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Selten ist das Zusammenwirken von einzelnen Teilen zur Erschaffung eines großen Gemeinsamen so eindringlich und stringent visualisiert worden wie in dem Bild des „Orchesters“. In erster Linie ist es immer das gemeinsame Musizieren, Singen, Auftreten, das zur Herstellung eines simultanen Klangerlebnisses dient, das damit gemeint ist. Unbemerkt bleibt der individuelle Beitrag zu einer gesamtheitlichen Phänomenologie, auch wenn Heisenbergs Theorie der fundamentalen Struktur zugrunde liegt. Katharina Struber untersucht mit ihrer neuen medialen Arbeit genau diese Themen und ihre Schnittstellen: am Beispiel des Radio Symphonie Orchesters legt sie das gemeinsame Musizieren als einen kollektiven Prozess frei, der in unendlich viele Unterprozesse aufgegliedert werden kann. Ihr Mittel ist die Kombination von Videofilm und Standfotografie, durch deren reziproke Verwendung sie mittels Fotografie einem filmischen Ablauf nachspürt und im Verarbeiten des Videomaterials für fotografische Bilder dessen Zeitgebundenheit aufhebt. Sie verschränkt kapitale Kategorien der Künste miteinander, an denen sich Künstler und Theoretiker seit der Renaissance abgearbeitet haben: Hören und Sehen, Raum und Zeit, der Einzelne und das Ganze, Aktivität und Stillhalten, Klang und Stille, Fülle und Kargheit.

Das von Katharina Struber medial beobachtete Orchester probt ein Stück von John Cage – legendärer Verweigerer von Musiktradition und Protagonist von Klangsubversion: Quartetts I – VIII betitelte er die Musikstücke, die er anlässlich der Feierlichkeiten zum Bicentennial der USA komponierte. Getreu seinem richtungsweisenden Text „Silence“[1], in dem er einen Vortrag über Musik in 4 simultane Kolumnen aufteilte, diese wiederum in je 12 Zeilen mit 48 Einheiten nach einem Maßverhältnis von 7, 6, 14, 14, 7 gliederte, ist auch die hymnische Komposition über die Freiheitsrechte der amerikanischen Bürger ein Bekenntnis zu den Prinzipien einer neuen Verknüpfung von Individuum und Kollektiv: „ich habe zwei Parte für einen Pianisten geschrieben. Jeder Part kann allein gespielt werden oder sie können beide zusammen gespielt werden“[2]; das simultane Musizieren, gegebenenfalls von einem Musiker gleichzeitig an mehreren Instrumenten oder im Tutti eines Orchesterzusammenspiels, ist damit na ch Cage immer ein anzustrebendes, aber fragiles Gleichgewicht. Hierzu Christian Scheib, Intendant des RSO Wien:

„Uncharakteristisch für den Klangkörper Orchester aber charakteristisch für dieses Stück ist die Orchesteraufstellung: Nicht wie üblich in Instrumentengruppen samt deren hierarchischer Ordnung spielen die Musikerinnen und Musiker auf der Bühne, sondern in einer wie zufällig durcheinandergewürfelt aussehenden, in Wahrheit aber auch wieder ausgeklügelten Aufstellung, die so selten wie möglich gleiche Instrumente direkt nebeneinander zu sitzen kommen lässt. Auch in jener Probe, in der die Grundlage für Katharina Strubers Photo gelegt wurde, entspricht die Aufstellung der Musikerinnen und Musiker der sanften Anarchie des John Cage.“3

Diese gefährdete Balance zwischen den Individuen und die spürbare Energie im gemeinsamen Handeln werden in den Fototableaus von Katharina Struber ansichtig. Die Facetten des simultanen Tuns münden einerseits im raumhaltigen Gesamtbild des Ganzen; sie sind aber andererseits - wie in den kubistischen Bilder von Braque oder Picasso – auch als die autonomen Partikuläransichten einer einzigen, umfassenden Komposition zu sehen.

[1] John Cage, Silence, Frankfurt/Main, 1995 2 Siehe Anm. 1., S. 79 3 Christian Scheib, Happiness, in Multiperspective, 2013

Textauszug aus Der Teil und das Ganze von Dr. Margit Zuckriegl/Kuratorin MdM Salzburg für das Multiple „Mi, 7.11.2012 Radiokulturhaus Wien“

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COMMON PRACTICE
KATHARINA STRUBER

Künstler:
Katharina Struber