegsdeutschland. Ziel der Ausstellung und des Katalogs ist es, Schönebecks Werk den ihm gebührenden Platz in der Kunstgeschichte zu sichern.

KATALOG: Eugen Schönebeck 1957–1967. Herausgegeben von Pamela Kort und Max Hollein. Mit einem Vorwort von Max Hollein und einem Text von Pamela Kort. Deutsch-englische Ausgabe, 176 Seiten, 205 Abbildungen, Hirmer Verlag, München 2011, ISBN 978-3-7774-3561-9.

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Eugen Schönebeck
1957-1967
Kurator: Pamela Kort