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Die Ausstellung „Contenance. Fassung Bewahren“ zeigt Fotografien und Videoinstallationen, die um die Verfassung des modernen Subjektes kreisen: um seine Verhaltensregeln, sein Begehren, seine Ängste, Konflikte und Verdrängungsleistungen. Es geht um das Modell eines bürgerlichen Selbst, dass sich im Wesentlichen über Oppositionen formiert: Zivilisation versus Wildnis, Ordnung versus Chaos, Ratio versus Emotion. Ein Modell, dem die Kontrolle über Leidenschaften gleichermaßen innewohnt wie der Ausbruch aus den Konventionen und die Regulierung der Verhältnisse, sobald sie aus den Fugen geraten sind.

Die KünstlerInnen der Ausstellung greifen die Widersprüche innerhalb dieser gesellschaftlichen Regularien auf. Sie untersuchen die Rituale und Beziehungsmuster, wie sie die Familie und andere soziale Gefüge ausprägen. Sie gehen den Effekten der Domestizierung und Disziplinierung von Natur, Mensch und Tier nach: und dies immer an den Schwellen zwischen „Fassung bewahren“ und „Fassung verlieren“.

Selbstbeherrschung und Kontrollverlust werden von den KünstlerInnen dabei gleichermaßen überzeichnet. Sie übertragen das Wirkliche auf das Feld des Theatralischen, Künstlichen und Konstruierten, um darin die psychischen Tiefenräume des Selbst in seinen Beziehungen zum Anderen auszuloten. Ironie und Schrecken, das Unheimliche und Vertraute, Bewusstsein und Unbewusstes durchziehen die Erzählungen der KünstlerInnen. Es ist das Widerständige, Tragische und Komische innerhalb der gesellschaftlichen Ordnung, das darüber freigesetzt wird.

Werke

Die Videoinstallation „House with Pool“ von Teresa Hubbard und Alexander Birchler kreist um das Verhältnis zwischen zwei Frauen – Mutter und Tochter? –, das zu eskalieren droht. Doch das angedeutete Drama führt immer nur in die Endlosschleife einer verpassten, aufgeschobenen Konfrontation: zwischen dem Bewussten und Unbewussten, Inneren und Äußeren, Vergangenen und Gegenwärtigen. Der Film wird von einem steten Wechsel unterschwelliger Emotionen getragen, die gerade in der Zurückhaltung die Situation dominieren.

Während „House with Pool“ das Unbewusste ganz ohne Worte zur Sprache bringt, ist es in Shahryar Nashats Videoinstallation „All The Way Back, The Reconstruction“ die Sprache selbst, in der sich Bewusstsein und Unbewusstes, Realität und Imagination durchdringen. Ein Mann flüchtet aus einem Raum und lässt einen Mann zurück, der auf einem Bett liegt. Entlang dieser „Fakten“ entfaltet sich eine potentielle Horrorgeschichte, die in ihrem traumatischen Fortkommen beständig auf der Stelle tritt und deren Bilder primär in der Imagination des Betrachters entstehen.

Auch die Geschichte, die in der Videoinstallation „Acting Facts“ von Frédéric Moser und Philippe Schwinger erzählt wird, ereignet sich im Wesentlichen in der Vorstellungskraft des Betrachters. In Form einer Solo-Performance reinszeniert der Protagonist das Massaker, das US-Soldaten während des Vietnamkrieges in My Lai an Hunderten vietnamesischen ZivilistInnen verübt haben. Emotionalität und Fassungslosigkeit finden hier erst in der theatralischen Überzeichnung ihre Sprache.

Zwischen Dokumentation und Inszenierung kreisen die beiden Videoarbeiten von Daniel Herskowitz. In „Conference on Human Ethology” beobachtet die Kamera TeilnehmerInnen einer Konferenz, die während der Pause zentrale Fragen des menschlichen Seins erörtern. In „Fitness“, auch dies eine Art Sozialstudie, geht eine Gruppe von Männern, die sich in einer Umkleidekabine unterhalten, den großen und kleinen Fragen der Gesellschaft nach.

In ihrem Video „Light/Dark“ von 1977 ohrfeigen sich Marina Abramovic und Ulay gegenseitig so lange, bis einer der beiden das stoische Ritual aufgibt. Jenseits von Aggressivität loten sie die Schwellen zwischen Hemmung, Respekt und Grenzüberschreitung aus.

Lee Se-jung kreist in ihrem Performancevideo um die eigenen physischen Grenzen. In einem Spiel um An- und Abwesenheit verschluckt sie permanent das eigene Gesicht, das sie zuvor auf eine Plastiktüte gezeichnet hat, in der ihr Kopf steckt.

An- und abwesend zugleich sind auch die prachtvoll gekleideten marokkanischen Bräute, die Valérie Belin in ihren schwarz-weiß Fotografien porträtiert. Sie verschwinden hinter ihrer aufwändig exponierten Präsenz, scheinen vollständig im Diktat des Ornaments aufzugehen.

In Gary Carsleys Landschaftsbildern ist es die Natur, die hinter dem Dekor auf gleich mehrfache Weise zurücktritt. Es handelt sich um digital hergestellte Intarsien, die nicht die Materialität von Holz, sondern von Laminat imitieren. Sie entstehen nach der Vorlage von Fotografien, die Gärten und Parkanlagen – also gestaltete Natur – zeigen. So findet der Baum, dessen Anordnung im Park bereits dem Kamerablick unterstellt ist, im Laminat, jenem auf Fotografie basierenden Holzimitat, scheinbar zu sich selbst. Und doch ist er nur Bestandteil einer aus Pixeln aufgebauten Illusion.

Das Motiv des Dressurreitens – ein Archetyp der domestizierten Natur – wird in Carolina Saquels Video “Pentimenti“ zum Spiegelbild der Disziplinierung menschlichen Verhaltens. Das Drama des Gehorsams findet seinen eindringlichen Höhepunkt in dem Moment wo das Pferd zum Sitzen getrieben wird.

Geradezu unheimlich muten die digital manipulierten Kinderporträts von Loretta Lux an. Ihren Gesten und Haltungen ist das Erwachsensein bereits eingeschrieben. Dennoch – oder gerade deshalb – bleibt es ihnen verwehrt, sich als Projektionsfläche bürgerlicher Kindheitsvorstellungen zu entziehen. Irgendwo in dieser Ortlosigkeit zwischen frühreifer Souveränität und totalitärer Fremdbestimmung scheinen sie verloren gegangen zu sein.

Pressetext