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Zum 18. Mal findet vom 20. bis 24. April in Osnabrück eines der größten Medienkunst-Ereignisse Europas statt: An fünf Tagen präsentiert das EUROPEAN MEDIA ART FESTIVAL (EMAF) aktuelle Trends und neueste Entwicklungen der internationalen Medienkunst. Unter dem Motto >DOCUMENT< zeigt das EMAF 225 neue experimentelle Filme und Videos, rund 50 Installationen und bietet zahlreiche Vorträge, Präsentationen und Diskussionen. Damit ist das EMAF eines der bedeutendsten europäischen Foren für die Präsentation, Vermittlung und Vermarktung von Medienkunst.

MIT >DOCUMENT< stellt das EMAF das künstlerische Werk als Dokument eines kreativen Prozesses vor. Im Mittelpunkt stehen medienkünstlerische Herangehensweisen an dokumentarische Formen. In einer Zeit zunehmender Verbreitung digitaler Bilder und wachsender Skepsis an deren Echtheit, geht das EMAF der Frage nach, ob in der medialen Bilderflut noch authentische Dokumente existieren.

// Ausstellung Die Ausstellung in der Kunsthalle Dominikanerkirche zeigt mit insgesamt 12 Installationen internationaler Künstler die Bandbreite der künstlerische Annäherungsmöglichkeiten an >Document< Mal unterhaltsam wie Julika Rudelius mit „Train“, mal hart an der Realität wie Avi Mograbi in „Detail“, dann provozierend wie „Santiago Sierra“ mit „250cm Line“ oder mit einem selbstironischen Lächeln wie bei Hartmut Jahns „Schalten Sie den Fernseher ab!“. In Train beobachtet Rudelius spät nachts in der S-Bahn eine Gruppe Jugendlicher, die sich über ihre Freundinnen unterhalten. Ihr großspuriges Machogehabe zeichnet eine versteckte Kamera auf. Zu sehen sind nur die Münder der Jungen, wie sie über ihre Freundinnen herziehen.

An einem israelischen Checkpoint irgendwo in Palästina beobachtet Mograbi eine bizarre Szene des israelisch-palästinensischen Alltags: Auf der einen Seite eine palästinensische Familie, in ihrer Mitte eine blutende Frau. Auf der anderen Seite israelische Soldaten, versteckt im gepanzerten Jeep. Die Palästinenser bitten, das Krankenhaus auf der anderen Seite aufsuchen zu dürfen. Die israelischen Soldaten, unsichtbar hinter den vergitterten Scheiben, antworten nur: „Go Away!“. Eine alltägliche Szene aus Palästina, ein Detail, so der Titel der Arbeit, des israelisch-palästinensischen Konflikts.

Die Videoinstallation 250 cm Line Tattooed On Six Paid People des Spaniers Santiago Sierra ist das Dokument einer außergewöhnlichen Kunstaktion. In Havanna zahlte Sierra sechs arbeitslosen Männern je 30 Dollar dafür, dass sie sich nebeneinander stehend eine durchgehende Linie auf ihre Rücken tätowieren ließen. Mit dem Video – ohne Pathos oder Anteilnahme erstellt – lenkt Sierra den Blick des Betrachters fort vom Kunstwerk hin zu den Bedingungen seiner Herstellung.

Schalten Sie den Fernseher ab! fordert dagegen Medienkünstler Hartmut Jahn, der auf zwölf Monitoren ein umfangreiches Dokument der Fluxus-Bewegung präsentiert. Künstler wie John Cage, Nam June Paik, Willem de Ridder oder Emmett Williams verstörten in den 50er Jahren die Kunstwelt mit spielerischem Witz, sprudelndem Geist und anarchischer Klarheit. Jahn zeigt, dass die jungen Wilden von einst noch immer äußert rege sind.

Mit seinen Bewegtbildern entkoppelt Egbert Mittelstädt Zeit und Raum. Sein ’slit scan’ Verfahren schreibt lediglich Bewegungen in konkreter ’erkennbarer’ Form auf das Filmmaterial. Unbewegtes wird hingegen zu abstrahierten, farbigen Streifen komprimiert. In einem fantastisch-ruhigen Fluss der Farbstrukturierungen entsteht so eine Spannung zwischen Unschärfe und Abbildung, zwischen konkreten und abstrakten Bildelementen. Mittelstädts Arbeiten präsentiert das EMAF im Foyer des DCC, dem Bürogebäude der Firmen hellmann worldwide logistics und PCO.

// Peter Greenaway Mit Peter Greenaway begrüßen wir einen der weltweit bedeutendsten und einfluss-reichsten Filmemacher, Medienphilosophen und Bildenden Künstler. Am Samstag, 23. April präsentiert er persönlich in einem Live Talk sein neustes Projekt The Tulse Luper Suitcases (TLS) und erklärt seine Vision vom post-cineastischen Kino. Das multimediale Großprojekt umfasst drei Kinofilme, 16 TV-Produktionen, 92 DVDs, mehrere Bücher, eine Ausstellung und ein Video Game. TLS erzählt die Lebensgeschichte des (fiktiven) Künstlers und Schriftstellers Tulse Luper, der verwickelt in die historischen Ereignisse des 20. Jahrhunderts den größten Teil seines Lebens in verschiedenen Gefängnissen verbringt und als Werk 92 Koffer hinterlässt. In der Ausstellung des EMAF in der Kunsthalle Dominikanerkirche können Besucher an drei Terminals des Tulse Luper Suitcases – The Game Episoden aus dem Leben des Titelhelden im Video Game nachspielen. Auf dem Kongress des Festival erläutern Mitarbeiter Greenaways die geplante Ausstellung und stellen die Internetplattform vor, über die sämtliche TLS-Bestandteile koordiniert werden. Greenaways Live Talk wird eingerahmt von den Vorführungen der drei Kinofilme The Moab Story (2003), From Sark to Finish (2003) und Vaux to the Sea (2004), die das EMAF in modernster digitaler Technik mit High Definition präsentiert. Hier haben Zuschauer die seltene Gelegenheit, die Qualität dieses neuen Standards, der in den nächsten Jahren die Kinos erobern wird, kennen zu lernen.

// Cinema In der Lagerhalle und im Cinema Arthouse zeigt das EMAF wieder eine spannende Auswahl von 225 internationalen Experimentalfilmen und –videos in insgesamt 21 Programmen. Als einziges Festival in Deutschland umfasst das EMAF die ganze Bandbreite experimentellen Medienschaffens. Der klassische Kurzfilmbereich reicht von alchemistischer Filmbearbeitung bis zu aktuellen Musikclips aus der Digitalbox, wie im Programm Clip Clash. In der langen Form sind neben experimentellen Altmeistern wie Wilhelm Hein (You killed the Undergroundfilm or The Real Meaning of Kunst bleibt bleibt) und Klaus Wyborny (Lieder der Erde / Teil 2) auch vielversprechende Neulinge wie der Amerikaner Jonathan Caouette mit Tarnation vertreten. Hélèna Villovitch und Jan Peters haben mit Bye Bye Tiger ein Roadmovie im besten Sinne gedreht. Über mehrere Jahre hat Jan Peters die Auto(bahn)fahrten zu seiner Freundin Hélèna Villovitch dokumentiert und sie nun mit einer abstrusen Spielhandlung verwoben. Wilhelm Hein legt mit You Killed The Undergroundfilm or the Real Meaning of Kunst bleibt bleibt... (sic!) ein filmisches Manifest mit politischem Anspruch vor. Er verweigert sich bewusst den Mechanismen des Kunstmarkts und pflegt stattdessen das subversive, gesellschafts- und kunstkritische Underground-Kino. Tarnation ist das faszinierende Debüt des jungen Jonathan Caouette, der mit seinem Film die Definition einer Dokumentation neu auslegt. Er dokumentiert sein Leben seit dem elften Lebensjahr mit Hilfe von Schnappschüssen, Super8-Aufnahmen, Anrufbeantworter-nachrichten, Videotagebüchern, frühen Kurzfilmen, Ausschnitten aus Filmen der frühen 80er Jahre Popkultur und dramatisch nachgespielten Szenen. Ein wüstes Sammelsurium und zugleich ein episches Porträt einer zerrissenen amerikanischen Familie, die später durch die Kraft der Liebe wieder vereint wird.

// Werkschau Harun Farocki Eine umfassende Werkschau widmet das EMAF dem Berliner Filmemacher Harun Farocki, einem der bedeutendsten Vertreter des zeitgenössischen Dokumentarfilms. In der Kunsthalle Dominikanerkirche untersucht Farocki mit der Doppelprojektion Auge/ Maschine I – III in parallel laufenden Bildfolgen die dunklen Seiten von Hightech-Aufnahmeverfahren. Er verknüpft Bildmaterial aus dem Golf-Krieg und unserer alltäglichen Warenwelt und legt damit bloß, wie die dieselbe Bildtechnologie, die einst Bomben zu ihren Zielen führte, nun verwendet wird, um das Konsumverhalten von Kunden in Warenhäusern und Supermärkten zu überwachen. Darüber hinaus zeigt das EMAF eine Auswahl von zwölf Filmen Farockis, darunter auch Unlöschbares Feuer (1969), einem der einflussreichsten Agit-Prop-Filme der Bewegung gegen den Vietnamkrieg. Bereits hier nimmt Farocki viele jener Themen vorweg, die in seinem weiteren Werk eine Rolle spielen: Technologie, Krieg, Medien und die Verstrickung der Wissenschaft in die Ökonomie des Krieges. Er arbeitet dabei selten spektakulär aber stets akribisch. Oder wie er selbst sagt: „Man muss keine neuen, nie gesehenen Bilder suchen, aber man muss die vorhandenen Bilder in einer Weise aufbereiten, dass sie neu werden. ... Mein Weg ist es, nach verschüttetem Sinn zu suchen und den Schutt, der auf den Bildern liegt, wegzuräumen“. Das EMAF zeigt Wie man sieht (1986), Die Schulung (1987), Die Bewerbung (1997), Ich glaubte, Gefangene zu sehen (2000) u.a.m.

// Retrospektive Die Retrospektive des Filmprogramms ist einem der originellsten amerikanischen Vertreter des Undergroundkinos der 60er und 70er Jahre gewidmet: Owen Land (früher George Landow). Schon früh widmete er sich auf humorvolle Art der Materialstruktur des Filmstreifens, ohne seine großen Themen wie Religion, Psychoanalyse, Konsumterror – und filmende Pandabären – aus den Augen zu verlieren. Diese frühen Materialfilme gelten heute als strukturelle Filme, obwohl sich Land jeglicher Filmtheorie konsequent verweigerte. Vielmehr suchte er den Bruch geltender Konventionen und entzog sich mit Witz der Definition des „langweiligen Avantgarde Kinos“. Die Einzigartigkeit von Lands clever durchdachten Arbeiten liegt in der geschickten Fusion von Rationalität und respektlosem Witz, durch die sie von der restlichen Welt des experimentellen Films abrücken.

// Live Cinema / Performance Reqoil Displaced Peaceoff ist eine einzigartige Verbindung von Kino und Konzert. Sound und Bild stehen gleichberechtigt nebeneinander. Die Künstler Pure und Dekam mixen Sound und Bilder – und zwar live! Dabei reagieren und konkurrieren sie auf- und miteinander und kreieren eine jeweils einmalige Show, die sich von der Konserve des Kinos abhebt.

// Kongress Den Auftakt des Kongresses bildet der Hochschultag (21.04.), an dem Medien- und Kunsthochschulen ihre Studiengänge vorstellen. Zuerst präsentiert die Osnabrücker Hochschulinitiative desFilmeurs ihre Kurzfilme. Neben dem Kooperationspartner, der Kunsthochschule Kassel sind in diesem Jahr der Fachbereich Design und Medien der FH Hannover durch Prof. Hanno Baethe und die FHBB Basel mit ihrer interaktiven Wanderausstellung nomadix durch Mischa Straub vertreten. Am Freitag (22.4.) stellt Ilias Marmaras, Koordinator des Künstler-Kollektivs Personal Cinema, das Netzwerk The Making of Balkan Wars: the Game vor. Zentrales Thema des anschließenden Roundtable Medien-Kunst-Markt ist die Verbesserung der Vermarktung von Medienkunst. Hier beraten Galeristen, Museumsleiter und Kuratoren über die Chancen von Medienkunst auf dem Kunstmarkt, bevor Hanne Beate Ueland vom Osloer Astrup Fearnley Museum of Modern Art Yoko Onos Ausstellung Horizontal memories vorstellt. Am Samstag (23.4.) nimmt der Kongress das Festivalmotto >Document< auf. Stephan Oriach präsentiert seinen Film Orlan – Carnal Art. Jens Hauser fragt in seinem Vortrag When Bodyart goes Bioart: Von Performanz zum Dokument – ein Klassiker?, bevor Adrian Heathfield in seiner Präsentation Traces of Events die Beziehung zwischen ‚Live-Art‘ und deren ‚Spuren‘ in Dokumenten, kritischen Schriften und visuellen Medien untersucht. Den Abschluss bildet Michael Bautes Vortrag Zu Harun Farocki.

// Student Forum Mit dem student forum betreibt das EMAF aktive Nachwuchsförderung. Alljährlich erhalten Studierende internationaler Hochschulen Gelegenheit, ihre Arbeiten in einem professionellen Rahmen zu präsentieren. Kooperationspartner in diesem Jahr ist die Kunsthochschule Kassel, deren Objekte und Installationen im ehemaligen DGB-Gebäude ausgestellt werden. Außerdem stellt das Student Forum im Rahmen des Internationalen Film- und Videoprogramms drei eigene Programme vor. Die StuFo-Party beginnt am Donnerstag, 21. April um 22:30 in der Qlisse, der EMAF-Feierabend findet am Samstag, 23. April ab 23:00 im Rosenhof statt.

// Awards Spannung verspricht die Preisverleihung in der Lagerhalle am Sonntag, 24. April. Dann wird nicht nur der Preis der Deutschen Filmkritik für die beste deutsche Film- und Videoarbeit sondern auch der mit € 2.500 dotierte EMAF-Award für eine richtungweisende Arbeit der Medienkunst verliehen.

Pressetext

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18. European Media Art Festival 2005 "DOCUMENT"
Filme, Videos, Installationen, Vorträge, Präsentationen, Diskussionen, EMAF-Award
Filmfestival: 20.4. - 24.4.05
Ausstellung: 20.4. - 15.5.05

Filmemacher:
Maria Blondeel, Jonathan Caouette, Abigail Child, Gustav Deutsch, Harun Farocki, Annette Frick, Peter Greenaway, Alexander Gutman, Wilhelm Hein, Clive Holden, Sami van Ingen, Hartmut Jahn, Thomas Körner, Owen Land (formerly known as George Land), Brian MacDonald, Janet Merewether, Antoni Muntadas & Jan van Nuenen, Stephan Oriach, Jeroen Permentier, Gabrielle Pfeiffer, Marshall Reeves, Norman Richter, Myriam Thyes, Helena Villovitch & Jan Peters ...

KünstlerInnen der Ausstellung in der Kunsthalle Dominikanerkirche:
Harun Farocki, Peter Greenaway, Bettina Hoffmann, Hartmut Jahn, Egbert Mittelstädt, Avi Mograbi, Julika Rudelius, Carola Rümper, Santiago Sierra, Jan-Peter E.R. Sonntag, Ella Ziegler ...