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ABSURDISTAN Für Cosima von Bonin bedeutet das Wort “Absurdistan” einen Terminus der Anerkennung. Es kann zudem als Kürzel für das Übermaß an ländlichen Tönen und Bildern innerhalb ihrer Arbeit gelesen werden. Diese Eigenschaft verbindet die auf einem Zaun sitzenden Cowboys in The Cousins, den Umriß einer Mühle in der Serie Blazon of a Hashcountry, eine Fotoedition anläßlich eines Gartenprojektes in Weimar, die Verwendung des Quilt-Musters “Drunkards’ Path” in der gleichnamigen Arbeit und schließlich die Ranchzäune aus Laura Ashley-Stoffen, um nur einige Beispiele aus ihrem jüngeren Werk zu nennen. Mit “Absurdistan” oder jedem vergleichbaren Begriff der Verehrung wird einer fremden Flexion und Innovation die Ehre erwiesen. So liegt in CvBs Werk der Erfolg einer bestimmten einzelnen Arbeit häufig in der eigenartigen Schärfe begründet, mit der eine in ihrer Ländlichkeit einnehmende Redewendung oder bildliche Vorstellung vorgetragen wird. Dabei ist der Gegenstand niemals die dem Referenten gerecht werdende Darstellung. Entscheidender sind vielmehr die Wahl des Materials, der Phrase sowie der Kontext der Darstellung. Der Vorwurf “Kitsch-Exotismus” wird aufgrund der Eigenartigkeit und Komplexität der Bezüge zu bäuerlichen Vorlagen entkräftet. Bei den oben genannten Arbeiten kreist die Frage nach einer erfolgreichen “Bewältigung der Aufgabe” in erster Linie um die Begriffe Neuvorstellung und Neuerfindung.

BAUERNSCHLÄUE Diedrich Diedrichsen nennt als seine persönliche Lieblingsarbeit eine Edition, die CvB für Texte der Kunst anfertige und die mit einer Phantasieversion eines ostfriesischen Dialektes spielt. Ich bin hierbei auf Diederichsens Analyse des imaginären Plattdeutschen angewiesen, kann jedoch selber CvBs Neigung bestätigen, sich ländliches Ephemärwissen anzueignen: Welcher Unterschied besteht zwischen New Hampshire und Vermont? Was würde ein Texaner an einer Verkehrsampel zu einem Mann aus Iowa sagen? (Wo befindet sich die hypothetische Ampel?) Wie würde man einen bestimmten Sachverhalt in verschiedenen Teilen von Tennessee formulieren? Ländliche Folk Stories zeugen häufig von außerordenltichem Humor, der sich für den verstädterten Eindringling aus den schonungslos treffenden Formulierungen ergibt. CvB pflegt eine Vorliebe für Geschichten von Künstlern, die sprichwörtlich aus ihren Dörfern und Kleinstädten hinausgetrieben wurden.Wie würde man in Kentucky diesen oder jenen Sachverhalt höflich ausdrücken? Südstaaten-Sitten bestimmen die glücklichen Jagdgründe der zutiefst barocken, widersprüchlichen Sprachkonventionen, die wiederum in CvB auf einen empfänglichen Geist treffen. Wie würde man das besonders höflich, besonders treffend in Süd-Indiana formulieren? Wie würden die Person aus Kentucky und die Person aus Süd-Indiana einander an der Verkehrsampel begegnen? Wenn CvB im hitmäßigen “Exigencies” von Pryde singt. “I should be smoothed out” (Man möge mich glätten/ bügeln), spricht sie als Bauchredner für einen ihrer Stoffpilze, der im Video eine Hauptrolle spielt. Die höflichen Installationsanweisungen zu jenen hängenden Wesen sind Teil einer Etikette, bei der aufgrund des Sprechcharakters die prompte Ausführung der jeweiligen Befehle vorausgesetzt wird. “I should be attached with unseen supports” (Man möge mich mittels unsichtbarer Halterungen anbringen), singt Justus Köhncke, ebenfalls in der ersten Person, für einen Pilz. Warum sollte die höfliche Südstaaten-Redeweise, in der eine Sache gesagt und eine Vielheit gemeint wird, keine Resonanz in der Dancefloor-Etikette auslösen? Wie allerdings funktionert das in Saskatchewan?

BAUERNSCHLÄUE II “Absurdistan” unterstreicht das verwandtschaftliche Verhältnis von CvBs Arbeiten zu Marcel Broodthaers’ vorzüglichen, häufig sehr komischen Fotos von Zuid Limburg. Die Fotoserie, die vor Broodthaers’ Entscheidung für die bildende Kunst entstand, behandelt die Themen Dorfplätze, Paraden, anachronistische Bauern, Bogenschießen und Hochzeiten. Die Fotos stellen ein interessantes Indiz dar im Hinblick auf das später vom Künstler Broodthaers betriebene Wiederkäuen der eigenen vor-künstlerischen, heroischen Phase, auf die er sich erklärtermaßen aus inhaltlichen und lebensunterhaltlichen Gründen zurückbezog. In einer von Broodthaers’ exemplarischen Fotoserien wird der Zeitraum von den mehrere Generationen vereinenden Vorbereitungen bis zum Ende einer Hochzeit festgehalten, einschließlich der schwer zu deutenden Mischung aus Erleichterung, Schwindel, Zweifel und eventuell Verwirrrung oder Verlegenheit, die sich im Gesicht der Braut spiegelt. Bühnenartig erhöht, erscheint sie Welten von Zuid Limburg entfernt, während ihr frischgebackener Gatte die Trompete spielt. Läßt man die auf den Namen von Freunden getauften Zäune aus Laura-Ashley-Stoff außer acht, so geht es in den Arbeiten CvBs selten um das Thema Porträt. Eine Parallele zuMarcel Broodthaers’ Fotos von Zuid Limburg findet sich hingegen im schätzenden Blick auf und in der nachträglichen Rekonstruktion von verschiedenen Absurdistans, die detailgetreu dargestellt werden. Beide Künstler besitzen eine trockene, wissende Empfänglichkeit für lokale Sitten, Nachrichten und unerklärliche Grenzfälle. Daraus resultiert eine Kunst auf der Grundlage der Beobachtung unvorhersehbarer Emphase, eine Kunst, in der die Originalität (hier ohne die obligatorischen Anführungszeichen) menschlichen Verhaltens erhofftermaßen auf gleichzeitige Größe trifft. In den Arbeiten von CvB findet sich allerdings nicht das ausdrückliche Vorher/ Nachher wie im Werk Broodthaers’. Die von Broodthaers vorgenommene Selbstverortung als Künstler verleiht seinen früheren Aktivitäten die retrospektive Form des Heroischen. Man sollte annehmen, daß für CvB weiterhin heroische Nachmittage und zuweilen auch Wochen anbrechen werden. Durch das Fehlen eines Broothaersschen Ventils und Anknüpfungspunktes wuchern die Vorhers und Nachhers - wie fast überall. Hier wäre streggenommen Widerspruch angebracht. Die jüngsten Ereignisse, welche das zehnjährige Ausstellungsjubiläum CvBs als Künstlerin markierten, wecken Erinnerungen an die fundamentale Extravaganz ihres künstlerischen Debüts (in der Zeit, als sie das “von” noch aus ihrem Namen verbannt hatte), das in seinem Angelegtsein als “Opus I” erneut auf Marcel Broodthaers verweist. Allerdings auf den Broodthaers, nachdem er den trompete-spielenden Bräutigam fotografiert hatte.

LP Gibt es schlechte Plattencover? Ein Landsmann von CvB aus Köln äußerte einmal die Ansicht, es gäbe keine. Dies wurde eher unqualifiziert dahingesagt, nicht etwas im Rahmen einer Argumentation wie: Es gibt keine schlechten Plattencover, sondern nur schlechte Entsprechungen zwischen Platte und Cover etc. Nichts dergleichen. Nimm es, wie es ist. Der Künstler, der die Existenz schlechter Plattencover anzweifelte, muß erst noch aufgrund der Gestaltung seiner LPs widerlegt werden, obgleich ihm attestiert wurde, seine eigene Theorie auf eine harte Probe zu stellen. Würde CvB die Existenz schlechter Coverillustrationen bestreiten? Die Vorstellung fällt mir schwer. In der Serie Blazon of a Hashcountry wird auf eine Zeichnung zurückgegriffen, die Gene Booth für das Cover Will Oldhams LP Arise Therefore angefertigt hatte. Zu jenem Zeitpunkt war Gene Booth der Herausgeber von Drag City, dem Plattenlabel, auf dem Arise Therefore erschien. Vermutlich spornte Gene die Aufgabe, für eine LP, deren Cover er selbst gestaltet hatte, Promotion zu machen, besonders dazu an, diese Platte einer breiteren Öffentlichkeit bekannt zu machen. Eine Aufgabe übrigens, die er meisterhaft beherrschte. Ich erinnere mich an den Stolz auf und die Sorge um seine Berufung als Cover-Illustrator, denn wohl aufgrund seiner zahlreichen anderen Beschäftigungen betrachtete Gene sich selber eigentlich nicht als bildender Künstler. Dies war nun allerdings sein erster Versuch. Ich entsann mich entfernt einer von Billy Joel gestreuten Anekdote, die sich um sein Album River of Life dreht. Kurz vor Fertigstellung der Platte zog sich Christie Brinkley, ein Ex-Model und damals Joels Ehefrau, unter mysteriösen Umständen auf den Dachboden des gemeinsamen Hauses zurück. Nach einer Woche kehrte sie mit ihrem ersten Gemälde zurück, einer symbolträchtigen visuellen Analogie zum neuen Album ihres Mannes. Das Cover war fertig, und Christie Brinkley war aus ihrer heroischen Vorselbstpositionierungsphase herausgetreten. Kurze Zeit später trennte sich das Paar. Das Cover von Arise Therefore ist nicht sonderlich symbolträchtig, einmal abgesehen vielleicht von seinem unfertigen Charakter. Die schemenhafte Struktur der Illustration (ist das da ein Haus? eine Mühle?) wurde von CvBs Blazon-Arbeiten treffend in gestickte Konturen übersetzt. Als sie die Installation einiger dieser Arbeiten im Kunstverein Braunschweig vorbereitete, erschrak CvB: die Braunschweiger Künstlerin Kaline Lindena, so stellte sie fest, hatte in ihrer Arbeit ebenfalls Elemente der Arise Therefore-Illustration aufgegriffen. Es schien, als sei dadurch, daß Will Oldham die LP nicht sofort als die seine deklariert hatte, eine Leere von Nicht-Zuschreibung enstanden, die nun eilig von anderen gefüllt wurde. Oder es war bloß ein Zufall.LP II Bei The Cousins findet eine formale Kombination aus Arise Therefore und Blazon statt. Dabei entsteht ein neues Bild, nämlich die Silhouette dreier Cowboys auf bzw. vor einem Zaun. Obwohl sie durch die Art der Gestaltung wie kleine Cowboys wirken, handelt es sich doch um richtige Cowboys, wie man bei einem Blick auf das spiegelverkehrte Bild auf der Rückseite der Arbeit festellen wird. Durch die baumelnden Fäden allerdings erhalten die Figuren ihre eigentümliche Fragilität. Der Zaun ähnelt den Laura-Ashley-Arbeiten, während die Arbeit als Ganzes auf Blinky Palermo einerseits und die Stickereien auf Jeans-Gesäßtaschen andererseits verweist. Die Transformation von Arise Therefore wird in dem von CvB gestalteten Cover für meine LP The Spectrum Between fortgeführt, bei der es sich um eine Adaption von The Cousins handelt. Drag City liefert damit erneut das Bild Absurdistans (Wyomings?), gezeichnnet in schemenhafter Unfertigkeit. Auf dem Innencover sieht man das Foto des urbanisierten Künstlers beim vergeblichen Versuch, Absurdistan (Saskatoon) von einer Telefonzelle aus zu entkommen. Die Schwarzweißzeichnung von Arise Therefore führt zu dem nur blinzelnd erkennbaren weißen Faden auf bräunlichem Stoff von The Spectrum Between. So bildet das Cover eine Entsprechung zum Thema der Platte, der Organisation von Welten vermittels fester Werte (beispielsweise bräunlichem Stoff und weißem Garn). Leider wurde die LP nicht von Gene Booth veröffentlicht.

ABSURDISTAN II Muß eine Hommage an Absurdistan als konterkosmopolitisch gelesen werden? Ich kann diese Frage nicht beantworten, ohne mich dabei an eine träge CvB in einer italienischen Kleinstadt zu erinnern, wie sie, einen Schrei ausstoßend, zum Leben erwachte, als die Nadel des Plattenspielers auf der A-Musik-LP “Viva Cologne!” aufsetzte. Nimm es, wie es ist. Ebenso wie Broodthaers’ Zuid Limburg-Fotos haben auch CvBs Würdigungen von Details innerhalb subtiler Sitten nichts mit Vermittlung zu tun. Eigenartig, diese Outsider-Künstlerin aus Köln. Die in CvBs Praxis bestimmende Empfänglichkeit für fremde Sitten nimmt die Rezeption der eigenen Arbeit vorweg - irgendwo auf der jeweils anderen Seite, die durch die Arbeit bestimmt wird, dort wo die Fäden baumeln. Pressetext