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Als führendes deutsches Universitätsmuseum ist die Kunsthalle zu Kiel in besonderem Maße in eine Debatte eingebunden, die Kunst und Wissenschaft in den Bann zieht: die Frage nach dem Wesen und der Wirkung der Bilder. Bilder lassen Dinge sichtbar werden, die anders nicht der Anschauung zugänglich wären, als Idee oder Dokument, als komplexer Sachverhalt oder wissenschaftliche Theorie. Die Ausstellung spannt einen Bogen von der mechanischen und biowissenschaftlichen Erforschung des Menschen über die Erkundungen seines Lebensbereiches und das Eindringen in unsichtbare Welten, bis hin zur Visualisierung geistiger Konstrukte. Die Ausstellung Dopplereffekt. Bilder in Kunst und Wissenschaft greift in den aktuellen Bilddiskurs der Geistes- und Naturwissenschaftler ein und erforscht aus der Sicht des Bildes die vielfältigen Wechselbeziehungen zwischen Kunst und Wissenschaft in den vergangenen sechs Jahrhunderten. Im Zentrum steht dabei stets die betörende und gelegentlich verstörende Faszinationskraft der Bilder als Ergebnis wissenschaftlicher Neugierde und Kreativität. Der Katalog erscheint im DuMont Buchverlag. Herausgeber sind Petra GoÅNrdüren und Dirk Luckow. Autoren des Katalogs: Erna Fiorentini, Sabine Flach, Petra GoÅNrdüren, Christiane Kruse, Ingeborg Reichle, Gabriele Werner, Dörte Zbikowski.

Die Ausstellung ist durch die Kulturstiftung des Bundes gefördert. In Kooperation mit chiffren. Musik neu entdecken. NDR kultur ist Kulturpartner der Kunsthalle zu Kiel.

Künstlerliste: Josef Albers, Bernhard Siegfried Albinus, Alessandro Allori, Anna Atkins, Adriaen Backer, Georg Wilhelm Bauernfeind, Joseph Beuys, Govard Bidloo, Max Bill, Leopold Blaschka, Rudolf Blaschka, Christine Borland, Ulrich Brehm, Fritz Brill, Agostino Carlini, Otto Croy, Mark Dion, Hubert Duprat, Albrecht Dürer, Charles Eames, Ray Eames, Olafur Eliasson, Max Ernst, Theodor Josef Ethofer, Georg Flegel, Václav Fri?, Galileo Galilei, Christine de la Garenne, George Gessert, Conrad Gessner, Antony Gormley, Tue Greenfort, Ernst Haeckel, Boris Hars- Tschachotin, Louis Heitsch, Georg Hoefnagel, Candida Höfer, Hans Hoffmann, Carsten Höller, Channa Horwitz, Cornelis Huyberts, Lotte Jacobi, Eduardo Kac, Via Lewandowsky, Ernst Mach, Marta de Menezes, Mario Merz, Robert Morris, Michael Müller, Christine Nguyen, Olaf Nicolai, Jean Painlevé, Louise von Panhuys, Niclaes Peters Hermanns Sohn, Antonio Pisanello, Jaume Plensa, Marc Quinn, Arnulf Rainer, Man Ray, Nicolas Robert, Thomas Ruff, Philipp Otto Runge, Frederik Ruysch, Peter Schamoni, Johann Rudolf Schellenberg, Otto Marseus van Schrieck, Kurt Schwitters, Conrad Shawcross, Hiroshi Sugimoto, Keith Tyson, Andreas Vesalius, Enea Vico, Jorinde Voigt, Ruth Vollmer, Hans Vredemann de Vries, Herman de Vries, Martin Walde, Jeff Wall, Mark Wallinger, Jan Wandelaar, Sebastian Wegmayr, Gary Woodley

Konzept der Ausstellung Der Maler und Kunsttheoretiker Cennino Cennini wies um 1390 in seinem Libro dell’ arte der bildenden Kunst die Aufgabe zu, das zu zeigen, was nicht ist, so als ob es sei, und thematisierte damit den wirkungsmächtigen und zugleich fiktionalen Charakter von Bildern. Nicht nur die Bildkünste folgten dieser Bestimmung, sondern auch die wissenschaftliche Erkenntnis war zunehmend vom Bild abhängig, um komplexe Sachverhalte und Theorien zu visualisieren. Heute wird häufig zwischen dem subjektiven Kunstwerk und dem objektiven wissenschaftlichen Bild unterschieden. Dennoch gleichen sich Bilder in Kunst und Wissenschaft. Historisch betrachtet, eigneten sich die Künstler der Renaissance wissenschaftliche Kenntnisse an, um das Herstellen von Bildern als intellektuelle Leistung zu definieren. Kunst und Wissenschaften gingen eine enge Bindung ein. Erst durch die Systematisierung der Welt in der Aufklärung wurde der heute vorherrschende Dualismus von objektivem wissenschaftlichen und subjektivem künstlerischen Bild begründet.

Mit dem »iconic turn« setzte in den 1990er Jahren ein Paradigmenwechsel in den Geisteswissenschaften ein, bei dem sich das Augenmerk vom schriftlichen hin zum bildlichen Zeugnis als Leitmedium der Forschung etablierte. Jüngst haben zudem Lorraine Daston und Peter Galison in einer umfassenden Studie die Objektivität wissenschaftlicher Bilder widerlegt. Sowohl Bild- als auch Naturwissenschaftler beschäftigen sich zunehmend mit bildgebenden Verfahren, vom mikroskopischen Bild bis hin zur Nanotechnologie, von mechanischer Aufzeichnung bis hin zum virtuellen Konstrukt. Hat in der frühen Neuzeit die Wissenschaft die Kunst vorangetrieben, so muss man sich heute die Frage stellen, inwieweit die Denkweisen der bildenden Kunst die wissenschaftliche Erkenntnis beflügeln können. Eine Bildsprache auszubilden, mit der sich die Medialität und die Subjektivität des Bildes dem Betrachter mitteilen, ist bislang den bildenden Künsten vorbehalten, doch gerät eine kritische Analyse des Bildes zunehmend in den Fokus der Naturwissenschaften.

Mit der Ausstellung Dopplereffekt greift die Kunsthalle zu Kiel in den aktuellen Bilddiskurs ein und erforscht die Wechselbeziehungen zwischen Kunst und Wissenschaft in den vergangenen sechs Jahrhunderten aus der Sicht des Kunstwerks. Die ausgewählten Werke bezeugen die kontinuierliche Nähe zwischen Kunst und Wissenschaft, die sich zwischen objektiver Wahrheit und subjektiver Interpretation manifestiert. In der Physik bezeichnet der »Dopplereffekt« ein Wahrnehmungsphänomen, das den Betrachter und das von ihm beobachtete Objekt in ein Abhängigkeitsverhältnis setzt. Daher eignet sich der Begriff als Metapher, um das hybride Rollenspiel des Bildes zwischen subjektiven und objektiven Sichtweisen zu beschreiben und das sich gegenseitig inspirierende Abhängigkeitsverhältnis von Kunst und Wissenschaft zu hinterfragen. Zwischen früher Neuzeit und der Gegenwart verankert, spiegeln die Werke in der Ausstellung Dopplereffekt die Spannung zwischen Materialität, sichtbarer Verweiskraft und der Möglichkeit zur Theoriebildung wider. Ausgehend von der Erforschung des menschlichen Körpers und seines Lebensbereichs über das Eindringen in den Makro- und Mikrokosmos führt der Ausstellungsparcours in vier Kapiteln hin zu den Visualisierungen abstrakt logischer Konstrukte, wie sie die Beschäftigung mit Mathematik hervorbringt.

Die Kapitel der Ausstellung

Vom Kodex der Körper Kaum ein wissenschaftliches Gebiet übt eine solche Anziehungskraft aus wie die Erforschung des menschlichen Körpers und insbesondere dessen, was sich unter seiner sichtbaren Oberfläche abspielt. Das visuelle Eindringen in den Körper bringt seine methodische Dekonstruktion mit sich. Um eine Systematisierung der vitalen Vorgänge zu ermöglichen, ist der Einsatz von Bildern unerlässlich. Von den anatomischen Studien der Zeitgenossen Leonardo da Vincis bis hin zur Genetik zeigen sich Künstler und Wissenschaftler bemüht, den Gesetzmäßigkeiten des Lebens auf die Spur zu kommen.

Triebkräfte der Natur Die Darstellung des Menschen in der bildenden Kunst ist an das Fortschreiten wissenschaftlicher Erkenntnis gebunden. Entsprechend finden bildgebende Verfahren aus den Lebenswissenschaften – etwa das Röntgenbild, das EEGDiagramm, das der us-amerikanische Künstler Robert Morris als Selbstporträt einsetzt, oder der genetische Code – stets auch in der bildenden Kunst ihren Niederschlag, oftmals ironisch hinterfragt. Die schöpferischen Kräfte der Natur, ihre »Triebkräfte«, wurden schon früh in Analogie zu den Hervorbringungen des menschlichen Geistes gesetzt und beschäftigten im 20. Jahrhundert Künstler von Max Ernst bis Joseph Beuys. So nutzte Ernst Zufallsprodukte als Ausgangspunkt bildnerischen Handelns und begründete damit eine Tradition, die den künstlerischen Prozess als ein Experimentalsystem mit unbekanntem Ausgang definiert. Die Vorstellung des Künstlers als alter deus illustrieren beinahe gespenstisch die Werke der sogenannten »transgenen« Kunst oder der »Bioart«, die biologische Forschungen aufgreifen und sogar lebende Organismen schaffen. Daraus entstehen oft absurde Werke, die die »Machbarkeitsdiskussion« in den Wissenschaften kritisch kommentieren.

Mikrokosmos – Makrokosmos Wissenschaftliche Bilder faszinieren vor allem, weil sie Unbekanntes, Unerforschtes und sogar Unvorstellbares sichtbar machen. Mit technischer Hilfe werden die Unendlichkeiten des Mikro- und des Makrokosmos auf ein wahrnehmbares Format gebracht. Doch die vermeintlich objektiven Aufzeichnungen bedürfen meist der gestaltenden Hand, die Aufnahmefehler eliminiert oder das Gesehene interpretiert. Daher bleiben – im Gegensatz zu den Mondzeichnungen Galileo Galileis – die Aufnahmen des Sternenhimmels, die Thomas Ruff großformatig reproduziert, genauso rätselhaft wie das Weltall selbst. Die Unfassbarkeit des Mikrokosmos findet seine visuelle Entsprechung in Bildern, die an Werke gegenstandsloser Kunst erinnern. Damien Hirst überführt Mikrofotografien von Krebszellen in Malerei, die von einem expressiven Gestus geprägt zu sein scheint. Dagegen täuschen die Fotografien von Christine Nguyen die Verwendung wissenschaftlicher Bilder nur vor und lassen den Betrachter im Unklaren darüber, ob er Ansichten des Mikro- oder des Makrokosmos vor sich hat.

Der intellektuelle Blick Die Entdeckung der Zentralperspektive stellte seit der Renaissance eine wichtige Verbindung zwischen Kunst und Wissenschaft her, im 20. Jahrhundert förderte die Auflösung der Perspektivkonstruktionen die Beschäftigung der Künstler mit Mathematik. Punkt, Linie und Fläche sind die Grundlagen der Geometrie wie der Bildkunst, sie befreien insbesondere in der gegenstandslosen Kunst das Bild von seinem narrativen Gehalt. Nicht wenige Künstler, darunter Man Ray und Hiroshi Sugimoto, zeigten sich daher fasziniert von mathematischen Modellen, die abstrakten logischen Zusammenhängen räumliche Gestalt geben. Durch die Beschäftigung mit der Mathematik löst sich die Kunst von ihrem Wirklichkeitsbezug, hier formuliert sich die den Bildern zugewiesene Aufgabe, zu zeigen, was nicht ist, so als ob es sei. Die Abkehr von Figuration und Narration gibt dem menschlichen Geist ein metaphorisches Bild; oder, wie Theo van Doesburg es 1930 formulierte: »Die meisten Maler arbeiten nach der Art der Zuckerbäcker und Putzmacher. Wir arbeiten im Gegensatz dazu mit den Größen der Mathematik [...] und der Wissenschaft, das heißt mit den Mitteln des Denkens.«