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„Wir wollen die Liebe zur Gefahr besingen, die gewohnheitsmäßige Energie und die Tollkühnheit“, so lautet die erste These des radikalen und antibürgerlichen Manifests, das der Bürgersohn Filippo Tommaso Marinetti in der Pariser Tageszeitung Le Figaro 1909 veröffentlichte. Der Martin-Gropius-Bau nimmt das hundertjährige Jubiläum des „Futuristischen Manifests“ zum Anlass, eine große Ausstellung mit dem Titel „Sprachen des Futurismus“ dem “Gesamtkunstwerk Futurismus“ zu widmen. Marinetti propagierte in seinem elf Punkte umfassenden Manifest eine neue, alle Lebensbereiche umfassende Kultur.

Die Beteiligung aller Künste an der Konstruktion einer neuen Ästhetik des Alltäglichen war das Ziel. Fotografie und Film, Mode und Design, Tanz und Literatur, Malerei und Skulptur, Architektur und Musik – es gab keine Kunstrichtung, mit der die Futuristen sich nicht befasst haben. Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts ermöglichte der Futurismus der italienischen Kunst, sich in die bedeutendsten avantgardistischen Strömungen einzureihen, die in Europa – insbesondere in Frankreich und Deutschland – bereits existierten. Mit seinem Interesse an einer Revolutionierung aller Künste war der Futurismus für Italien einerseits eine künstlerische Bewegung, zugleich jedoch auch eine neue Art, das kulturelle Leben eines Landes zu konzipieren, welches sich zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts in einer Situation starker sozialer und wirtschaftlicher RückstaÅNndigkeit und tiefer Gegensätze befand.

Die Ausstellung „Sprachen des Futurismus“ entstand in Zusammenarbeit mit dem Italienischen Kulturinstitut und dem Museo d’Arte Moderna e Contemporanea di Trento e Rovereto (MART), in dessen Sammlung sich über 4000 futuristische Werke befinden, darunter Meisterwerke von Carrà, Severini, Russolo und Balla, und das über ein umfangreiches Archiv von Dokumenten und Büchern der wichtigsten Vertreter der Avantgarde verfügt. Zum Museum und Studienzentrum gehört auch das Casa Museo Depero, erstes futuristisches Museum Italiens, das von Fortunato Depero selbst begründet und in Zusammenarbeit mit der Stadt Rovereto 1959 eröffnet wurde. Die Direktorin des Museums, Gabriela Belli, kuratiert für Berlin die Ausstellung. Die Zusammenarbeit mit dem MART ermöglicht eine Präsentation, welche die künstlerischen Ausdrucksformen des Futurismus in ihrer gesamten Breite – von der Malerei und Architektur bis hin zur Literatur – darstellt.

Die Berliner Ausstellung beginnt mit einem einleitenden Teil, der sich den Umwälzungen in der Malerei zuwendet, die von der historischen Kerngruppe der Futuristen um Boccioni, Balla, Severini, Russolo, Soffici und Carrà vorangetrieben wurden. Der Schwerpunkt der Ausstellung liegt jedoch auf den Innovationen, die nach Boccionis Tod im Jahre 1916 eine neue, außerordentlich kreative Epoche des Futurismus kennzeichneten. Mit dem Manifest „Ricostruzione Futurista dell’Universo“ (Futuristische Rekonstruktion des Universums), das von Balla und Depero im März 1915 veröffentlicht wurde, erfasst die futuristische Ästhetik mit alle Dimensionen der Alltagswelt und greift auf viele Aspekte des Lebens – auch jenseits der bildenden Kunst – über. Vor allem in den Werken der Futuristen der zweiten Generation – wie Balla, Severini, Soffici, Depero, Prampolini, Crali und Thayaht – realisiert sich die Absicht alle Ausdrucksformen der Kunst einzusetzen, vom Design bis zur Werbung, von der Mode bis zur Kochkunst, um auf „futuristische“ Weise Probleme des Alltags zu lösen.

Die Präsentation in Berlin bietet somit die Möglichkeit mehr über jene Aspekte des Futurismus zu erfahren, die weniger bekannt sind als die Werke des Futurismus in der Malerei. Dem Futurismus eine Ausstellung in Berlin zu widmen ist nicht zuletzt deshalb von besonderer Bedeutung, da Berlin für die Futuristen und die Verbreitung ihrer revolutionären Ideen in Deutschland durch das Engagement Herwarth Waldens (1887–1941) eine wichtige Rolle spielte. 1912 wurde das Futuristische Manifest in der von Herwarth Walden und Alfred Döblin gegründeten Zeitschrift Der Sturm publiziert, kurze Zeit später fand in Waldens gleichnamiger Galerie in der Tiergartenstraße 34a die erste Futurismus Ausstellung in Deutschland statt. Die Ausstellung zeigte 35 Bilder der Futuristen Boccioni, Carrà, Russolo und Severini. Man zählte bis zu 1000 Besucher täglich. Walden, Boccioni und Marinetti fuhren mit einem schnittigen offenen Wagen durch die Straßen Berlins und verteilten Flugblätter „Eviva Futurista“. Es war das Kunstereignis des Jahres 1912 in Berlin.

Marinetti, ohne Zweifel der erste große Meister medialer Kommunikationsstrategien, bekämpfte – wie alle dem Futurismus nahestehenden Künstler – die Vergangenheit, die Geschichte und die Erinnerung. Unter den Axthieben seiner Pamphlete und theoretischen Manifeste fielen nach und nach “Kultobjekte” der Vergangenheit. Er verurteilte die Kunst der Renaissance ebenso wie den Tango, die Musik Wagners und Spaghetti, das romantische Venedig und die Liebe zum Mondschein. Der Name der Bewegung – eine Erfindung von Marinetti – war gut geeignet, um einen absoluten Glauben an die neuen Technologien, insbesondere das Automobil und das Flugzeug, auszudrücken. Als Pendler trug Marinetti zwischen Paris und Mailand den Futurismus nach ganz Europa. Dadaismus, Surrealismus, Konstruktivismus und Expressionismus wurden von den Futuristen beeinflusst.

Weitere Auftritte der Futuristen in Herwarth Waldens Zeitschrift und Galerie folgten, wie eine Auswahl von Dokumenten in der Ausstellung im Martin-Gropius-Bau veranschaulicht.

Künstlerliste: (Stand 1.9.2009)

Tullio d'Albisola (Tullio Mazzotti) (1899 - Albissola Mare, Savona - 1971) Giacomo Balla (Turin 1871 - 1958 Rom) Roberto Marcello Baldessari Iras (Innsbruck 1894 - 1965 Rom) Renato Bertelli (1900 - Lastra a Signa, Florenz - 1974) Umberto Boccioni (Reggio Calabria 1882 - 1916 Verona) Paolo Buzzi (1874 - Mailand - 1956) Francesco Cangiullo (Neapel 1884 - 1977 Livorno) Carlo Carrà (Quargneto, Alessandria 1881 - 1966 - Mailand) Mario Castagneri (Alessandria 1892 - 1940 Mailand) Giannina Censi (Mailand 1913 - 1995 Voghera, Pavia) Cesare Cerati (Pavia 1898 - 1969 Ventimiglia) Mario Chiattone (Bergamo 1891 - 1957 Lugano) Tullio Crali (Igalo, Dalmazia 1910 - 2000 Mailand) Gianni Croce (Lodi 1896 - 1981 Piacenza) Fortunato Depero (Fondo, Trento 1892 - 1960 Rovereto) Nicolaj Diulgheroff (Kustendil, Bulgarien 1901 - 1982 Turin) Gerardo Dottori (1884 - Perugia - 1877) Julius Evola (Giulio Cesare Andrea Evola) (1898 - Rom - 1974) Fillia (Luigi Colombo) (Revello, Cuneo 1904 - 1936 Turin) Corrado Govoni (Tàmara, Ferrara 1884 - 1965 Lido dei Pini, Rom) Edmund Kesting (Dresden 1892 - 1970 Birkenwerder) Filippo Tommaso Marinetti (Alexandria/Ägypten 1876 - 1944 Bellagio, Como) Armando Mazza (Palermo 1884 - 1964 Mailand) Alberto Montacchini (1894 - Parma - 1956) Ivos Pacetti (Figlinie di Prato 1901 - 1970 Albissola) Giulio Parisio (1891 - Neapel - 1967) Enrico Prampolini (Modena 1894 - 1956 Rom) Ram (Ruggero Alfredo Michahelles) (1898 - Florenz - 1976) Romolo Romani (Mailand 1884 - 1916 Brescia) Luigi Russolo (Portogruaro, Venezia 1885 - 1947 Cerro di Laveno, Varese) Gino Severini (Cortona 1883 - 1966 Paris) Ardengo Soffici (Rignano sull'Arno 1879 - 1964 Forte dei Marmi, Lucca) Tato (Guglielmo Sansoni) (Bologna 1896 - 1974 Rom) Thayaht (Ernesto Michahelles) (Florenz 1893 - 1959 Pietrasanta) Volt Futurista (Vincenzo Fani Ciotti, Viterbo 1888 - 1927 Bressanone, Bozen)

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Sprachen des Futurismus
Poesie, Literatur, Musik, Skulptur, Theater, Fotografie
Veranstalter: Berliner Festspiele. Eine Ausstellung des Museo d´Arte Moderna e Contemporanea di Trento e Rovereto. In Zusammenarbeit mit dem Italienischen Kulturinstitut Berlin. Gefördert von der Botschaft der Italienischen Republik.
Kuratorin: Gabriela Belli

Künstler: Giacomo Balla, Renato Bertelli, Umberto Boccioni, Paolo Buzzi, Francesco Cangiullo, Carlo Carrà, Mario Castagneri, Giannina Censi, Cesare Cerati, Mario Chiattone, Tullio Crali, Gianni Croce, Fortunato Depero, Nicolaj Diulgheroff, Gerardo Dottori, Julius Evola, Corrado Govoni, Edmund Kesting, Armando Mazza, Alberto Montacchini, Ivos Pacetti, Giulio Parisio, Enrico Prampolini, Romolo Romani, Luigi Russolo, Gino Severini, Ardengo Soffici, Tato  ...