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Dellbrügge & de Moll - Trotzmodell Wo sind wir? Das ist nicht die Basler Kunsthalle und ganz bestimmt nicht das Museum für Gegenwartskunst. Wir reiben uns die Augen. Kein Zweifel: Wir befinden uns in einer etwas verbauten Industriearchitektur. Offensichtlich umgenutzt für Kunst. Eine Institution mit knappen Mitteln mitten in der Pampa. Oder, genauer gesagt: an der Peripherie. Willkommen im Kunsthaus Baselland. Als Standortbestimmung halten wir fest: Wir arbeiten an der Peripehrie. Geographisch gesehen ebenso wie gesellschaftspolitisch. Wir wollen mittenrein ins Geschehen, ins Zentrum der Aufmerksamkeit und Attraktionen. Aber wie? (Trampeln, mit den Fäusten trommeln, dem Kopf hämmern und schreien bis zum Atemstillstand.) Vielleicht tröstet die Peripherie-Mütze den Trotzkopf, den gekränkten Narzissmus. Trotz entsteht aus der Kompetenz, sich sein Handlungsziel vorzustellen und sich selbst als dessen Ursprung zu sehen. Man identifiziert sich und ist stark engagiert. Wird man in der Durchführung der Handlung behindert und steht kein alternativer Plan zur Verfügung, kommt es zu einem Systemzusammenbruch. Trotz, Negativismus oder massive Bockigkeit gilt gemeinhin als Zeichen für Unreife. Mit zunehmender Sprach- und Handlungskompetenz, d.h. einerseits mit erweiterten Zugriffsmöglichkeiten auf die Umwelt, andererseits mit Anpassung an Gegeben-heiten, mildert sich dieses Verhalten. Der Künstlerberuf oszilliert zwischen Anpassung und Renitenz. Dabei passt sich der Aufmüpfige ungewollt stets auch der Erwartung an, dass der Künstler widerständig zu sein habe. Den Künstlerberuf auszuüben bedeutet, eine Rolle zu spielen. Der Begriff „Trotzmodell“ steht für die Distanz, das Stellvertretertum und das Exemplarische der Künstlerrolle als Modell. Kein Wunder, dass es Tränen gibt, wenn klar wird, dass alles nicht so gemeint war, und dass die Kunst eigentlich nur heilen und ästhetisch überhöhen soll, statt etwas real zu verändern. „Trotzmodell“ erklärt das bockige Beharren auf eigenen Handlungszielen zur Qualität. Mit den T-Shirts „Trotzmodell TM“ kann jeder Besucher sich selbst als Trotzmodell labeln. Und den Trotz hineintragen, von der Peripherie mitten ins Zentrum. Um den vielschichtigen Code der Künstlerrolle transparent zu machen, haben Dellbrügge & de Moll als Kommunikationsinstrument einen Dresscode entworfen: Farbcodierte Kleidung für Künstler, an der die ökonomische und ideologische Verortung ihrer Träger direkt ablesbar ist. Zwei Prototypen wurden für die Ausstellung im Kunsthaus Baselland produziert. In der Ausstellung zitieren Dellbrügge & de Moll ihr Aquarell „Elfenbeinturm“ von 1991: „Als Leitfiguren haben wir ausgespielt.“ -- „Genau. Wir ziehen uns zurück und widmen uns der Landschaftsmalerei.“ Eine Trotzreaktion auf die der Kunst bescheinigten gesellschaftlichen Irrelevanz. An der Peripherie lernt man rasch, dass eine Institution nicht nur aus ihrer Architektur, der Verwaltung und der losen Kette ihrer Wechselausstellungen besteht, sondern in hohem Masse auch aus ihrem Publikum. Macht es sich den Ort zu eigen, spielt es nur eine untergeordnete Rolle, wo er ist und was dort stattfindet. Das Wesentliche ist, das die Zuschauer zu Beteiligten werden. Mit der Fotoreihe „Kunst-Werke ‘93“ holen Dellbrügge & de Moll den gleichnamigen Berliner Ausstellungsort, der die Transformation einer heterogen bespielten Plattform zu einer etablierten und hermetischen Institution durchlaufen hat, nach Muttenz.Wenn man nicht im Zentrum sitzt, muss man den Leuten einen Grund geben, sich an die Peripherie zu bewegen. Nehmen wir die Rituale kultureller Verköstigung. Ganz unter uns: Wir lieben die Tischleindeckdichs glamouröser Eröffnungen; wir wünschen uns volle Büffets, die alle Traumata des Zuspätkommens, Zukurzkommens oder Nichtreinkommens heilen. Aber es hilft nichts. Nicht nur der Künstler als Leitfigur hat ausgespielt, auch der Künstler als Dienstleister ist abserviert. Überfluss entsteht erst, wenn jeder etwas mitbringt und grosszügig zum „Buffet canadien“ beiträgt. „Potluck“ nennen das die Amerikaner, nicht zu verwechseln mit Potlatch, dem Ritual der Maori, das Marcel Mauss als einen exzessiv betriebenen Austausch von Gaben beschrieb. Dabei geht es nicht um eine wirtschaftliche Zirkulation von Werten, sondern um die Stiftung sozialer Verbindungen, die wir für dieses inszenierte Büffet in Anspruch nehmen wollen. Drum: „Bringt was mit fürs Büffet! Pressetext

Elodie Pong
WHERE IS THE POISON Die Künstlerin Elodie Pong, Gewinnerin des SWISS AWARD 2003 beim Internationalen Film- und Videofestival VIPER, zeigt im Kunsthaus Baselland ihre erste Einzelausstellung in der deutschsprachigen Schweiz. Zu sehen sind nebst Werken der letzten drei Jahre vor allem neue, bisher nicht gezeigte Videos, Installationen und eine Skulptur.

Unter dem Titel „Where is the Poison“ lotet Pong die potentiell „giftige”, ironische, vielleicht auch subversive Kraft von Kunst aus. In einem überdimensionierten, am Boden liegenden Hundehalsband mit stachelförmigen Nieten und einer Kette als Leine lässt sie beispielsweise die Stimmungseindrücke zwischen Gewalt und Bändigung, zwischen Verweigerung, Entschlüpfen und Losgelassen-Sein oszillieren. Jenen metaphorischen Moment wiedergefundener Freiheit nimmt Pong auf und für die Kunst per se in Anspruch. Zu ihren wichtigsten Themen zählen das inhaltliche Ausleuchten des Begriffs von Intimität, die Verwendung des Körpers als Ausdrucksmittel, die visuelle Inszenierung um den Körper zur Identitätsfindung und das Festhalten von subtilen zwischenmenschlichen Gefühlen. In dem über den Zeitraum von drei Jahren erarbeiteten und über verschiedene mediale Ebenen geführten Projekt „ADN/ARN Any Deal Now/Any Reality Now“, sammelte Pong weit über 300 Geheimnisse, die sie gegen ein individuell ausgehandeltes Entgelt den jeweiligen Eigentümern abkaufte. In einer speziell produzierten, künstlichen Architektur entschieden über 600 Besucher des Systems „ADN/ARN“ in Lausanne und Paris über den Einsatz von Masken, Perücken, einer Stimmverzerrungsmöglichkeit und der Verwendung eines vorgefertigten Hintergrundmotivs, um die Aufzeichnung der Geheimnisse nach individu-ellen Wünschen zu anonymisieren. Im gesamten Verhandlungs- und Aufnahmeprozess blieb die Künstlerin auf Distanz zum Spektakulären. Der daraus resultierende Film „Secrets for Sale“, der sowohl die Spielregeln als auch die zahlreichen, ausgewählte Umsetzungen wiedergibt, behält seine unprätentiöse, visuelle Sprache bei und rührt bei jedem Betrachter an Empfindungen eines „Zuviel“, „Noch nicht genug“ oder einem Verlangen nach „Mehr“. Wir sehen uns mit der eigenen Lust auf Spektakel und auf voyeuristisches Wahrnehmen konfrontiert und müssen selbst über den Umgang des Empfundenen entscheiden. Mit „Secrets for Sale“ legt die Künstlerin den Finger auf jenes zeitgenössische gesellschaftliche Phämomen, das Menschen in zahlreichen Live-TV-Shows dazu bringt, Privatangelegenheiten und Intimes vor einer anonymen Öffentlichkeit auszubreiten. „Secrets for Sale“ gibt ein verstörendes Röntgenbild einer Gesellschaft wieder, in der alles (ver-)käuflich geworden ist.

Während in „Secrets for Sale“die Künstlerin mit unbekannten Menschen arbeitet, sind in einer ihrer neuesten Werke Freunde die Hauptakteure. Für das Video „A certain general“ bringt Pong bei ihrem Besuch einen roten Teppich mit – das visuelle Symbol zur Unterstreichung der Wichtigkeit einer Person – und lässt die Menschen nach Lust und Laune agieren. Nicht die Darstellung, der Akt einer Handlung steht im Vordergrund, sondern das, was bereits vorhanden ist. Auch im Video „Smoke Rings“ gibt die Künstlerin den Schauspielern kein Drehbuch vor, sondern will die Gefühlslage des Dazwischen, des Undefinierten festhalten. Ein Mann und eine Frau, beide auf einer Couch sitzend: er raucht, während sie manchmal versucht, die Rauchringe mit der Zunge „aufzuspiessen“. Erotik, Melancholie, Einsamkeit, Verspieltheit ... – alle diese Stimmungsen sind auszumachen, obwohl keine davon eindeutig wird. Pongs Filmvorstellung erklärt das Videoresultat am besten: „They had to be there. Nothing else. Just that. A stolen glimpse. Like a paradox – that lasted as long as his smoke”.

Charakteristisch für Pongs Arbeitsweise ist auch das Aufgreifen bereits verwendeter “Materialien”, Motive und Inhalte: Die aufgezeichneten Videoszenen innerhalb des „ADN/ARN-Systems“ finden Eingang im Film „Secrets for Sale“; das 1998 gedrehte Video „Pretty.Pretty“, welches junge Mädchen zeigt im Zustand von Unschuld und gleichsam ihrer verführerischen Lolita-Qualität bewusst, wird Jahre später zum Ausgangspunkt der Videoarbeit „Five years later“. In einer Art dokumentarischen Schilderung sind zwei der damaligen Hauptakteurinnen zu Erwachsenen geworden. Aufnahmen von Performances, die an vereinzelten Events stattfanden, stellenweise ergänzt mit weiterem Filmmaterial, greift Pong wiederum in den Videos „These Boots ...“ und in „5 a.m.“ auf. Im Prozess von Wiederbelebung und neuerlicher Betrachtung entwickelt sich das Werk Pongs ständig – und teilweise aus sich selbst heraus – weiter. Ihre Videos schildern Momente, in denen Beiläufiges besonders und Besonderes beiläufig erscheint. Die Künstlerin spielt die zeitgenössische Gefülsklaviatur rauf und runter und entdeckt unter so mancher harmlos scheinenden Oberfläche die Tiefe einer leisen, oftmals von aussen übertönten Welt. Text von Sabine Schaschl-Cooper

Anita Kuratle
SICHTEN Die Künstlerin Anita Kuratle, u.a. Dozentin an der Hochschule für Gestaltung in Basel, präsentiert im Kunsthaus Baselland ihre erste Einzelausstellung. Gezeigt werden stilisierte Darstellungen von alltäglichen Objekten, die Kuratle aus Holz, Gips und Metall produziert. Die neuen, speziell für die Ausstellung konzipierten Werke versetzen den Betrachter in eine Alice in Wonderland-Situation: Perspektiven verkehren sich, die Wahrnehmung von oben und unten wird irritiert, verschiedene aus dem Alltag bekannte Objekte, die in ihrer Zusammenstellung eine ungewöhnliche Ortssituation kreieren, lassen den Rezipienten unweigerlich mit der Frage „Wo befinde ich mich eigentlich?“ kollidieren. Ein Baukran, der den Ausstellungsraum vom Fussboden bis zur Decke füllt und den Eindruck erweckt, als würde man ganz klein davorstehen und zu ihm hochsehen, zieht den Boden unter den Füssen der Betrachter förmlich nach unten. Zwei mit einer Kette verbundene Metallpfosten in unmittelbarer Nähe zum Kran hingegen bringen den Boden wieder auf die gewohnte Sichtebene zurück. Zwei Fahrräder, die je nach Standpunkt des Betrachters wie Zeichnungen, dann wieder wie dreidimensionale Objekte aussehen, bringen die Horizont-Wahrnehmung ins Wanken: Eines der Fahrräder scheint näher zum Rezipienten zu stehen als das andere und das, obwohl sie sich beim genaueren Hinsehen leicht überlappen. Die perspektivische Irritation setzt sich in einer Häusergruppe fort. Verschiedene Fassaden, aufgenommen aus der Untersicht, ragen aus dem Boden des Ausstellungsraumes und verzerren neuerlich die Raumwahrnehmung.

Die einzelnen urbanen Elemente - die Häusergruppe, der Baukran, die Pfosten, ein Hochkamin und die Fahrräder – stehen zueinander in einem Gefüge, bei dem sich die gewohnten Winkel, Geraden, Horizonte ebenso wie die Empfindungen von links, rechts, oben und unten auflösen. Indem die Künstlerin die Massstäblichkeit des Gewohnten verschiebt und die Perspektiven verfremdet, schafft sie Irritationen, die uns das Sehen neu lehren. Im Zeitalter der Bilderflut, wo das Abgebildete ebenso schnell entsteht wie es wieder verschwindet, wirken die alltäglichen, von Kuratle verwendeten Bildmotive wie eine Art „ralentisseurs“ (Verlangsamungsobjekte). Ihr a priori bekanntes Aussehen schafft schnell eine Verständnisbrücke, die aufgrund der perspektivischen Verzerrung der Objekte erneut überquert werden muss. Kuratle fordert mit ihren Werken ein genaues, hinterfragendes Betrachten. Ihr Interesse gilt einer Wahrnehmung, die über „das rein visuelle Erlebnis hinausgeht und zu einer neuartigen körperhaft-emotionalen Reaktion führen kann“ (Kuratle). Text von Sabine Schaschl-Cooper