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Gemäldegalerie Berlin

Eine Ausstellung des Städel Museums, Frankfurt am Main, und der Gemäldegalerie der Staatlichen Museen zu Berlin unter der gemeinsamen Schirmherrschaft von seiner Majestät Albert II., König der Belgier, und von Bundespräsident Horst Köhler

Um 1430 vollzieht sich ein entscheidender Umbruch in der europäischen Kunst. Gleichberechtigt mit der italienischen Frührenaissance entwickelt die Malerei in den südlichen Niederlanden völlig neue Darstellungsmöglichkeiten, die alsbald in ganz Europa begeistert aufgenommen werden. Das Individuelle im Porträt wird entdeckt. Der Bildgegenstand wird in einem durchdachten Bildraum präsentiert, und es entstehen atmosphärische, sich weit in die Tiefe erstreckende Landschaften. In besonderer Weise aber begeistert diese Malerei durch die stupende Erfassung von Licht- und Schatten, von Materialbeschaffenheiten und Oberflächenreizen. Den tiefen Glanz edler Gesteine, die Tränen einer trauernden Frau oder den Widerschein des Lichtes auf einer gläsernen Karaffe werden mit einer zuvor nicht gekannten Wirklichkeitsnähe ins Bild gesetzt. Der epochemachende Neuanfang verbindet sich wesentlich mit drei Künstlernamen: Jan van Eyck, dem sog. Meister von Flémalle und Rogier van der Weyden. Der eine, Jan van Eyck, blieb über die Jahrhunderte hinweg unvergessen und hoch verehrt. Viele seiner Werke sind signiert und datiert, so dass sich ein klares Bild dieses Künstlers nachzeichnen lässt. Von den beiden anderen Neueren dagegen hat sich kein einziges signiertes Werk erhalten. Ihr jeweiliges Oeuvre wurde allein auf der Grundlage stilistischer Vergleiche und einiger weniger historischer Nachrichten zusammengestellt; es ist das Ergebnis langwieriger, zuweilen durchaus kontrovers diskutierter Forschungen. In Kooperation mit dem Frankfurter Städel Museum bringt die Berliner Gemäldegalerie nun erstmals einen Großteil der erhaltenen Tafeln des Meisters von Flémalle und Rogier van der Weydens zusammen. Insgesamt werden so viele Werke der Gruppen Flémalle und Rogier van der Weyden präsentiert wie nie zuvor. Es bietet sich daher die einmalige Gelegenheit, einige der bedeutendsten Gemälde vom Beginn der neuzeitlichen Kunst in unmittelbarer Gegenüberstellung zu studieren und eines der Kernthemen kunsthistorischer Forschung neu zu diskutieren. Die Definition des so genannten Meisters von Flémalle als einer eigenständigen Künstlerpersönlichkeit erfolgte erst um 1900. Drei große, heute im Städel Museum in Frankfurt befindliche Tafeln bildeten dabei den Ausgangspunkt. Sie stellen die stillende Madonna, die heilige Veronika und, als fingierte Steinskulptur, Gottvater mit dem toten Christus dar. Angeblich stammten alle drei Werke aus einer Abtei Flémalle bei Lüttich. Der anonyme Künstler erhielt daher den Notnamen „Meister von Flémalle“. Eine Abtei Flémalle hat es in Wahrheit jedoch nie gegeben. Um diese Tafeln wurden im Laufe der Zeit ungefähr 20 weitere Arbeiten gruppiert, so dass ein scheinbar in sich geschlossenes Oeuvre entstand. Dabei war die Gestalt des anonymen Meisters von Beginn an in nächster Nähe zu Rogier van der Weyden entworfen worden. Durch Ausgrenzung einzelner Gemälde aus seinem Schaffen konstituierte sich das Oeuvre des Anonymus. Bald schon wurde dann der folgenreiche Vorschlag gemacht, den Flémaller Meister mit einem historisch dokumentierten Künstler gleichzusetzen: Zwischen 1427 und 1432 war Rogier im Atelier des Tournaiser Malers Robert Campin (um 1375-1445) tätig gewesen. Und da überdies vier Gemälde, die ein Schüler Campins, Jacques Daret, geschaffen hatte, unzweifelhaft Gemeinsamkeiten mit einzelnen Werken des Meisters von Flémalle aufwiesen, glaubte man dessen Namen endlich gefunden zu haben: Der Flémaller, so schien es, könne niemand anderes als Robert Campin sein. So überzeugend diese Hypothese zunächst erscheinen mag, gerät sie bei genauerer Prüfung doch ins Wanken. Ganz offensichtlich haben wir es bei der Gemälden des Meisters von Flémalle nämlich mit dem Werk verschiedener Maler zu tun, die vermutlich als vergleichsweise eigenständige Mitarbeiter in einem großen Atelier tätig waren. Die Bezeichnung „Meister von Flémalle“ ist daher weniger ein Platzhalter für den Namen einer historischen Person als vielmehr eine Sammelbezeichnung für Werke, die in einem mehr oder weniger engen Kontext von verschiedenen Malern geschaffen wurden. Von wem dabei die bedeutenden Innovationen, die die flémallesken Werke kennzeichnen, ausgegangen sind, diese Frage gilt es angesichts der neuen Forschungssituation noch einmal zu stellen. Dass dies jener Robert Campin gewesen sein sollte, der bereits um 1400 und damit lange vor der Zeit des künstlerischen Umbruchs tätig gewesen ist, ist fraglich, zumal dem Maler nicht der geringste Nachruhm beschert war. Die Ausstellung stellt daher die dringliche Frage, welche Rolle Rogier van der Weyden bei der Entstehung jener flémallesken Gemälde gespielt haben könnte, die seinen späteren, mehr oder weniger gesicherten Arbeiten so ähnlich sehen. Rogier arbeitete als etwa dreißigjähriger, sicher längst ausgebildeter Künstler in Campins Werkstatt und könnte daher einen großen gestaltenden Anteil an deren Produktion gehabt haben. Der seit spätestens 1435 in Brüssel ansässige Rogier van der Weyden kann, neben seinem Genter Kollegen Jan van Eyck, den Rang des berühmtesten nordalpinen Malers seiner Zeit beanspruchen. Schon um 1450 international bekannt, geriet der Brüsseler Stadtmaler bis in die Neuzeit niemals in Vergessenheit. Dennoch gilt auch mit Blick auf Rogier van der Weyden: kein einziges erhaltenes Werk ist signiert, nur zwei sind mit einer gewissen Zuverlässigkeit dokumentiert, so dass die Abgrenzung auch seines Oeuvres zahlreiche Probleme bereitet. Gestützt auf neuerliche Untersuchungen der Einzelwerke sowie auf die wenigen verfügbaren Quellen, nimmt der die Ausstellung begleitende Katalog eine Revision der verschiedenen bisherigen Annahmen vor. Ein Vergleich der einzelnen Werke, schon viel und kontrovers, doch überwiegend anhand von Abbildungen geführt, ist in der Ausstellung nun mit den Originalen möglich. Zudem können die Teile einiger längst zerlegter Ensembles für kurze Zeit wieder zusammengeführt werden, beispielsweise die vier erhaltenen, aber auf drei Sammlungen verteilten Flügelgemälde, die Campins Schüler Jacques Daret 1435 für Arras vollendete. Einige Werke, etwa das prächtige Abegg-Triptychon aus Rogiers Atelier, werden überhaupt erstmals im Kontext anderer altniederländischer Gemälde gezeigt. Darüber hinaus aber bietet die Ausstellung vor allem das Erlebnis und den Genuss jener Hauptwerke europäischer Kunst, die wegen ihrer Bilderfindungen und ihrer feinmalerischen Raffinesse von ihrer Entstehungszeit bis heute hochgeschätzt werden und zu den seltensten und wertvollsten Schätzen aller Sammlungen zählen, die sich ihres Besitzes rühmen können.

Zur Ausstellung erscheint ein Katalog im Hatje Cantz Verlag.

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Der Meister von Flémalle und Rogier van der Weyden
Die Geburt der neuzeitlichen Malerei

Kurator: Jochen Sander

Künstler: Robert Campin (sog. Meister von Flémalle), Rogier van der Weyden

Stationen:
21.11.08 - 22.02.09 Das Städel
20.03.09 - 21.06.09 Gemäldegalerie Berlin